Die Kirche - Die große Täuschung

Ein Buch, dass für Sie geschrieben wurde.

Donnerstag

Die große Täuschung

I. Die Kirchen und unsere Auffassung von Religion

Alle Entwicklungen in und um die Kirchen, besonders die katholische, ziehen breite Aufmerksamkeit auf sich. Das betrifft nicht nur Vorgänge innerhalb der vatikanischen Mauern - Skandal um die Vatikanbank, der mysteriöse Tod des Papstes Johannes Paul des I. - es geht auch um die Inhalte der Glaubenslehre, und wie sie vertreten werden. Und seit Papst Woytila deutlich wie selten zuvor schlicht um Politik.

Die divergierenden Ansichten polarisieren die ganze christliche Welt. Doch wie in der modernen Medienwelt nicht anders zu erwarten nimmt die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit nach einigen Jahren rapide ab. Während bis in die achtziger Jahre die europäischen und auch amerikanischen Berichte über Streit oder Skandale in den Kirchen noch jede Woche in Dutzenden zu zählen waren, hat die Intensität der Berichterstattung inzwischen wesentlich verloren. Es braucht schon Gröberes, wie den flächendeckenden sexuellen Missbrauch von Minderjährigen durch Priester auf der ganzen Welt, um wieder auf Seite 1 vorzurücken.

An dem ursprünglichen Dilemma hat sich nichts geändert. Es gibt noch immer Priester und Laien, die über alte Dogmen ein neues Gespräch wünschen, und es gibt Kirchenfunktionäre, die das Ruder hart gegen den Kurs des zweiten Vatikanums herumreißen wollen. Letztere erfreuen sich der vollen Unterstützung durch die römische Kurie und den Papst; Verstärkung erhalten sie bei jeder neuen Ernennung eines Bischofs oder Kardinals durch Rom - liberale, weltoffene Geister kommen hier nicht mehr zum Zug. In den letzten 15 Jahren ist es diesem Papst wohl gelungen, der “Moderne” des II.Vatikanischen Konzils die letzten Illusionen zu rauben.
Eine andere Gruppe von registrierten Christen wächst durch diese zerreibenden Auseinandersetzungen: Die Gleichgültigen, die sich innerlich von ihren Amtskirchen losgesagt haben. Die meisten in einen religionsfreien Raum. Einige in Strömungen des New Age, von Geldscheffelnden Gurus bis zum Buddhismus in Thailändischen Klöstern, wenige in evangelistische Freikirchen. Viele dieser Menschen betrachten die Amtskirchen, ob katholisch oder protestantisch, nicht als göttliche Vehikel der Verkündigung und Priesterschaft, sondern als Machtorientierte und privilegierte Apparate, die primär der eigenen Erhaltung dienen.

Auseinandersetzungen über religiöse Fragen prägen mehr als nur die christlichen Diskurse. Religiöse und pseudoreligiöse Bewegungen sind ganz wesentliche Vektoren im weltpolitischen Kraftfeld des beginnenden Jahrhunderts. Nicht nur “Islamischer Fundamentalismus” präsentiert sich da der verkürzten westlichen Wahrnehmung, sondern auch Massaker unter Christen, latente Spannungen zwischen Angehörigen verschiedener Religionen auf der ganzen Welt, und sogar die langsame Annäherung ideologischer Ziele an religiöse Formeln. In Wahrheit gibt es zwei große Richtungen, eine der Erneuerung, und eine des Festhaltens, Erstarrens und Verwaltens. Etablierte Religionen waren immer schon anfällig für die schleichende Korruption der Macht und des Geldes. Zu oft vergessen wir, dass die Pharisäer, die Jesus bekämpften, nicht Mitglieder einer bösen Sekte waren, sondern die Priesterklasse dieser Zeit! Gut organisiert, mit Einfluss und begrenzt politischer Macht, Moralapostel für ihre Glaubensgemeinschaft.

In diesen komplizierten Verhältnissen fördert die sich dauernd verkürzende Aufmerksamkeitsspanne unserer westlichen Welt das Verständnis nicht. Wir bekommen unsere Nachrichten vorselektiert, im Stakkato über zehn Minuten übermittelt von wenigen Sendern und Verlagen, die wirtschaftlich dieselben Interessen haben.
Von anderen Glaubensrichtungen erfahren wir nur Vorgänge, die als Sensationen zu werten sind. Wir sehen auf unseren Bildschirmen nicht die Millionen friedlicher Hindus, Buddhisten oder Moslems dieser Welt, sondern die wenigen Verblendeten. Wie wir Christen nur allzu gut wissen, kann die Naivität der Menschen besonders in armen Regionen leicht manipuliert werden. So missbrauchen Wenige die Lehren Mohammeds des Propheten für ihre politischen Ziele und wenden sogar Gewalt an. Genau so wie es die Heilige Katholische Kirche über Jahrhunderte tat, und unter ihrem Banner etwa die südamerikanischen Hochkulturen zur Gänze vernichtet wurden. Und auch wenn Christliche Kirchen heute keine physische Gewalt mehr anwenden, heißt das noch lange nicht, dass sie keinen psychologischen Zwang mehr ausüben.

Das Problem bei diesem Aufeinderprallen verschiedener Welten ist jeweils die Seite, die an ihre Sendung glaubt und ihre Rechtfertigung von Gott ableitet. Das Spiel heißt Religion, und die Regeln der Demokratie und der Meinungsfreiheit gelten nicht mehr. Daher gibt es nur mehr “für mich oder gegen mich”, sobald die Idee zum Fundamentalismus verhärtet.

Wem wäre nicht die geradezu dumme Vereinfachung aufgefallen, der sich Fundamentalisten jeglicher Weltanschauung bedienen, die Leichtigkeit, mit der sie an offensichtlichen Verdrehungen einer Botschaft festhalten? Es drängt sich der Schluss auf, dass es oft wohl die verkürzte Einfachheit ist, die Menschen dem Fanatismus anheim fallen lässt, die Reduktion auf eine schmale Wahrheit, mit der großen Annehmlichkeit, nicht denken oder diskutieren zu müssen. Es geht nicht um den Inhalt. Die Dummheit ist die Botschaft.

Leider ist die Anmaßung, allein zu wissen, was richtig ist und was falsch, auch ein Charakteristikum der Amtskirchen.


Das Angebot der Kirchen

Die von Johannes Paul II. gezeichnete Einleitung des neuen “Katechismus der Katholischen Kirche” beginnt mit dem Satz: “Der Herr hat seiner Kirche die Aufgabe anvertraut, das Glaubensgut zu hüten, und sie erfüllt diese Aufgabe zu allen Zeiten.” “Seine Kirche” ist hier natürlich die katholische. Die wichtigste Botschaft zu allen Zeiten war die von der einen wahren Kirche, von Gott selbst eingesetzt um “sein” Werk zu vollenden. Wie abstrus und historisch falsch auch immer die Konstruktion begründet wird, es ist kein Argument zu schade, um dafür herzuhalten. Kein Wunder, denn ohne diesen Pfeiler der Rechtfertigung wäre das Gebäude der Katholischen Kirche schon lange krachend zusammengestürzt.

Durch die ständige Wiederholung dieses Dogmas wurden in den Köpfen der Christen die Begriffe “Kirche” und “Gott” verschmolzen. Durch diesen Mechanismus wird es jedem, der einen Funken Religiosität in sich trägt, schwerer gemacht, sich von der Amtskirche zu lösen. Dies führt zu den vielen in den Kirchen für Toleranz und Erneuerung Kämpfenden, die es doch durch einen Schritt zur Seite viel einfacher hätten. Es ist schon beachtlich, dass es gelingt, auch hochintelligenten Leuten beizubringen, Gott hätte eine bestimmte Organisationform gewollt. Wo ist denn bei Jesus die Rede davon? Im Gegenteil, er sagte, als er die Apostel auf den Weg schickte um seine Botschaft zu verbreiten: “Nehmt nichts mit auf den Weg, keinen Stock, keine Tasche, weder Brot, noch Geld, und auch keinen zweiten Mantel.” (Lukas 9, 3).
Die Kirchen von heute sind durch archaische Organisationsformen geprägt, durch eine absolute Dominanz der Männer, durch innere Streitereien und politische Machtkämpfe. Die Sancta Catholica neben ihrem Alleinvertretungsanspruch noch dazu durch einen Prunk und Zeremoniengewänder, als würde die Zeit seit dem Barock stillstehen.
Die unablässige Behauptung, im Namen Gottes zu lehren, tut heute noch ihre Wirkung. Trotz ständiger größter und kleiner Verfehlungen der Kirchen und ihrer Repräsentanten stellt sich jeder kirchliche Würdenträger vor seine Gemeinde und predigt Moral, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt. Da stehen sie, in Purpur und im Pathos ihres Amtes, und haben doch keine Rechtfertigung, für Gott zu sprechen. Die meisten haben nicht einmal Anlass, überhaupt vor allen anderen zu stehen.

Kehren wir zurück zu unserem Ausgangspunkt, dem Katechismus. Über die Kirche selbst wird wesentlich breiter gelehrt als über Gott, über den wir nicht von den Propheten oder Jesus Christus, sondern dank der “heiligen Mutter Kirche” wissen, wie wir etwa dem Kapitel “Die Gotterkenntnis nach der Lehre der Kirche” entnehmen. Die Beschäftigung mit dem Ziel jeder Religion, mit Gott und dem Weg zu ihm oder seiner Erkenntnis, ist in den christlichen Religionen etwas dürftig ausgefallen. Einerseits hat man sich in der Amtskirche mit theologischen, den Normalsterblichen unverständlichen und völlig unnützen mentalen Diskursen befasst, andererseits durfte man die Kontrolle nicht verlieren. Da blieb wenig Zeit, sich mit dem eigentlichen Thema der christlichen Religion zu beschäftigen. Selbst Menschen, die sich als Kleriker oder Ordensleute in den Schoß der Kirche begeben, fällt auf, dass Ordensregeln und Belehrungen viel Platz im Tagesablauf einnehmen, Gott dagegen nicht sehr oft vorkommt.

In den “alten” christlichen Kirchen gibt es schlicht einen Verhaltenskodex, die zehn Gebote, und dann – je nach Ausprägung – eine Art Punktesystem zum weiteren Sammeln von Heil für das Leben nach dem Tode. Der Verhaltenskodex ist inhaltlich identisch mit den Moralempfindungen und den Regeln aller anderen großen Religionen und Hochkulturen. Weiteres Guthaben für den Himmel spart man an, indem man, etwa bei den Katholiken, regelmäßig beichtet und zur Messe geht. Bei anderen Richtungen zählen eher das soziale Engagement im weitesten Sinn, und sogar der eigene materielle Erfolg. Echte spirituelle Vertiefung oder den Versuch einer persönlichen religiösen Entwicklung gibt es in diesen etablierten Kirchen nicht, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen. Eine Rückkehr zu den Wurzeln der Spiritualität sehen wir erst seit dem Erstarken der Evangelistischen Kirchen oder Freikirchen, wie immer man sie nennen mag. Die organisierten Kirchen haben in diesen Bewegungen von Anfang an ihre Todfeinde gesehen, das dürfte schon das Verhängnis der Nazarener bzw. Der Gnostiker gewesen sein. - In der Katholischen Kirche widmet der Katechismus von über siebenhundert Seiten ganze viereinhalb Gott.

Verglichen mit etlichen anderen Religionen ist das Christentum eigentlich eine Stufe zurückgeblieben. Die meisten anderen Religionen bieten einen Weg nach innen, einen spirituellen Pfad an; ob Sufis, Buddhisten oder Hindus, um nur einige zu erwähnen. So bitter das für jeden ist, der im christlichen Abendland seinen kulturellen Hintergrund sieht, so notwendig ist es dies zu erkennen, wenn wir weiterkommen wollen. Natürlich hat Jesus Christus einen spirituellen Weg gelehrt, doch viel davon wurde bewusst unterdrückt (und wird noch immer unterdrückt). In der christlichen Kirche wurde die Tür zur spirituellen Evolution fest verschlossen, dieser Weg wurde sogar pervertiert durch eine künstliche und rituelle Weihe-Hierarchie innerhalb der Amtskirche.

In anderen Religionen scheint das Ziel der persönlichen Entwicklung, der Annäherung an die eigene Seele oder Gott, wesentlich wichtiger zu sein. Damit will ich nicht diese Religionen als die Richtigeren kategorisieren, sie haben jedoch einen wichtigen Ansatz, der uns Christen fehlt: Sie kümmern sich um die Suche der Menschen und vermeinen, einen Weg der Erkenntnis anbieten zu können. Das muss wieder nicht der Richtige oder einzig Richtige sein, aber es wird das Grundbedürfnis des religiösen Menschen anerkannt.

Ob es mystischen Erfahrungen der Sufis ist oder Meditationstechniken der Zen-Buddhisten, Ziel ist es, eine höhere Erkenntnis zu vermitteln, einen höheren Bewusstseinszustand zu erlangen. Doch das Christentum gibt den Gläubigen keinen Weg zu Gott oder ihrer eigenen Seele. Kirchliche Rituale, die quasi im Punktesystem das Seelenheil versprechen, erinnern eher an ein Versicherungssystem als an Religion. Sie bringen das Individuum nicht weiter. Das war nicht immer so, viele gingen einen Weg der inneren Erkenntnis, doch mit dem Entstehen einer Amtskirche wurde dieser Weg versiegelt. Daher ist das Christentum die einzige Weltreligion, die sogar für den Gottesbegriff im “Denken” bleiben muss, sie kann ihre Erkenntnismöglichkeiten nicht erhöhen. Ansätze gab es nach den Urchristen in wenigen Mystikern und einigen Schulen, vielleicht gibt es sie noch heute in einzelnen Gemeinschaften, doch die Kirche der Moderne ist bar jeder inneren Wachstumsmöglichkeit.

Sicherheitshalber wurde Gott namens der Katholischen Kirche auch gleich verpflichtet, keine weiteren öffentlichen Offenbarungen mehr vorzunehmen (Katechismus, S.57), das wäre ja für die Kirche viel zu unberechenbar.

Viel mehr Raum als dem Gottesbegriff wird den Regeln und Gesetzen eingeräumt, die der gute Christ zu befolgen hat. Hierzu können wir unter anderem das “Glaubensbekenntnis” zählen, das - einmal mehr - den Einzelnen wohl kaum neue Erkenntnisse bringt. Vielmehr schreibt es den wahren Glauben vor. Nur so ist es möglich, dass in einem Satz, der Zeugnis von Gott und Jesus ablegen sollte, der Glaube an “die heilige katholische Kirche” demselben Atemzug oktroyiert wird. Diese Kirche hat nicht nur den Alleinvertretungsanspruch auf den lieben Gott, sie ist selbst göttlich. Sie will der Leib oder die Braut Christi sein, wie Paulus und nachfolgende Kirchenlehrer den simplen Machtanspruch mystifizierten.

Nun bringt diese Struktur der katholischen Logik natürlich auch einige Probleme mit sich. Denn die Behauptung, im Alleinbesitz der Wahrheit zu sein kann wohl nur derjenige aufrechterhalten, der sich von allem Anderen abgrenzt. Wie könnte die göttliche Offenbarung und ihre Administration die einzig Richtige sein, wenn es davon Variationen gäbe? Selbst wenn viele von uns in den letzten Jahrzehnten tolerante Stimmen aus den etablierten Kirchen hörten und viele Amtsträger nach dem Dialog mit anderen Glaubensgemeinschaften suchten: Es widerspricht zutiefst dem katholischen Dogma und Selbstverständnis, irgendeine Gemeinschaft, die nicht den Primat des Papstes anerkennt, auf eine Stufe mit der Heiligen Katholischen Kirche zu stellen. Der klare Beweis dafür wurde in den letzten Jahren geliefert. Johannes Paul II. und seine Kurie haben sehr deutlich gemacht, dass es keine Gemeinschaft unter Gleichen zwischen den christlichen Kirchen geben kann – von irgendwelchen anderen monotheistischen Religionen gar nicht zu reden. Praktisch ist damit die zarte Pflanze einer beginnenden Ökumene zertreten worden. Das einzig Überraschende dabei ist, dass dies die Vertreter der protestantischen und orthodoxen Kirchen aus heiterem Himmel traf, man hatte tatsächlich geglaubt, die Jahrtausendealte Arroganz wäre überwunden. Es ist halt sehr schwierig ein Gespräch über Toleranz oder andere religiöse Ansichten zu führen, wenn man behaupten muss, dass alle anderen Heiden wären, die ins Fegefeuer oder in die Hölle fahren.

Der alleinige Anspruch auf die wahre Lehre ist unverändert bis in unsere Zeit das Postulat der Katholischen Kirche. Heute können die, die etwas anderes glauben, nicht mehr als Häretiker verbrannt werden, die Brandmarkung wird jedoch wie eh und je vorgenommen. Immer wieder beweist die Amtskirche mit ihren Maßnahmen gegen prominente Priester und Lehrer, dass sie keine Kompromisse kennt. Aus dem Dogma der allein Seligmachenden Kirche ergibt sich logisch, dass die römische Kirche nicht tolerant sein kann. Aus ihrem inneren, in sich geschlossenen Weltbild ergibt sich zwingend, dass Abweichler wie Küng oder Drewermann ausgestoßen werden müssen; das sollte niemanden überraschen! Schon aus der Prozedur ist ersichtlich, dass hier uralte, unveränderbare Mechanismen ihren Lauf nehmen: Die Glaubenskongregation, gegenwärtig personifiziert durch den Vorsitzenden Kardinal Ratzinger, überprüft die Übereinstimmung der Lehrenden mit den römischen Vorgaben. Im Fall von Abweichungen wird ermahnt, aufgefordert zu widerrufen, schließlich die Lehrbefugnis aberkannt. In schweren Fällen wird das Priesteramt entzogen oder exkommuniziert. Diese Glaubenskongregation existiert seit vielen Jahrhunderten, nur der Name hat sich geändert. Früher hieß diese Abteilung des Vatikans die “Heilige Inquisition”, und ihr Oberhaupt wurde Großinquisitor genannt.

Dieser gewaltige Anspruch hat die Kirche groß und mächtig gemacht. Doch nun kehrt sich die absolute Unfähigkeit, etwas Distanz zu sich selbst zu finden und in einem größeren Konzept zu denken, gegen die Amtskirche. Niemand kann dieses künstliche Dogma mehr nachvollziehen, und die bizarre Verbissenheit, mit der Rom an ihm festhält, treibt immer mehr Menschen aus der Kirche. Es geht dabei nicht so sehr um die theologische Streitfrage, sondern darum wie man mit Vertretern anderer Glaubensbekenntnisse umgeht, und wie man mit den eigenen Gläubigen umgeht.

Eine andere sehr interessante Konstruktion ist die “Heiligung” durch das Amt. Es bedeutet nicht weniger, als dass jeder, der zum Priester beziehungsweise Bischof geweiht wird, kraft dieser Weihe, eben seines Amtes, mit einer besonderen göttlichen Gnade ausgestattet sei. Dieser Anteil an “Heiligkeit”, dieser Segen durch den heiligen Geist, ist von der Person gewissermaßen unabhängig. “Ein unauslöschliches Zeichen”, wie uns der Katechismus lehrt, “Christus selbst (handelt) durch den geweihten Diener und wirkt durch ihn das Heil. Dessen Unwürdigkeit kann Christus nicht am Handeln hindern”. Der Priester oder Bischof kann also ein Verbrecher sein, er kann sogar Atheist sein - er trägt sein Amt, und das heiligt ihn. Der Ursprung dieser Denkweise ist wahrscheinlich im spätrömischen Staatsrecht zu finden, wo Überlegungen zur Differenzierung zwischen Amt und persönlichen Handlungen angestellt wurden. Der Haken an diesem Konzept ist nur, dass es völlig unlogisch ist. Es wird zwar gebraucht, da es der Kirche und ihren Fürsten schon immer erlaubte zu tun, was sie wollten. Sie konnten Gesetze brechen, Kriege führen, zugleich Moral predigen und selbst lügen oder morden, der Heiligkeitsanspruch leidet darunter nicht. Es ist kaum zu fassen, dass diese absurde Machtlüge den Menschen über hunderte Jahre ohne größeren Widerspruch aufgetischt werden konnte. Schon die früheste Kirchengeschichte überliefert uns reihenweise höchste Amtsträger, die brutale Machtpolitiker waren, teilweise sogar Verbrecher.

Damit ist wohl klar, dass der heilige Geist durch diese Leute nicht gewirkt haben kann. Es ist eine ziemlich verschrobene Vorstellung, dass Gott sich nach Ämtern oder Institutionen richten würde. Es ist im Gegenteil eine der deutlichsten Parallelen zwischen allen wichtigen religiösen Lehrern, dass sie regelmäßig im Konflikt mit den Religionsorganisationen standen. Jesus war das Feindbild der Priester, Mohammed wurde zuerst von den Schamanen und Kaufleuten aus Mekka vertrieben, Krishna verstieß gegen sämtliche religiösen und sonstigen Regeln seiner Zeit, und so fort.

Wie wird dieses Konzept eines “heiligen Amtes” denn gerechtfertigt? Es wird aus dem Versprechen Jesu, seinen Aposteln den heiligen Geist zu senden, abgeleitet. Wörtlich jedoch lautet diese Stelle bei Johannes (14,26): “Der Tröster (Trösterin) aber, der heilige Geist, den der Vater in meinem Namen senden wird, derselbe wird euch alles lehren, und euch an alles erinnern, was immer ich euch gesagt habe.” Oft wird in den von Johannes überlieferten Abschiedsreden dann noch der “Tröster”, oder “Geist der Wahrheit” erwähnt. Dies geschieht in einer Weise, die den Leser an eine ganz bestimmte Person denken lässt, die dieser Tröster oder die Trösterin sein werden. Ganz offenbar haben auch die Apostel diese Botschaft so aufgefasst. Es erscheint deshalb an den Haaren herbeigezogen, dass dies nun nichts sein sollte als die angebliche Heiligkeit eines Amtes. – Erübrigt sich zu erwähnen dass von Kirchenämtern im Neuen Testament niemand gesprochen hat, außer Paulus, zu dem noch einiges zu sagen ist.


Blinder Glaube?

Eine Folge dieses für die Katholische Kirche nicht diskutierbaren Absolutheitsanspruchs ist eine Art Bewusstseinsspaltung in der christlichen Welt. Man akzeptiert das Christentum als Religion oder wenigstens kulturellen Hintergrund, damit zu weiten Teilen die Amtskirchen, nimmt beides allerdings nicht ganz ernst. Dies gilt jedenfalls für die überwiegende Mehrheit der Christen.

Wie auch könnte ein Wissenschafter, der sich mit der Evolutionslehre oder mit der Entstehung des Weltalls beschäftigt, alle Lehren der Kirche ernst nehmen? Wie könnten Nichtverheiratete Paare diese Lehren ernst nehmen ohne Tag und Nacht in Angst vor Höllenfeuern zu leben? Wir haben unseren Kompromiss mit der Kirche geschlossen, und damit mit der Religion schlechthin. Wir lassen sie lehren und eifern, kümmern uns aber nicht weiter darum. Wir gestehen ihr großen gesellschaftlichen, ja oft genug politischen Einfluss zu und nehmen sie in Fragen der Moral teilweise ernst. Wie kann das alles zusammenpassen, und wo bleibt dabei das, was Jesus Christus tatsächlich gesagt hat? Es passt eben nichts mehr zusammen. Durch den überhöhten und künstlichen Anspruch der Amtskirche ist Glaube und Religion weitestgehend durch Kompromiss ersetzt worden. Die Kirche ist durch ihr Machtstreben zum größten Hindernis für echte Religion geworden.

Die Wissenschaft hat sich mehr oder weniger ganz von der Religion abgekoppelt. Ein Wissenschafter, der sich in seiner Arbeit heute lediglich einem materialistischen, phänomenologischen Weltbild verbunden sieht und sich zugleich als Christ definiert, ist nichts Ungewöhnliches. Zu Ende gedacht, passt es eigentlich wieder nicht zusammen. Doch was bleibt der empirischen Wissenschaft anderes übrig? Die enormen Komplikationen die mit der Dominanz der Kirche über das Denken und die Publikationsfreiheit einhergingen, erlaubten keinen Ausgleich mehr. Bis ins zwanzigste Jahrhundert war schließlich der Index, die Liste der von Rom verbotenen Schriften, ein wirksames Instrument der faktischen Zensur. Und von Luther und Galileo über Darwin bis zu modernen kritischen Theologen beweist die Amtskirche unentwegt ihre Unfähigkeit, Realität und Überlieferung auseinander zuhalten. Damit macht sie sich erneut schuldig gegen den Glauben. Die wenigsten Wissenschafter der christlichen Welt sind heute von irgendeinem spirituellen Anspruch beseelt, eben weil sich die offizielle Religion nicht mit ihrer sonstigen Erkenntnis und Überzeugung auf einen Nenner bringen lässt.

Und doch wird uns die Wissenschaft keine Antworten auf die letzten Fragen geben. Die großen Fortschritte der letzten hundert Jahre haben die Jünger der reinen Wissenschaften, insbesondere der Naturwissenschaften, ebenfalls überheblich werden lassen. Zu gern übersehen selbst die klügsten Köpfe, dass viele der naheliegendsten Dinge nach wie vor unbegreiflich sind. Ob es sich um die Entstehung des Lebens handelt oder um komplexeste Modelle der Atomphysik. Selbst wenn das menschliche Genom vollständig aufgezeichnet werden kann, die Erklärung wie jede Zelle sich am richtigen Ort in der richtigen Ausformung entwickelt, kann niemand geben.

Entscheidend ist es, sich immer vor Augen zu halten, dass jeder Lehrsatz einem menschlichen Gehirn entsprungen ist. Es sind Konzepte, ausgedrückt in Sprachen, die Unschärfen zulassen. Gelesen und erneut niedergeschrieben von vielen Tausenden, die den Wahrheitsgehalt eher an der Zahl der Wiederholungen messen als an irgendetwas anderem. Die fast nie ein Interesse daran haben, widerlegen zu wollen, was alle akzeptieren. Es bleiben Konzepte, gewoben aus den so leicht brechenden Fäden unseres Denkens; und es ist unerheblich, ob darüber “Enzyklika” steht oder “Forschungsergebnis”.

Nun kann man über die religiösen Überlieferungen nachdenken, ob diese denn nicht mehr seien als nur menschliche Konzepte. Alle Religionen räumen ja ihren zentralen Botschaften und Schriften eine besondere Stellung ein. Daher werden in jeder Glaubensrichtung die Worte jener Religionsstifter als heilig bezeichnet, deren Lehren man als von Gott gegeben sieht. Doch zum einen sind direkte Überlieferungen ohne Textmanipulationen rar, zum anderen muss selbst bei einer Verkündigung - wie eng man ihr auch verbunden sein mag - ein relatives Element berücksichtigt werden. Worte sind Teile einer menschlichen Sprache. Die Sprache ist über Generationen und Epochen genauso in Bewegung und Veränderung wie jedes Volk, jede Gesellschaft. Der Bewusstseinsgrad verändert sich, und uns würde wohl eine Göttliche Botschaft heute anders zukommen als den Nomaden und Fischern des Altertums. Dieses Problem bleibt uns erhalten, solange unsere Erkenntnismöglichkeiten relativ sind.


Ein Versuch

Dem Dilemma zwischen echt und falsch, wie zwischen Botschaft und Interpretation, werden wir nie ganz entkommen. Doch ein simpler gedanklicher Schritt könnte uns schon sehr viel weiter bringen: Wir müssen das tief in unseren christlichen Gehirnen verwurzelte Gemenge aus “Gott”, “Kirche” und “Religion” durch eine klarere Sicht der Dinge ersetzen.

Es gibt die Behauptung vieler Religionsgemeinschaften, die wahren Boten Gottes zu sein, in der Katholischen Kirche sogar den Anspruch, die alleinigen Vertreter des Göttlichen auf Erden zu sein. Wie kann man erkennen, ob dieser Anspruch zu Recht besteht? Wir müssen uns von allen übernommenen, aber nicht unmittelbar einsichtigen Dogmen lösen, einige Schritte zurück machen und das Ganze aus einer emotionslosen Distanz betrachten. Was sehen wir? Zum einen haben wir Evangelien, die das Leben von Jesus Christus und viele seiner Botschaften wiedergeben, zum anderen hierarchisch organisierte Amtskirchen. Diese haben über mehr als tausend Jahre Unmengen von Lehrsätzen, Auslegungen und Abhandlungen verfasst, haben sich den politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen weitgehend angepasst, und die eine, große römische Amtskirche hat über die letzten eintausendsechshundert Jahre auch ganz große Politik gemacht. Stellen wir es nebeneinander. Hier haben wir Evangelien, die in ihrer Tiefe jeden spirituell Suchenden berühren, und daneben Organisationen, die diese Lehre verwalten wollen, oder uns diese Lehren beibringen und erklären wollen. Der Anspruch dieser organisierten Kirchen stammt aus ihren eigenen Erklärungen und Auslegungen der Worte Jesu. Also halten wir zuallererst fest, dass Jesus selbst keinen Einfluss darauf hatte, wie sich die Kirchen entwickelten. Die Ableitung etwa der Katholischen Kirche und besonders des Papstes aus dem “Amt” des Apostels Petrus ist ein gedankliches Konzept, etliche hunderte Jahre später entstanden und schlicht irreal.

Welche Beweise haben wir dafür, dass die eine oder andere Kirche tatsächlich die “Organisation Gottes” ist? Welche Beweise haben wir, dass es eine “wahre” Weltreligion gibt? Gefragt sind nicht nur wissenschaftliche Argumente. Auch in der Sphäre der Religionen selbst kann einiges hinterfragt werden. Wo hat Jesus von einer Organisation oder Hierarchie gesprochen, wann hat er die Frauen ausgeschlossen, hat er jemals Konzepte wie die Unfehlbarkeit nur ansatzweise erwähnt? Niemals und nirgends hat er diese Richtung vorgegeben. Daher müssen wir erkennen, dass es zwischen Jesus Christus und einer Amtskirche keine Verbindung geben kann, die exklusiv oder stärker wäre als die Verbindung zwischen dem einzelnen Gläubigen und Jesus. Die Amtskirchen in dieser Form sind für den religiösen Menschen nicht nur keine Autorität, sie sind nicht einmal eine Notwendigkeit.

Vor allem aber: Jesus Christus und Gott sind nicht identisch mit dem Wirken der Amtskirchen, es gibt keinen zwingenden Schluss, dass Gott mit den Kirchen irgendetwas zu tun hätte. Wenn man also an Gott glaubt und den Evangelien folgen möchte, dann kann man dies völlig losgelöst von jeder künstlichen Bevormundung durch eine Organisation tun. Und niemand kann von den Mängeln und Verfehlungen menschlicher Organisationen Rückschlüsse auf Gott ziehen.

Warum auch sollte jemand, der an Gott glaubt, sich an die Kirchen gebunden fühlen? Wenn man sieht, wie eine menschliche Organisation eine falsche Entwicklung nimmt, wie aus spirituellem Anspruch Macht und Materialismus geworden ist, warum daraus auf Religion an sich, auf Gott schließen? Jeder Mensch hat das Recht und die Freiheit, seine Religion zu leben wie er es für sich entscheidet. Keine Organisation und keine Kirche, was immer sie von ihrer Sendung oder ihren Rechten behauptet, können ihn daran hindern. Nur er selbst kann seine Freiheit einengen, indem er sich einem Dogma unterwirft. Befreien wir uns also von der assoziativen Gleichsetzung Gottes mit einer Kirche oder Organisation. Die Behauptung, Gott zu vertreten, ist ein von Menschen erhobener Anspruch, der nur durch theologisch-mentale Sätze begründet wird, durch Worte. Wir müssen selbst suchen; für die Religion gibt es in Wahrheit keine Konfektionsware.

Schwierig wird es, wenn wir weitergehen und uns in diesem Zusammenhang fragen, was Religion eigentlich ist. Oft gehörte Definitionen, wie Religion sei der Glaube an einen Gott oder an Götter, sind unzureichend. Im Buddhismus etwa gibt es keinen Gott. Wir dürfen mit Rudolf Otto und Helmut Gollwitzer festhalten, dass “ein universell anwendbarer Religionsbegriff nicht gebildet werden kann”. Beschränken wir uns hier darauf etwas vereinfacht zu sagen, die Essenz jeder Religion ist, dass die wahrnehmbare Wirklichkeit transzendiert wird durch Bereiche, die nicht wahrnehmbar sind, und durch eine Sinngebung, die mehr voraussetzt als einen mechanistisch ablaufenden Kosmos.

Wenn es uns gelingt, uns von äußeren Dogmen zu befreien, also an uns selbst zu glauben, könnte die Last aufgezwungener Konzepte abgeworfen werden. Uns würden sich neue Welten auftun. Wir könnten für uns selbst reflektieren, was wir von Religion halten. Wir könnten die Konzepte zum Schweigen bringen und in dieser Stille vielleicht die Stimme unseres Herzens wieder hören. Wir könnten uns selbst entscheiden.

Natürlich wird es wichtig bleiben, zu wissen, welche Erfahrungen die Menschheit gesammelt hat, zu welchen Einsichten Propheten und andere spirituelle Meister gekommen sind; zu allen Zeiten und auf der ganzen Welt. Wenn man nämlich nicht gerade dem eher depressiven Existentialismus anhängt, kann man doch den Gedanken zulassen, dass die kulturelle und religiöse Vielfalt unseres Planeten einen gewissen Sinn haben könnte. Wir sollten für unsere geistige und spirituelle Entwicklung ebenso die Vorzüge einer globalen Sicht der Dinge schätzen lernen wie wir dies in Politik und Wirtschaft schon lange tun. Was für ein Verbrechen am menschlichen Bewusstsein haben die Kirchenfürsten und Dogmatiker aller Zeiten angerichtet, als sie jeden Sucher mit dem Angstgift impften, nur ja nicht über die Grenzen der eigenen Religion hinauszuschauen! Wie viele “Christen” beschäftigten sich schon mit den nicht offiziellen, “apokryphen” Evangelien, oder gar mit Hinduistischem Gedankengut, wie viele Anhänger des Islamischen Glaubens lesen die Bibel oder die Thora? Durch die Befreiung von der Idee des bösen Heidentums würde man die Chance haben, bei Hinduistischen Heiligen das Pfingsterlebnis als “Lichtwind” über den Häuptern beschrieben und erklärt zu finden (Jnanadeva), oder die Lehren des erhabenen Buddha über das Loslassen von allen Dingen bei Meister Eckehart (dem natürlich die Inquisition das Leben schwer machte). Denn Gott ist größer als alle Lehrsätze in der Bibliothek des Vatikans, als das ganze Wissen der Imame.

Jeder, der behauptet, die moderne Wissenschaft hätte bewiesen, dass die Entstehung des Kosmos und des Lebens ohne Gott auskomme, sollte seinen Erkenntnisprozess ebenfalls überdenken. Denn möglicherweise ist er nur wegen der dogmatischen Starre der Kirchen zu diesem Schluss gekommen. Diese vermeintlich wissenschaftliche Meinung ist ohnehin nicht aufrechtzuerhalten.

Seit Heisenbergs Unschärferelation wissen wir definitiv (im wissenschaftlichen Sinn), dass wir nie alles wissen werden. - Die Entstehung des Lebens ist unerklärbar. Die Wahrscheinlichkeitsrechnung beweist, dass ein zufälliges Zustandekommen der DNS als Urteilchen des Lebens ausgeschlossen ist; und wie funktionierte die Evolution, wenn Leben zufällig entstanden wäre? Der moderne Rationalismus, der ebenso oberflächlich ist wie der moderne Mystizismus, verschweigt die großen Ungereimtheiten und Rätsel, die selbst die Naturwissenschaften heute noch offenlassen. Jeder Vorgang einer Zellteilung kann beobachtet und analysiert werden, “wie” es im richtigen Moment bei der richtigen Zelle passiert, weiß niemand. Allein die Tatsache der Entstehung des Lebens auf unserem Planeten übersteigt jede wissenschaftliche Phantasie. Die geologischen, klimatischen und planetarischen Voraussetzungen für die Möglichkeit, dass Leben entstehen kann, sind schon so komplex und verwoben, dass man an die Grenzen der Naturwissenschaft stößt, bevor man noch bei der Frage ist, wie sich die komplizierten Eiweiß- und Nukleinsäurestrukturen “zufällig” bilden hätten konnten. Auch die Wissenschaft soll sich selbst im Rahmen eines größeren Lebensbildes relativieren können.

Wenn man akzeptiert, dass eine größere Macht als der Mensch existiert, eine Kraft, die uns geschaffen hat, wie kann man meinen, sie analysieren zu können? Und wenn dieses “Sein” das Leben geschaffen hat, die Evolution leitet, warum sollte sie nicht in menschlicher Form inkarnieren, was sollte sie daran hindern? Ob als Sohn Gottes, als Gott Vishnu in verschiedenen Gestalten, als der erleuchtete Buddha oder als die Macht, die durch den auserwählten Propheten spricht. Wenn diese Kraft allmächtig ist und es gefällt ihr so zu erscheinen - wer hat alle Weisheit des Universums in sein Gehirn gegossen, dass er dies verneinen könnte?

Um Missverständnisse zu vermeiden: Ich bin kein Anhänger der “Creationisten”, sondern der festen Überzeugung, dass die Wissenschaften letztlich mit der Religion in Einklang gebracht werden können. Die Evolution ist eine Tatsache des Lebens, aber sie ist ohne eine intelligente, leitende Kraft nicht nachvollziehbar. Die Evolution, welche auf eine Weiter- und Höherentwicklung des Lebens ausgerichtet ist, kann die Voraussetzungen schaffen, unter denen ein freier Wille entstehen kann. Wäre die Schöpfung ohne eine höheres Leitmotiv, dann wäre der Mensch mit seinem überbordendem Ballast an utilitaristisch völlig sinnlosen Dingen wie Kunst oder Spiritualität schon vor tausenden von Jahren ein darwinistisches Auslaufmodell gewesen. Wenn man ins andere Extrem verfällt und meint, die Schöpfungsgeschichte der Bibel wörtlich nehmen zu müssen, dann sind wir von vornherein nur Verdammte oder Erlöste. Gott kümmert sich selbst um alles, wir können nur auf den jüngsten Tag warten, um herauszufinden, ob wir als Auserwählte oder Verdammte erschaffen worden sind. Dieses Verneinen jedes freien Willens, jeder lebendigen Gestaltung im Ablauf der Schöpfung, wäre schon für einen intelligenten Menschen eine Beleidigung seines Verstandes, was wäre es erst für ein höheres Wesen?

Es wäre ein verhängnisvoller Fehler, an nichts mehr glauben zu wollen, weil die Kirche den Glauben monopolisiert hatte und die meisten Kirchen weiter versuchen, ihn zu monopolisieren. Die Verlogenheit eines bestimmten Systems erlaubt nicht zwingend Rückschlüsse auf allgemeine Prinzipien. Das wäre so, als ob man aus dem Bankrott eines Unternehmens ableitete, es gäbe überhaupt keine Wirtschaftsordnung.







II. Der Anfang

Die große Frage nach der Wahrheit ist seit Pontius Pilatus wie eine Überschrift zur Kirchengeschichte stehen geblieben. Geburt und Leben des Jesus Christus, die Anfänge des Christentums in Form der Gemeinschaft der Jünger und Apostel, die Jesus begegnet waren, sind uns in verschiedenen Schriften überliefert. Schon hier scheiden sich die Geister. Nach der Lehre der katholischen Kirche gibt es nur vier Evangelien, die richtig sind, das sind die vier in jeder Bibelausgabe enthaltenen. Alle anderen Schriften, sogar wenn sie Aposteln zugeschrieben werden, seien dubios, sagen uns die Kirchenlehrer. Diese Dogma gründet sich allerdings nicht auf wissenschaftliche Untersuchungen. Das neue Testament entstand in seiner heutigen Grundstruktur wahrscheinlich im 4. Jahrhundert aus einer Vielzahl von Schriften und Kommentaren. Im Original liegt kein einziges Evangelium vor. Man nimmt heute an, dass das früheste Evangelium - Markus - später als 60 Jahre nach Christus geschrieben wurde. Vielfach wird die Auffassung vertreten, es sei erst nach der Zerstörung Jerusalems im Jahre 70 entstanden. Allein aus dem Zeitabstand zwischen den berichteten Ereignissen und deren Niederschrift müssen sich Unzuverlässigkeiten ergeben. Man stelle sich vor, Ende der vierziger oder erst in den fünfziger Jahren hätte ein Chronist begonnen, die Ereignisse des ersten Weltkrieges schriftlich festzuhalten. Er wäre dabei vor allem auf mündliche Überlieferungen angewiesen gewesen. - Natürlich müssen sich im Laufe der Jahrhunderte noch mehr Fehler eingeschlichen haben, durch Übersetzungen und durch ganze Ketten von Abschreibern.

Erst viel später erfolgte die offizielle Bestätigung dieser Form des Evangeliums durch die Kirche; wie gesagt keineswegs, weil es einsichtige Gründe dafür gab, sondern offiziell begründet mit dem Wirken des heiligen Geistes. Nicht, dass ein frühchristliches Konzil ein Pfingsterlebnis, eine Erleuchtung durch den heiligen Geist gehabt hätte. Auch kein Wunder, keine Erscheinung des Göttlichen wird berichtet, nein, die römische Kirche spricht, und es wird eine Tatsache. Diesem Phänomen werden wir noch oft begegnen. Wie immer, wenn Gott oder der heilige Geist ins Spiel gebracht werden, sind die Ansprüche der Kirche absolutistisch (weil der heilige Geist in der Regel nur dann angezogen wird, wenn apodiktische Behauptungen begründet werden sollen). An diesem Punkt ist für Rom keine Diskussion mehr möglich. Wer dieses Dogma nicht akzeptiert, schließt sich aus der Heilslehre aus. Alle Theologen und Wissenschafter, die an der Authentizität der Texte zweifeln oder andere Schriften einbringen, begehen Häresie. Das ist der nicht sehr subtile Mechanismus, mit dem sich das System selbst erhält. Solange kritische Stimmen nur vereinzelt zu hören waren, funktionierte diese Automatik tatsächlich recht gut. Doch heute gibt es etwas, das man schon als Fakultät kritischer Theologen und Wissenschaftler bezeichnen könnte.

Erst dadurch wurde überhaupt bekannt, wozu das “gemeine Volk” seit tausendsechshundert Jahren keinen Zugang hatte: Dass es große Zweifel an weiten Teilen des Neuen Testamentes geben muss und dass viel mehr Quellen existieren, die von Jesus berichten. - Auch die sollten allerdings in dem Bewusstsein gelesen werden, dass vielleicht vieles manipuliert wurde. Die breite Masse wurde jahrhundertelang uninformiert und dumm gehalten, der Klerus hatte und hat beim Studium durchaus Gelegenheit, die Entstehungsgeschichte und Vielfalt der Überlieferungen kennen zu lernen. An keinem Seminaristen gehen heutzutage die Funde von Nag Hammadi oder Qumran vorbei. Auffallend ist schon, dass genau jene Evangelien, deren Inhalt nicht zu Kirchenlehren passt, eliminiert wurden.

Ein dem Jakobus zugeschriebener Bericht über Geburt und Leben der Heiligen Maria etwa stellt diese als eine Auserwählte vor, die schon als Kind vom ganzen Volke Israel als Heilige verehrt wurde; sie wuchs im Tempel auf und bekam nach Jakobus sogar ihre Nahrung in dieser Zeit aus der Hand eines Engels. Insgesamt zeigt uns dieses Evangelium ein Bild von Maria eher auf gleicher Stufe mit ihrem Sohn Jesus, jedoch niemals als “Magd”. Die von Paulus eingeführte Frauenfeindlichkeit erscheint im Licht dieses Textes geradezu absurd. Dieser Text wird von der Amtskirche natürlich abgelehnt, dennoch leiten sich die meisten Marienfeiertage von ihm ab.

1945 fanden ägyptische Bauern bei Nag Hammadi in einem Tonkrug 14 Papyrusbände. Die dort gefundenen - zum größten Teil bislang unbekannten - koptischen Schriften enthielten unter anderem das Thomas-Evangelium. Die große Bedeutung dieser Schriften ergibt sich schon daraus, dass, im Gegensatz zu den Qumran-Texten, hier ganz eindeutig auf die Lehren Jesu und damit die religiösen Inhalte der Urchristen Bezug genommen werden. Thomas, der Zwilling, wie er meist genannt wird, findet etwa bei Johannes mehrmals Erwähnung. Wahrscheinlich wurde er im Jahre 31 in den Kreis der Apostel aufgenommen und er gilt als der Apostel Indiens. Bedeutende Wissenschaftler, wie Prof. Koester von der Harvard Universität, vermuten, dass das Thomas-Evangelium früher verfasst wurde als die “kirchlichen” Evangelien. - Viele Wundertaten Thomas des Zwillings sind uns überliefert. Sein Grabmahl befindet sich in Indien. Die Worte des Thomas-Evangeliums unterscheiden sich deutlich von den Gleichnissen der vier bekannten Evangelien. Es wird nicht ein mehr oder weniger zusammenhängender Bericht über das Wirken von Jesus Christus gegeben als vielmehr eine Philosophie, die die Lehre des Nazareners in fast möchte man sagen: meditativer Tiefe reflektiert. Dennoch wird der Leser hier nicht in ein mystisches Gestrüpp geführt, die Worte sind klar, der Sinn ist gerade. Keine kosmologischen Spekulationen, sondern Vertiefung uns schon bekannter Wahrheiten aus anderen Evangelien. Einfach zu beantworten ist die Frage, warum dieses Evangelium - durch fast zweitausend Jahren unberührt, nicht manipuliert - keine Aufnahme in die “offiziellen” Bücher gefunden hat: Es steht im Widerspruch zu den Paulinischen Lehren, die in allen etablierten christlichen Kirchen dominieren. Jesus sprach: “Ich habe Feuer auf die Erde geworfen. Und seht: ich hüte es, bis es lodert.” (Thomas 10) - Jesus sprach: “Werdet Vorübergehende!” (Thomas 42).

Die Schätze von Nag Hammadi beweisen, dass das Christentum weit vielfältigere und tiefere Wurzeln hat, als heute allgemein angenommen wird. Unter anderem gibt es eine Überlieferung über das Paradies wie in der Genesis, allerdings aus der Perspektive der Schlange! Auch eine Selbstbeschreibung Gottes in weiblicher Form findet sich in den Schriften.

Es ist schon aus den öffentlichen Diskussionen der letzten zehn Jahre völlig offensichtlich wie selektiv hier mit dem Begriff der “einen Wahrheit” umgegangen worden ist. Renommierteste Gelehrte aus allen Teilen der Welt haben die Politik des Vatikan in Zusammenhang mit den neueren Schriftfunden als untragbar bezeichnet.
Als sich im vierten Jahrhundert die konstantinsche Staatskirche etablierte, verboten die Repräsentanten der offiziellen Hierarchien alle anderen Evangelien. Sie wurden als häretisch bezeichnet, die vorhandenen Bände wurden verbrannt. Die gnostische Lehre, wie diese Überlieferung heute bezeichnet wird, passte nicht in eine Beamtenkirche und noch viel weniger in die von Paulus eingebrachten Kategorien. Die Gnostiker befassten sich wesentlich intensiver mit Gott, als die Amtskirchen das in der langen Zeit ihres Bestehens je taten. Sie sagen - gekürzt und vereinfacht, dass Gott, grundsätzlich unfassbar und unvorstellbar, dem menschlichen Geist nur im Schöpfungsprozess begreiflich werden kann. Gott bringt dann aus sich eine Kraft hervor, die alles vollbringt. Während “ER” als schweigend beschrieben wird, ist “SIE” es dann, die als Mutter des Universums alles Sein und Leben gebärt. Wie unendlich anders wären unsere Kultur und unsere Religion, wenn dem Baum der Erkenntnis nicht schon am Beginn unserer Zivilisation die meisten Wurzeln abgeschlagen worden wären.

Die systematische Abwehr aller nichtkonformen Texte und Ansichten wird nicht nur von der oder den Amtskirchen selbst wahrgenommen. Man bedient sich dabei in gleicher Weise abhängiger Institutionen und nahe stehender Regierungen. Zu solchen Institutionen zählen öfter als man glaubt Vereine, Gesellschaften, Medien und sogar Unternehmen. Die Verbindung wird über die leitenden Persönlichkeiten oder die Mehrheitsanteile hergestellt, häufig auf verschiedene Anteilsträger verteilt. Die Kanäle des Vatikan zu den Regierungen verlaufen heutzutage hauptsächlich über die konservativen Parteien, ganz besonders in Europa die des Öfteren noch das Attribut “christlich” in ihren Namen führen. Die Tradition der politischen Verbindungen wird seit Konstantin konsequent verfolgt. Was früher politische Koalitionen mit Kaisern oder Fürsten waren, sind heute Vereinbarungen mit politischen Parteien oder Lobbys. So gab es etwa im staatlichen Fernsehen europäischer Länder heftige Anstrengungen, die zunehmende Popularität der gnostischen Evangelien abzukühlen. Obwohl das der Ansicht einer Vielzahl ernstzunehmender Wissenschafter widerspricht. Zur Qumran-Gemeinde wurde gesagt, dass zwischen ihr und Jesus sicher kein direkter Zusammenhang bestünde. Auf die Hypothesen von Baighent und Leigh, die mit “Verschlusssache Jesu” zur selben Zeit auf den Bestsellerlisten aufschienen, wurde nicht näher eingegangen. Dieses Buch behandelt genau dieses Thema, nämlich die Qumran-Gemeinde und ihren Bezug zu Jesus und damit zum Christentum. Oft gibt es, trotz offizieller Trennung von Kirche und Staat, in staatlichen und halbstaatlichen Einrichtungen irgendwelche Beiräte oder ähnliches, in denen dann regelmäßig Kirchenvertreter sitzen. - Ein typisches Ergebnis unseres gesellschaftlichen Kompromisses mit den Kirchen, dessen Konsequenzen wir regelmäßig unterschätzen.


Paulinismus statt Christentum

So, wie es verschiedene Ansichten über die Relevanz der Texte gibt, werden gleichermaßen zahlreiche divergierende Theorien über die historischen Ereignisse in der Gemeinschaft der Anhänger Jesu in den ersten Jahrhunderten verbreitet. Eine Schlüsselrolle spielt in jeder Variante Paulus, seiner Herkunft nach ein Mann mit römischem Bürgerrecht, wahrscheinlich in römischem Sold. Ursprünglich unbarmherziger Jäger der ersten Christen, konvertierte er nach einem mystischen Erlebnis zum Christentum - sagt die Kirchenlehre. Unbestritten ist, dass Paulus das “Management” der ersten Gemeinden übernahm. Viele Kirchenhistoriker, die vom Kirchendogma unabhängig sind, stimmen dem zu, sagen allerdings darüber hinaus, dass dieser Paulus nicht der Lehre und dem Geist Jesu folgte. Diese Behauptung ist nun nicht von der Hand zu weisen, denn man braucht nicht einmal über die “offizielle” Fassung des Neuen Testaments hinauszugehen, um den Gegensatz zwischen den Worten und dem Wirken von Jesus Christus und den Anweisungen und Interpretationen

des Paulus deutlich sehen zu können. Paulus ist geprägt von einem Weltbild mit hellenistischem Einschlag. Er führt Kategorien des Denkens ein, die einerseits einen seltsamen metaphysischen Einschlag haben, andererseits trifft er quasijuristische Anordnungen.

Große Geister von Nietzsche bis George Bernard Shaw stellten fest, dass der Paulinismus sich über den Erdkreis verbreitete, nicht die Lehre Jesu. Paulus streute die Saat für die Lehre von der Erbsünde - damit für die chronische Schuldgefühlskrankheit der christlichen Welt. Er legt die Grundsteine für Hierarchie und absoluten Obrigkeitsgehorsam. Was für ein Gegensatz zu Jesus, der am Sabbat heilt und Ähren pflückt, um zu zeigen, dass das Gesetz für die Menschen sei und nicht umgekehrt! Zu dem die Menschen strömen, weil sie seine Kraft und seine Sendung spüren, bei dem sie Zuversicht und Freude schöpfen. Jesus hat keinerlei Organisationsregeln aufgestellt.

Im Folgenden zur Verdeutlichung eine kurze Gegenüberstellung von Textpassagen aus verschiedenen Evangelien mit Paulus-Worten:

Jesus

Wahrlich, wahrlich, sag ich dir, wenn jemand nicht neu geboren wird, so kann er das Reich Gottes nicht sehen. … Wahrlich, wahrlich, sag ich dir, wenn jemand nicht wiedergeboren wird aus dem Wasser und heiligen Geiste, so kann er in das Reich Gottes nicht eingehen. (Johannes 3)


Folge mir nach, und lasse die Toten ihre Toten begraben. (Matthäus 8,22)


Macht euch keine Sorgen…..
Betrachtet die Lilien, wie sie wachsen, sie arbeiten nicht und sie spinnen nicht. Aber ich sage euch, selbst Salomo in seiner ganzen Pracht war nicht gekleidet wie eine von diesen! (Lukas 12, 22 u. 27)


Sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, wird in ihm zur Wasserquelle, die ins ewige Leben fortströmt. (Johannes 4,14)


Vom Anfang der Schöpfung an hat Gott Mann und Frau erschaffen. Darum wird der Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen, und seiner Frau anhangen. Und es werden zwei in einem Fleische sein (Markus 10,6)


…seine Jünger im Dahingehen Ähren abzubrechen anfingen. Da sagten die Pharisäer zu ihm: Warum tun sie am Sabbat, was nicht erlaubt ist? ...Und er sprach zu ihnen: Der Sabbat ist für die Menschen gemacht, nicht der Mensch für den Sabbat. (Markus 2,23)



Paulus


Wisst ihr nicht, dass wir alle, die wir in Jesus Christus getauft sind, in seinem Tod getauft worden sind? Denn wir sind mit ihm durch die Taufe zum Tode begraben… (Römer 6,34)


…. Denn ich hatte mir vorgenommen, nichts unter euch zu wissen, als Jesus, und diesen als den Gekreuzigten. (1 Korinther 2,2)


Wisst ihr nicht, dass die, die im Rennen laufen, zwar alle laufen, aber nur einer den Preis bekommt? Lauft so, dass ihr ihn bekommt! (1 Korinther 9,24)


Denn sooft ihr dieses Brot esst, und diesen Kelch trinkt, sollt ihr den Tod des Herrn verkündigen… (1 Korinther 11,26)


Die Frauen sollen in den Versammlungen schweigen; denn es ist ihnen nicht gestattet zu reden, sondern sie sollen untertänig sein, wie auch das Gesetz sagt. (1 Korinther 14,34)


Jedermann unterwerfe sich der obrigkeitlichen Gewalt; denn es gibt keine Gewalt außer von Gott, und die, welche besteht, ist von Gott angeordnet. (Römer 13,1)




Es ist also nicht einmal im Rahmen der “ausgewählten” Schriften gelungen, eine Konsistenz der Inhalte herzustellen. Die Tatsache, der wir ins Auge sehen müssen, ist: die christlichen Kirchen sind auf Paulus gebaut. Ihre Form als Organisationen, ihre Dogmengebäude, ihre Ideen. Weite Felder der Theologie, wenn nicht der größte Teil, sind von Paulinischen Lehren geprägt. Paulus stellt seine eigenen Theorien auf, etwa, dass die persönliche Bekanntschaft mit Jesus nicht so wichtig sei, ebenso wenig das, was von ihm überliefert ist. Wichtiger wäre “Geist”, die eigene, innere Erleuchtung. Noch einmal - Paulus kannte Jesus nicht, ist ihm nie begegnet; er beruft sich vielmehr auf ein mystisches Erlebnis, das durchaus verschieden gedeutet werden kann.
“Durch einen einzigen Menschen kam die Sünde in die Welt und durch die Sünde der Tod, und auf diese Weise gelangte der Tod zu allen Menschen, weil sie sündigten”, können wir einem Brief des Paulus und dem Katechismus entnehmen. Weiters: “Wir wurden mit ihm begraben durch die Taufe auf den Tod…”. Jeder vernünftige Mensch würde spontan am Sinn dieser Worte zweifeln, hätten sie sich nicht in die Bibel verirrt. Die Geschichte von des Kaiser neuen Kleidern kann man ohne weiteres auf die meisten Mysterien der Theologie anwenden.

Paulus Lehre ist eine Hypothese zu Schuld und Sühne, eine seltsame Verherrlichung des Kreuzestodes Jesu, der doch eher eine Schande für die Menschheit ist. Die Lehre des Jesus von Nazareth ist die Verkündung eines liebenden Gottes, der uns verzeiht, ohne eine “Vorleistung” zu verlangen. Das wesentliche an seinem Leben ist nicht sein Tod, sondern die Auferstehung!

Ein weiterer interessanter Punkt ist das Verhältnis von Paulus zu Petrus. Das Klischee des harmonischen Apostelfürstenpaares wird nur noch von der Amtskirche aufrechterhalten. Am Beginn ihrer Beziehung gab es deutliche Spannungen. So wie Petrus beschrieben wird, dürfte er der Schwächere von beiden gewesen sein - er verleugnet Jesus gleich nach dessen Festnahme. Er versucht, Jesus den Gang der Dinge ändern zu lassen und wird mit den Worten “Hinweg von mir, Satan, du bist mir zum Ärgernisse,” (Mt 16,23) abgewiesen. Ziemlich sicher ist, dass Petrus später eher Paulus als Jakobus zuneigte, es ist daher wahrscheinlich, dass er Paulus unterstützte, um seine Anschauungen und insbesondere seine Textierungen durchzusetzen. Vielleicht einigten sich beide nach dem Motto “eine Hand wäscht die andere”. Die Bezeichnung Petrus als erster Papst ist völlig absurd und entbehrt jeder historischen Grundlage; er kam als Missionar einer verfolgten religiösen Minderheit nach Rom. Die Stelle im Neuen Testament, wo es heißt, “Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen, und die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen”, erscheint mehr als fragwürdig. Nicht nur im Zusammenhang mit den zuerst zitierten Stellen, sondern in Hinblick auf die Fehlerhaftigkeit der Prophezeiung: Papst auf Papst haben die Kirchenoberhäupter und eine Vielzahl von Bischöfen und Würdenträgern schon in der kirchlichen Frühgeschichte bewiesen, dass die Pforten der Hölle sich in kirchlichen Gefilden recht wohl fühlten. Es gibt folglich zu dieser Textstelle nur zwei Möglichkeiten, entweder der Text wurde zu Petrus Gunsten eingebaut, oder Jesus hätte sich geirrt. Ich glaube, ersteres ist der Fall.

Erst in den letzten 25 Jahren wurden wesentliche historische Fakten der Vorgänge in der Gemeinschaft der Urchristen aufgearbeitet. Auch in diesem Prozess spielte die römische Kirche keine glorreiche Rolle, ihr schien es mehr um die Unterdrückung aller Dokumente zu gehen, die neue Erkenntnisse vermitteln könnten. Insbesondere betrifft das verschiedene Schriftrollen, die seit 1947 am Toten Meer und an anderen Orten gefunden wurden. Diese Texte beziehen sich teilweise auf die historischen Vorgänge in den ersten Christengemeinden und lassen vieles in ganz neuem Licht erscheinen. Der Amerikaner Edmund Wilson hat 1969 erstmals die Problematik in Form eines Buches aufgerollt. Inzwischen erschien das Werk “Verschluss-Sache Jesus” von Baigent und Leigh, das rasch zum Bestseller avancierte und eine Zusammenfassung der Ereignisse seit den Funden von Qumran am Toten Meer bietet.

In diesem Buch werden die Ereignisse um die Schriftrollen von Qumran rekonstruiert, die Autoren gehen darüber hinaus auf den Inhalt derselben ein. - So wird geschildert, wie von Anfang an der Zugang und die Auswertung der Schriftrollen fest in katholischer Hand behalten wurde. Der erste Leiter der Gruppe war Pater de Vaux, Direktor einer von Dominikanern geförderten geistlichen Institution. Es gab parallel zur Erstarkung und flächenmäßigen Ausbreitung Israels Ansprüche des jungen Staates auf Zugang zum Material, die allerdings nur sehr schleppend und teilweise realisiert werden konnten. Später “vererbte” de Vaux sein Amt einem anderen Dominikaner. Alle Begleitumstände machen sehr deutlich, dass hier bewusst und geplant manipuliert wurde. Das beginnt bereits mit der Unterteilung des gesichteten Materials in “biblischen” Variationen bekannter Bibeltexte und in “Sektenmaterial”, was einer Vorverurteilung der Texte gleichkommt, die nicht in die katholische Bibelstruktur passen. Seit 1956 gehört jeder Leiter der katholischen Gruppe mit Monopolanspruch auf die Qumranrollen der päpstlichen Bibelkommission an. Der Leiter dieser Institution ist Kardinal Ratzinger, der Vorsitzende der Glaubenskongregation (früher: heilige Inquisition). In den frühen sechziger Jahren begannen einzelne Wissenschaftler, Teilstücke der Qumranrollen zu veröffentlichen, was regelmäßig großen Aufruhr unter der Monopolistengruppe von Roms Gnaden verursachte. Akademische Argumente waren leider meist nicht zur Hand, daher behalf man sich mit dem Vorwurf der Häresie oder ähnlichen propagandistischen Maßnahmen. Seit den siebziger Jahren sprechen umgekehrt Bibelforscher auf der ganzen Welt von einem Skandal, weil die katholische Gruppe nach wie vor die Veröffentlichung der Texte hintertreibt.

Hochinteressant war in diesem Zusammenhang die sofortige Reaktion des katholischen Apparates auf das Erscheinen des Buches “Verschluss-Sache Jesus”. In den der Kirche nahe stehenden Medien wurde ein Trommelfeuer eröffnet, das dem Buch jede Seriosität absprechen sollte. Professoren der Theologie und andere Kapazunder wurden bemüht, um diese so unpassenden Thesen ins Reich der Fabeln und Geschichten zu verweisen. Es erübrigt sich dazu zu sagen, dass es sich nur um Theologen handelte, die alle der Lehraufsicht durch die Amtskirche unterstanden.

Das soll nicht heißen, dass “Verschluss-Sache Jesus” nun die neue Bibel ist. Da aber viele der interessantesten Teile der Qumranrollen noch immer nicht veröffentlicht wurden, bleiben eben viele Fragen offen. Als bewiesen darf gelten, dass die mit den Texten befasste, katholisch geleitete Kommission das Material ohne jede moralische oder wissenschaftliche Berechtigung Jahrzehnte unter Verschluss hielt und hält. Diese Tatsache und die Reaktionen romtreuer Kräfte auf das Buch lassen die Schlussfolgerungen von Baigent und Leigh doch interessant erscheinen:

So wird die Hypothese skizziert, die Essener von Qumran seien identisch mit den Urchristen. Daher würden sich etliche der Texte auf Geschehnisse zu Lebzeiten und nach Jesus Christus beziehen. Inzwischen - nach Erscheinen des Buches - wurde wissenschaftlich erwiesen, dass einige der Texte zu Lebzeiten Jesu entstanden sind. Die Universität Zürich nahm eine Untersuchung mittels Beschleuniger-Massenspektrometrie vor, die mit wesentlich weniger Material auskommt als die herkömmliche C14-Methode. Weiters wird die Verfolgung der Urchristen in Damaskus als die Verfolgung der Gemeinde in Qumran interpretiert, was verblüfft, andererseits jedoch viel Verwirrendes aus der christlichen Urgeschichte in plausible Bahnen ordnen könnte. Speziell die Beweggründe und die Handlungsweise des Paulus. Es wird dann ausgeführt, wie die Rivalität zwischen der “Paulus-Gruppe” und den Urchristen in Jerusalem entsteht, schließlich sogar in gewalttätigen Angriffen kulminiert. – Der Streit zwischen den jüdischstämmigen und den römischen Gemeinden, profiliert in den Personen Jakobus, genannt Bruder des Herrn Jesus, und Paulus, sind ebenso aus der theologischen Auseinandersetzung in Form des Römerbriefs des Paulus und des Jakobusbriefs ersichtlich. - Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang Vers 12 des Thomas-Evangeliums, wo die Jünger fragen, wem sie folgen sollen, wenn Jesus einmal von ihnen gegangen sein wird. Er antwortet: “Da, wohin ihr gekommen seid, werdet ihr zu Jakobus, dem Gerechten, gehen, um dessentwillen Himmel und Erde geworden sind.” Paulus dagegen beharrt auf der Priorität von “Glauben” über allen anderen Dingen und nimmt damit Position gegen Jakobus.

Es ist enttäuschend, erkennen zu müssen, dass wenige Jahrzehnte nach Jesus Christus bereits Diskurse über theoretische Sätze im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen. Statt über theologische Hypothesen von damals und von heute zu streiten, statt die Wahrheit aus Ämtern abzuleiten, sollten wir uns vielleicht fragen, ob wir Christen diesen Jesus überhaupt jemals verstanden haben.

Die theologischen Thesen des Autorenduos Baigent und Leigh sind eher mit Vorsicht zu genießen. Die Geburt Jesu aus seiner Mutter Maria als Jungfrau “im wesentlichen” auf Paulus zurückzuführen, ist unhaltbar, besonders bei Einbeziehung der apokryphen Texte und schließlich - wir waren bereits bei diesem Thema - das ist eine Frage der Religion. Die Annäherung an die Wahrheit ist eine Gratwanderung. Durch die arrogante, einseitige Monopolisierung und Fälschung der Geschichte durch die römische und auch andere Kirchen tendieren alle jene, die diese Verfälschungen aufdecken, zu einem gewissen Extremismus in die Entgegengesetzte Richtung.

Es ist aber eine Tatsache, dass Paulus etwas vertritt, das nicht die Botschaft Jesu ist. Vielen ist das aufgefallen, darunter den Theologen Eisenmann und Deschner. Es lässt sich nicht ignorieren, wenn man nicht völlig verbohrt ist. Geht man von der Hypothese aus, dass Paulus eng mit den Vertretern der römischen Macht verbunden war, wird plötzlich vieles logisch: Die Richtung, die Paulus bald einschlägt, theoretisch und geographisch. Sein Metier ist Organisation, Dogmensemantik, sein Feld sind die Gemeinden, die fest im Griff Roms sind, nicht die im Gebiet jüdischer Besiedelung. Da er offenbar den größten Einfluss auf die schriftlichen Aufzeichnungen hatte, die wir kennen, müssen wir alle diese Texte mit der entsprechenden "Entschlüsselung” lesen. Die Apostelgeschichte wird inhaltlich zum größten Teil von Paulus beherrscht. Wer weiß, was aus den Evangelien Bericht, was Paulinische Propaganda ist?

Es ist nur konsequent, dass der von Paulus geprägte, nichtjüdische Zweig des frühesten Christentums, der bald vollständig dominiert, den Juden als Volk die Schuld an der Kreuzigung Jesu zuschreibt. Dies deckt sich mit der Bekämpfung der Gruppe um Jakobus, was natürlich ebenso antijüdischen Ressentiments Vorschub leistete.
Doch diese Schuldzuweisungen sind eine sehr gefährliche und gemeine Sache. Im Evangelium nach Nikodemus, das weit verbreitet und angesehen war, wird mit größter Wahrscheinlichkeit aus den Protokollen des Verfahrens gegen Jesus berichtet. Dass solche Unterlagen, die “acta Pilati”, später noch existierten, wird von mehreren römischen Autoren belegt. Wie aus diesen sehr ausführlichen Protokollwiedergaben hervorgeht, gab es während der Vorführung Jesu vor Pontius Pilatus eine große Zahl von Juden, die Jesus verteidigten. Sie bestritten die Verleumdungen der Priester. Etliche Zeugen berichteten, wie Jesus sie von ihren jahrelangen Leiden befreit hatte. Es ist auffällig, dass die vier “katholischen” Evangelien kein Wort über diese Juden, die Jesus verteidigten, enthalten. Verurteilt wurde Jesus in jedem Falle von Pontius Pilatus, im Namen des römischen Kaisers; der Landpfleger Pilatus hatte es trotz der Hetze der jüdischen Priester in seiner Hand, Jesus freizulassen oder milder zu bestrafen. Zu keiner Zeit ließen sich die Machthaber großer Reiche von der Bevölkerung besetzter Gebiete den Lauf der Dinge diktieren. Schon gar nicht in ihrer Verwaltung und Gerichtsbarkeit, die damals ja nicht getrennt waren. Das Urteil kam, wie gesagt, von Pilatus, damit von Rom. Wenn man schon Schuld verallgemeinern und über die Jahrhunderte transferieren will, dann kann man die Kreuzigung von Jesus Christus wohl nur vom römischen Reich in die nachfolgende Staatenstruktur übertragen, und das wäre wohl am ehesten das “Heilige Römische Reich” des Mittelalters, also mehr oder weniger Europa.

Paulus und seiner Denkschule dürften also große Verdienste um die erfolgreiche Aussaat des katholischen Antisemitismus zukommen, die Jahrtausende lang Frucht tragen wird.

Es ist, und das sollte die Schlussfolgerung sein, eine Tatsache, dass die Überlieferung der christlichen Frühgeschichte von Anfang an manipuliert wurde. Aus persönlichen und machtpolitischen Gründen oktroyierte speziell Paulus seine Anschauungen den ersten Gemeinden, aus denselben Gründen wurden wahrscheinlich schon damals schriftliche Überlieferungen “gefärbt”. Die spätere Auswahl dessen, was als “wahr” zu gelten habe, ist willkürlich und dient wiederum nur dem Zweck, das Paulinische Lehrgebäude zu stützen. In den folgenden Jahrhunderten wird dieser Zweck um das Bestreben ergänzt, Hierarchien und Organisationsformen abzusichern.








III. Die Nächsten Tausendachthundert Jahre

Die christlichen Kirchen unserer Zeit präsentieren sich einer Form, die zu Zeiten Christi und der von ihm gewählten Apostel nicht einmal ansatzweise existierte. Wann entstanden Hierarchien von Amtsträgern, Bischöfen und Prälaten, wie kam es überhaupt zu einer Aufteilung der Gläubigen in “Kleriker” und “Laien”? Warum nimmt in der katholischen Kirche der Papst die Stellung eines fast unbeschränkten Alleinregenten ein?


Die Frühzeit des Christentums

Die ersten christlichen Gemeinden, die, soweit auf römischem Hoheitsgebiet, ihr Gemeindeleben und ihre Liturgie weitgehend in den Untergrund verlegen mussten, hatten Älteste (Presbyter) und Diakone, die verschiedene Dienste für die Gemeinden verrichteten. Eine Trennung in Geistliche und “Laien” gab es in unserem heutigen Sinne nicht, die anderen Gemeindemitglieder waren genauso zur Mitarbeit aufgefordert. “Bischöfe” waren die jeweiligen Führer der Gemeinden, wie sie etwa in Rom in den ersten paar hundert Jahren vom Gemeindevolk gewählt wurden. Ein Ehelosigkeitsgebot existierte für niemanden. Erst im Lauf des vierten Jahrhunderts gibt es Tendenzen in Richtung Zölibat.

Im ersten und bis ins zweite Jahrhundert gab es keine starre, einheitliche Organisationsform für die Gemeinden. Man passte sich den Erfordernissen an.
Einen “Papst” gibt es in dieser Periode überhaupt nicht. Die Bischöfe von Rom waren bis ins vierte Jahrhundert relativ bedeutungslos; man hatte andere Probleme: Mit den römischen Autoritäten und der jüdischen Gemeinde vor Ort, zu der ein Spannungsverhältnis bestand. Und sogar innerhalb der Gemeinde gab es Fraktionen. So entbrannte anlässlich einer Bischofswahl im vierten Jahrhundert ein Streit zwischen zwei rivalisierenden Gruppen. Man konnte sich nicht einigen, der Streit eskalierte in Kampfhandlungen, die sich hauptsächlich in einer Kirche abspielten und viele Tote forderten. Der aus diesen Gewalttätigkeiten hervorgegangene Bischof - in der heutigen Diktion Papst - Damasus nannte sich als erster “Nachfolger des Petrus”.
“Nachfolger des Petrus” schien deshalb Autorität zu vermitteln, weil nach römischkirchlicher Doktrin Petrus das Oberhaupt der Gesamtkirche nach Jesus sein sollte. Dies wiederum basiert auf den Worten des Neuen Testaments, die uns schon beschäftigt haben: “Du bist Petrus, und auf diesen Fels will ich meine Kirche bauen, und die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen.” Gerade diese Worte aber sind schon durch die frühe Kirchengeschichte widerlegt. Es dürfte sich bei dieser Bibelstelle, wie schon ausgeführt, um eine bewusst eingeschobene Verfälschung handeln. Auf dieser Manipulation wiederum baut sich die Stellung derjenigen auf, die am schlimmsten unter ihren Mitmenschen gewütet haben, der Päpste. Selbst die so genannten Kirchenväter, also die Kirchenlehrer hohen Ansehens, haben diesen fragwürdigen Text niemals auf die Bischöfe von Rom bezogen.

Als Kaiser Konstantin im vierten Jahrhundert mit dem Edikt von Mailand seinen Untertanen Religionsfreiheit gewährt, beginnt die fatale Hochzeit von Kirche und Staat. Im Jahr 380 schließlich wird das Christentum Staatsreligion. Damit beginnt die Zeit des Purpur und des Reichtums, das Diktat der Macht. Und spätestens hier endet die Botschaft des Jesus von Nazareth, soweit sie von der Kirche jemals verkörpert wurde. Doch noch ist der Bischof von Rom kein Papst. Der Kaiser war das Zentrum der Macht, für die Kirche genauso wie für die Welt. Die Bischöfe, der von Rom gleichermaßen, mussten ihm huldigen, er war ihr Lehnsherr. Das erste Konzil, das von Nicäa, wurde von Konstantin einberufen, der zu diesem Zeitpunkt selbst weder die Inhalte des Christentums angenommen hatte noch getauft war. In den nächsten dreihundert Jahren wurde die Kirche immer mehr wie das römische Reich, ein Hofstaat von Beamten und Günstlingen, der auch nach außen seinen Anspruch auf weltliche Macht untermauern wollte. Bis zu Karl dem Großen gibt es jedoch keinen Zweifel am Primat des Kaisers über alle Bischöfe. Doch dann versuchen die römischen Kirchenfürsten, ihre Macht auszubauen.

Durch ihre gewachsene Bedeutung wird die Kirche nun eine politische Größe, und das Spiel um die Macht zwischen weltlichen und geistlichen Fürsten sollte eine sehr lange Zeit die Geschichte des Abendlandes prägen. Die Ziele der Kirche, später der Päpste, sind Macht und Geld. Schließlich geht es den Päpsten sogar um die Oberhoheit gegenüber dem Kaiser. Dabei wird auf die Essenz des Evangeliums wenig Bedacht genommen, es sind immerhin härteste politische Auseinandersetzungen unter Anwendung aller bekannten Methoden zur Erlangung der eigenen Ziele. Diese Methoden sind Mord, Totschlag, Krieg, Raub, Fälschung etc. etc. Daneben erscheinen andere offensichtliche Gegensätze zur Lehre Jesu, wie Prunk und Reichtum der Kirchenfürsten, als eher zweitrangige Probleme. Nur kleine Sekretäre hoher Herren oder niedrige Priester hinterlassen uns manch zynische Beschreibung der Lebensgewohnheiten höherer Würdenträger. Symbole der Macht, Titel und Würden, alles wird der Kirche oder dem Papst einverleibt, selbst wenn es in krassestem Widerspruch zur Lehre Jesu steht. Noch heute ist einer der päpstlichen Titel “Pontifex Maximus”, oberster Brückenbauer. Die Bezeichnung galt ursprünglich dem hohen Priester von Rom und geht auf die etruskische Tradition der Totenstädte zurück - der hohe Priester als der, der die Brücke zwischen den Toten in der Totenstadt und der Stadt der Lebenden schlägt. Später stand der Titel dem römischen Kaiser zu. Es handelt sich also um eine höchst heidnische Funktion, mit der sich bald die Päpste bekleiden.

Es würde den Rahmen dieser Übersicht bei weitem sprengen, wenn die Verbrechen und Schandtaten der historischen Päpste vollständig geschildert werden sollten. Es folgt daher ein Überblick im Zeitrafferstil, ein Mosaik aus vielen Details ohne Anspruch auf Vollständigkeit, doch mit der Intention, das Typische zu zeigen. Leser mit Tiefergehenden Interessen verweise ich auf Peter de Rosa, “Gottes Erste Diener”, belletristisch ansprechend und nichtsdestoweniger wissenschaftlich. Leider sind die wichtigsten Werke zu diesem Aspekt der Kirchengeschichte, nämlich die des Deutschen Theologen Karlheinz Deschner, nicht in Englisch erschienen.

Der Machtanspruch des Bischofs von Rom nimmt seinen passenden Ausgang in einem gewaltigen Betrug. Im achten Jahrhundert ließ Papst Stephan III. eine Schenkungsurkunde fälschen, die auf das Jahr 315 zurück datiert war und vorgab, dass Kaiser Konstantin der Kirche und dem Bischof von Rom die mittelitalienischen Länder samt Rom geschenkt hätte. Weiters war eine Passage eingebaut, die Kaiser Konstantin die Erhöhung des “Stuhles Petri” über die kaiserliche Macht in den Mund legte. Nachdem der Frankenkönig Pippin die Langobarden in Italien besiegt hatte, gab er die gemäß der Fälschung angeblich dem Papst gehörenden Ländern an Stephan III. “zurück”. Die Machtposition der Kirche und ihre weltlichen Besitztümer, so wie heute der Stadtstaat Vatikan, gehen also auf ein gefälschtes Dokument zurück. Erst nach beinahe siebenhundert Jahren wurde die noch dazu plumpe Fälschung entlarvt. Bezeichnend ist, dass die römische Kirche noch hunderte Jahre auf der Echtheit der Urkunde beharrte, zu einer Zeit, als die Fälschung längst erwiesen war. Mit Stephan III. und der “Konstantinschen Schenkung” wurde das Zeichen für die weltlichen Machtansprüche des Papstes gesetzt. Die folgende Epoche ist die Zeit des Kampfes um die Vorherrschaft zwischen Kaiser und Papst.

Der gewaltige Machtanspruch der katholischen Kirche beruht also einerseits auf der Fiktion der besonderen Bedeutung des Bischofs von Rom, andererseits auf den gefälschten Dokumenten der “Konstantinschen Schenkung”. Die Idee des Papsttums wurde vierhundert Jahre nach Christus erstmals formuliert, der Betrug des Papstes Stephan III. weitere vierhundert Jahre später.


Von Karl bis Gregor

Von der Herrschaft Karl des Großen bis zur Jahrtausendwende regierten die Päpste kurz. Viele wurden gestürzt, einige ermordet. Manche waren sogar verrückt, wie Stephan VI., der die Leiche des Papstes Formosus ausgraben und verhören ließ. Andere waren schlicht Gauner, zum Beispiel Benedikt V., der mit einem Großteil des Kirchenschatzes aus Rom floh, nachdem er ein junges Mädchen verführt hatte. Später musste er ziemlich erbärmlich abdanken.

Im zehnten Jahrhundert betreten zwei Kurtisanen die Bühne der Kirchengeschichte, die jeden Glauben an die Leitung der Kirche durch den heiligen Geist Lügen strafen. Theodora brachte es zustande, dass ihr Liebhaber als Johannes X. Papst wurde. Theodoras Tochter Marozia war schon mit fünfzehn die Mätresse des Vorgänger-Papstes Sergius III. gewesen. Später heiratete Marozia Graf Alberich von Tusculum. Dieser wiederum verlor einen Machtkampf gegen Johannes X. und wurde getötet. Nach dem Tod Theodoras ließ Marozia nun Johannes ermorden. Bald darauf wurde der Sohn von Marozia und Papst Sergius III., ihrem ersten Liebhaber, als Johannes XI. Papst.

Der zweite Sohn Marozias, Alberich, ließ seinen Halbbruder, den Papst, und seine und damit auch des Papstes Mutter gefangen nehmen. Sein Sohn, Oktavian, wurde im Jahr 955 als Johannes XII. inthronisiert. Er hielt sich ein Privatbordell im Lateranpalast, zahlte seine Mätressen aus dem Domschatz von Sankt Peter, und machte selbst vor Inzest nicht Halt. Er mordete, verstümmelte und wütete derartig, dass Kaiser Otto I. versuchte, ihn wegen dieser Verbrechen abzusetzen.

Selbst in einer amerikanischen Fernsehserie würde diese Aneinanderreihung von Abscheulichkeiten übertrieben wirken; es sind jedoch Fakten, die historisch belegt werden können. Bis in die Neuzeit wurden diese Tatsachen geleugnet, kein Christ konnte etwas darüber in den offiziellen Aufzeichnungen über die Kirchengeschichte erfahren. Mit dem Buch “Der Papst und das Konzil” von J.H.Ignaz von Döllinger, das 1869 erschien, wurde erstmals die Realität der Kirchengeschichte zum Teil ins Licht der Allgemeinheit gerückt, wobei es hier primär um die Stellung des Papstes gegenüber einem Konzil bzw. der Gesamtkirche ging. Döllinger war einer der renommiertesten Professoren für Kirchengeschichte in Deutschland. Sein Buch wurde auf den Index gesetzt, also vom Vatikan für Katholiken verboten, Döllinger wurde später exkommuniziert. Dabei befand er sich in guter Gesellschaft, da zu dieser Zeit im deutschsprachigen Raum zwanzig Professoren exkommuniziert wurden, die sich nicht mit der Unfehlbarkeitstheorie anfreunden konnten. - Das Verhältnis der Kirche zur Wahrheit und zu den eigenen Unzulänglichkeiten und Verbrechen hat sich in den letzten tausend Jahren um kein Jota verändert. Es wird vertuscht und eisern geschwiegen. Erscheinungen wie Papst Johannes XXIII., die selbst von den Fehlern der Kirche sprechen und Reformen vorantreiben wollen, sind kurze Abweichungen, die schnell korrigiert werden.

Dieser Zwang, nicht zugeben zu dürfen, dass diese Amtskirche aus morschem Gebälk besteht, dass die Throne der Kirchenfürsten auf dünnem Eis stehen, dieses Verweigern der Realität ist ein Ausdruck der Verzweiflung. Wer Absolutheit beansprucht, kann keinen Millimeter weichen.

Dadurch ist schon vorprogrammiert, wie dieses Scheingebilde enden wird: Nicht durch eine Erneuerung, nicht durch einige Personen, die es vielleicht ehrlich meinen werden. Dafür ist es zu spät, die Institution ist zu komplex, sie hat eine Eigendynamik, die aus Jahrhunderten schöpft. Das Ende wird schrecklich sein, es wird der vollkommene Zusammenbruch sein, die Enthüllung der ganzen Wahrheit, nämlich, dass alle Ansprüche der heiligen katholischen Kirche leerer Wahn sind.

Doch zurück zur Jahrtausendwende, noch ist unser kurzer Abriss nicht beendet. Auf Johannes XII. folgte ein Paar von Papst und Gegenpapst, dann Johannes XIII. Dieser stand seinem Namensvetter Nummero XII. kaum nach, kann wahrscheinlich als Massenmörder bezeichnet werden und erfand bestialische Grausamkeiten für seine Gegner. Beide Johannes endeten auf die selbe Art und Weise, sie wurden von betrogenen Ehemännern erschlagen.

Mehrere Päpste des Mittelalters hatten Priester als Väter, manche sogar einen Papst.
Wir überspringen einige Jahre, damit einen Kindpapst, der früh zu den Qualitäten seiner Vorgänger heranreift und mehrmals aus Rom verjagt wird, drei Männer, die gleichzeitig Anspruch auf die Tiara erheben, eine Blütezeit der Simonie, des Ämterkaufs, die sogar die Papstwürde käuflich werden lässt. Der Nepotismus feiert fröhliche Urstände; während der ganzen Epoche leiten Kirchenfürsten Kirchenschätze und Vermögenswerte in ihre Familien um.

1073 wird Gregor VII. Papst. Nach langen Jahren betritt wieder einmal ein echter Machtpolitiker die Bühne der Sancta Catholica, ein Mann, dessen Perspektive nicht bei den Finanzen seiner Familie oder seinen eigenen sexuellen Bedürfnissen endet. Er ist besessen von der Idee, das Papsttum an den Gipfel der Macht zu bringen, es über den Kaiser zu erheben. Seine Argumentation wird ganz wesentlich unterstützt durch eine Dokumentenwerkstatt, die fälscht und produziert, was das Zeug hält. Alles, was der Papst braucht, wird hergestellt. Insbesondere legt Gregor mit Hilfe seiner “Dokumente” fest, dass der Papst selbst Könige und sogar den Kaiser exkommunizieren kann, und dass jeder Kontakt mit den Exkommunizierten verboten sei. Große Teile der gefälschten Dokumente flossen in der ersten Hälfte des zwölften Jahrhunderts in die Kodifikation des kirchlichen Rechts ein, wurden Teil des Codex Iuris Canonici, der Basis und Verfassung der Kirche.

1076 kam es zur entscheidenden Kraftprobe zwischen Papst und Kaiser. Gregor belegte Kaiser Heinrich mit dem Kirchenbann; er erklärte ihn für abgesetzt und exkommunizierte zugleich alle, die ihm weiter dienen würden. Heinrich erklärte im Gegenzug die Wahl Gregors zum Papst für null und nichtig. Doch etliche Fürsten schlugen sich aus politischen Gründen auf die Seite Gregors, sogar einige Verwandte des Kaisers. Heinrich wurde in die Enge getrieben, er musste zum berühmten Canossagang aufbrechen. Vor der Bergfestung Canossa musste der Kaiser des heiligen römischen Reiches mit einer Kutte bekleidet Abbuße leisten. Gregor hatte den Kaiser bezwungen. Sein Anspruch war nun nicht weniger, als der Herr über die geistlichen und die weltlichen Fürsten zu sein, höher noch als der Kaiser. Oder, wie es die Gelehrten der damaligen Zeit ausdrückten, beide Schwerter, das der weltlichen und das der geistlichen Macht, sind dem Papst von Gott gegeben. Der Kaiser empfängt sein Schwert vom Papst, ist also sein Vasall.

Natürlich blieb es nicht bei diesem einem Streit, der Kampf wogte noch einige Jahrhunderte hin und her. Aber der Anspruch war formuliert und sollte bleiben, und dieser Anspruch ist, nüchtern betrachtet, nicht weniger als die “gottgegebene” Weltherrschaft. Dieser Punkt in der Kirchengeschichte ist von größter Wichtigkeit, denn der Anspruch auf die Weltherrschaft wurde nie aufgegeben. Wie wir sehen werden, wird dieser Anspruch durchaus konkret auf einer anderen Ebene aufrechterhalten.

Nach Papst Gregor hießen die Päpste nicht mehr “Stellvertreter Petri”, was ja schon ein höchst fragwürdiger Titel war, sondern “Stellvertreter Christi”. Es steigerte sich also der Machtanspruch der Bischöfe von Rom im Laufe der politischen Geschichte und ihrer machtpolitischen Erfolge bis zu diesem absurden Gipfel. Einige hundert Jahre früher wäre das Ansinnen, sich “Stellvertreter Christi” zu nennen, als Blasphemie bezeichnet und der Bischof, der dies verlangte, abgesetzt und ausgestoßen worden. - Dieser Höhepunkt der politischen Macht des römischen Bischofssitzes hatte natürlich in gleicher Weise einen Effekt auf die innerkirchliche Stellung des Papstes. Ab nun galten in der Kirche die Regeln Roms, und zwar weltweit. Das Primat des Papstes in der katholischen Kirche gründet sich also im Wesentlichen auf machtpolitische Erfolge im Mittelalter, welche wiederum auf Fälschungen und Manipulationen der kirchlichen Überlieferungen gebaut sind.

Innozenz III., der Nachfolger Gregor des VII. zementierte die Macht des Papstes. Jeder Geistliche wurde dem Papst zum Gehorsam verpflichtet. Kompromisslos exkommunizierte er, belegte ganze Länder mit dem Kirchenbann und verursachte mehrere Kriege.

Innozenz IV. musste nach Lyon ins Exil. Als er nach Rom zurückkehrte, schrieb einer seiner Kardinäle einen “Dankbrief” an die Lyoner: “... Bei unserer Ankunft fanden wir nur drei oder vier Schwestern der Liebe, doch zu unserem Abschied hinterlassen wir euch sozusagen ein einziges Bordell, vom Westtor bis zum Osttor.”

Der nächste bedeutende Verbrecher war Papst Bonifaz III. Er kam durch einen Schwindel an seinem Vorgänger zu Amt und Würden. Seine Feinde verfolgte und vernichtete er unerbittlich und grausam.

Zu literarischen Ehren kam dieser Papst durch den großen Dante Alighieri, seinen Zeitgenossen, in der Göttlichen Komödie. Dort prophezeit Dante dem Bonifaz einen sicheren Platz im achten Kreis der Hölle: “Bist du schon eingetroffen, bist du schon eingetroffen, Bonifaz?”, ruft Papst Nikolaus III., der kopfüber in eine Felsspalte eingeklemmt ist und von glosendem Feuer gequält wird, so dass seine Füße unter züngelnden Flammen zucken. Diese Strafe sieht Dante allen vor, die Simonie betreiben, also im Namen Gottes Geschäfte machen (eine sehr schöne und anschauliche Darstellung findet man in William Blakes Bild “The Simoniac Pope”). Der Genius Dante gibt im neunzehnten Gesang über die Hölle überdies eine höchst bemerkenswerte Interpretation des siebzehnten Kapitels der Apokalypse. Dort wird eine Frau als der Inbegriff des Gräuels und der Sünde gezeichnet. Sie sitzt auf einem Tier, ist mit Purpur und Scharlach bekleidet, mit Gold und Edelsteinen bedeckt. Diese große Hure Babylon, die mit den Königen der Welt im Bett liegt, verkörpert demnach niemand anderen als die Päpste und geistlichen Führer der Christenheit selbst, “Die Guten tretend und erhöhend die Schlechten”.


Die Macht schwindet

Ab 1309 residierte der Papst auf Befehl des französischen Königs in Avignon. Die Ausschweifungen und die Pfründenwirtschaft speziell Clemens VI. wurden im christlichen Abendland Legende. Petrarca beschrieb den Hof dieses Papstes als Kloake.
1378 beginnt das große Schisma, es gab stets mindestens zwei, teilweise drei Päpste, die sich ihre Berechtigung gegenseitig abstritten. Darunter waren Figuren wie der Mörder Bonifaz IX., der jedes Amt an jeden zu verkaufen bereit war, oder Cossa, ein Räuber, Pirat und auch sonst Wüstling auf jedem Gebiet, der nicht an die Unsterblichkeit der Seele, wahrscheinlich genauso wenig an Gott glaubte. - Erst 1417, auf dem Konzil zu Konstanz, konnte man sich wieder auf einen einzigen Papst einigen. Weiters erklärte das Konzil, dass es in seinen Entscheidungen und in Glaubensfragen die höchste Autorität der Christenheit sei, die selbst den Papst binde. Diese Ansicht war keineswegs revolutionär, da in theologischen Lehrfragen bis dahin regelmäßig Konzile entschieden hatten. Der Pontifex übte seine absolute Position in der Verwaltung und Politik der Kirche aus und zog langsam auch die gesamte Personalhoheit an sich. - Die entscheidende Frage zwischen Kirche und Kaiser, zwischen Konzilen und dem Papst, war immer nur, wer was durchsetzen konnte. Bis zum Ersten Vatikanischen Konzil wurde in allen Konzilen die höchste Autorität der Versammlung der Bischöfe bestätigt. Doch dann, beim Ersten Vaticanum (1870), wurde der Papst, und er allein, an die erste Stelle gerückt.

Nach dem Konzil von Konstanz, auf dem nebenbei der “Ketzer” Ian Hus verbrannt wurde, verfielen die Sitten zusehends, Ämterkauf, Vetternwirtschaft und Ausschweifungen standen nicht nur in Rom auf der Tagesordnung. Im Jahr 1484 erkennt Papst Innozenz VIII. seine illegitimen Kinder offiziell an. - 1492 wird Alexander VI. inthronisiert. Alexander, der Borgia, musste hohe Bestechungsgelder aufbringen, um gewählt zu werden. Zehn uneheliche Kinder sind von ihm bekannt. Als er auf die sechzig zuging, nahm er sich eine jüngere Geliebte, ein fünfzehnjähriges, verheiratetes Mädchen. Diverse Orgien sind aus dieser Epoche überliefert. Alexander kassierte bei jeder Ernennung eines Kardinals, etliche wurden deshalb vergiftet, um neuen Anwärtern Platz zu machen. Sein Sohn Cesare, kurzfristig Bischof und Kardinal, war ein Ungeheuer. 1504 beginnt der Dominikaner Tetzel in Deutschland, als Repräsentant des Papstes Ablässe zu verkaufen. Dem einfachen Volk wurde eingeredet, mit Geld sein Seelenheil erkaufen zu können. Die Spielarten und Auswüchse des Ablasshandels waren unbegrenzt. Der Ablass war einer der wesentlichen Beweggründe für Martin Luther, sich von Rom loszusagen. Das Papsttum, der ganze päpstliche Hof mit all seinen Kardinälen und Bischöfen, war an einem weiteren moralischen Tiefpunkt angelangt. Dante, Bonaventura der Franziskanergeneral und viele andere Zeitgenossen des Mittelalters verdammten Rom und die Kurie als schlimmste Sünder, der Hurerei, Raffgier und Trunksucht ergeben, “verderbter, als je Babylon oder Sodom war...”, wie Luther schrieb. Für die Duldung ihrer Lebensgefährtinnen mussten die Priester dem Bischof eine Abgabe, den so genannten “Hurenzins” leisten. Die Fürsten im Purpur dagegen hielten sich häufig gleich mehrere Geliebte.

Mit Luther und Calvin zerfiel die Einheit der römischen Kirche. Die Protestanten etablierten sich noch im selben Jahrhundert als politische und religiöse Kraft. Der Machtmissbrauch vieler Kirchenfürsten und die Auswüchse am vatikanischen Hof waren Dinge, die Luther und andere Reformisten nicht mehr tolerieren konnten. Ihrer Ansicht nach sollte die Kirche sich auf ihre ureigenste Aufgabe besinnen, nämlich das Evangelium verkünden. Auch wenn sich die aus diesen Veränderungen entstandenen Kirchen inzwischen wieder in andere Richtungen entwickelt haben – der ehrliche Anspruch der Reform war wohl der größte Erfolgsfaktor der Erneuerer. Der Größenwahn Roms hat diesen herben Machtverlust selbst verursacht.

Reformation und Gegenreformation führten zu gewaltigen politischen und gesellschaftlichen Veränderungen in Europa, letztlich auf der ganzen Welt. Verheerende Kriege, die Vertreibung ganzer Bevölkerungsgruppen aus manchen Landstrichen und die Spaltung der Herrscherhäuser Europas waren wohl nur die offensichtlichsten historischen Konsequenzen dieser Entwicklung. Damit war auch der flächendeckende Einfluss des Bischofs von Rom zu Ende.

Im Jahr 1870 verlor Papst Pius IX. die Länder des Kirchenstaats endgültig. Die mittelitalienischen Länder wurden für das neue Italien erobert, gegen den erbitterten militärischen Widerstand des Papstes. Die ehemaligen Untertanen des heiligen Stuhls jubelten, denn sie waren von einem despotischen Regime befreit. Wie in einer Diktatur hatte eine kleine Gruppe von Kurienklerikern im Namen des Papstes geherrscht, mit Mitteln der Zensur, des Polizeistaates und Justizterrors. Was blieb, ist der Stadtstaat in Rom, wie wir ihn heute kennen.

Vielleicht noch bedeutsamer als das Ende der weltlichen Macht ist freilich der Beginn der unumschränkten geistlichen Macht des Papstes im selben Jahr 1870. Das erste Vatikanische Konzil hatte die Unfehlbarkeit des Papstes beschlossen. Rund 140 Bischöfe fehlten zwar bei der Abstimmung, doch fünfhundert unterstützten den “Antrag” Pius des IX. - Damit war der uralte Rechtssatz gebrochen, dass das Konzil die höchste kirchliche Autorität sei. Seit 1870 diktiert der Papst den Rest der Kirche. - Wir werden darauf noch zurückkommen.


Die Inquisition

Eine der schrecklichsten Erscheinungen der abendländischen Geschichte ist die Inquisition. Sie wurde im dreizehnten Jahrhundert von Papst Gregor IX. ins Leben gerufen, der allen Katholiken befahl, die Ketzer zu verfolgen. Als Ketzerei wurde aber nicht etwa die vollständige Perversion der Lehre Jesu durch verdorbene, prunksüchtige und wahnsinnige Päpste oder Bischöfe betrachtet, sondern jede Äußerung oder Handlung gegen päpstliche Erlässe, bald schon der Verdacht darauf. Wer nur im geringsten Anlass zur Vermutung gab, einem kirchlichen Dogma zu widersprechen, wurde vor die geistlichen Büttel gezerrt. Gregor ordnete an, dass die Ketzer den weltlichen Behörden zur Verbrennung zu übergeben seien; bestenfalls sollten sie lebenslang ins Gefängnis gesteckt werden. Hauptsächlich die Dominikaner übernahmen die Aufgabe der Inquisitoren. In der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts wird ihnen erlaubt, zu foltern. Jeder, der von der Meinung Roms abwich, musste mit dem Scheiterhaufen rechnen.

An der grundsätzlichen Haltung der Kirche gegenüber Andersdenkenden hat sich bis heute nichts geändert. Es gibt nur zwei Möglichkeiten, Häretiker oder Heide. Da heute Häretiker nicht mehr verbrannt werden dürfen, bedient man sich anderer Methoden und versucht dabei nach wie vor, die weltliche Macht mitzubenützen - doch dazu später.

Die Inquisitoren unterstanden nur dem Papst, konnten also über Bischöfe und Fürsten richten, wie es ihnen in ihrer Doppelrolle als Richter und Ankläger gefiel. Auch Zeugen durften gefoltert werden, und Familienmitglieder mussten gegen ihre Angehörigen aussagen. Natürlich wurden die Vermögenswerte der Opfer konfisziert und zwischen den Dominikanern und dem Papst aufgeteilt. Das Flagellantentum war unter den Inquisitoren verbreitet, vielleicht ermutigte es sie, auch andere zu quälen. (Heute kommt die Selbstgeißelung in der katholischen Sekte “Opus Dei” wieder zu Ehren.) Der Beschuldigte durfte keine Zeugen zu seiner Entlastung namhaft machen, meistens wurde ihm nicht einmal die Anklage mitgeteilt. Überflüssig zu sagen, dass jeder rachsüchtige Nachbar und jeder Denunziant sich des Arms der “heiligen Inquisition” bedienen konnte. Die Inquisition konnte jeden Zeugen verwenden, Neider des Angeklagten, Verbrecher, Irre - jeden. Die Foltermethoden variierten und befriedigten offenbar die perversen Gelüste der mönchischen Inquisitoren. Mit den Hinrichtungen machten sich die geistlichen Herren nicht selbst die Hände schmutzig - nach der Verurteilung wurden die Opfer den weltlichen Bütteln übergeben, die für die Verbrennung zu sorgen hatten.

Der berühmteste aller Großinquisitoren, Thomas von Torquemada, forderte allein 114.000 Opfer; 10.220 wurden verbrannt. Allein daran kann man ermessen, wie viele Hunderttausende im langen Zeitalter der Inquisition insgesamt verfolgt, gequält und ermordet wurden. All das geschah im Namen der heiligen katholischen Kirche, im Auftrag des “Stellvertreters Christi”. Noch im neunzehnten Jahrhundert wurden in einem Dominikanerkloster Folterkammern und misshandelte Gefangene der Inquisition entdeckt, und wurden in manchen Gegenden “Ketzer” verbrannt. Hexen wurden zu Tausenden durch die Inquisition produziert und anschließend verbrannt. Produziert, weil sie erst unter den grausamsten Folterwerkzeugen die perversen Geständnisse liefern konnten, die die sadistische und perverse Erwartung der Inquisitoren befriedigte. Die Folterungen waren jeweils von den Angehörigen zu bezahlen. In manchen Diözesen gab es detaillierte Preislisten, was etwa die Tortur mit glühenden Zangen oder das Ausgießen des Mundes mit geschmolzenem Eisen kostete. Es muss die Frage erlaubt sein, welche Geisteshaltung eine so menschenverachtende Maschinerie über Jahrhunderte aufrechterhalten konnte.

Judenverfolgungen auf Geheiß von Päpsten oder angestachelt von der Kirche können viel weiter zurückverfolgt werden als die Inquisition, die natürlich genauso hinter den Juden her war. Der “Kirchenvater” Chrysostomos lehrte bereits im vierten Jahrhundert, dass Gott die Juden hasse. Die guten Christen hielten sich daran, ob als Kreuzritter oder als Teilnehmer an Pogromen, etwa, weil die Juden eine Hungersnot verursacht hätten. Der Beginn der Diskriminierung war das Staatskirchentum des Konstantin, das zugleich die Rechte der Juden gegenüber den Christen beschnitt. Später wurde der Antisemitismus in mehreren Konzilen bekräftigt; man zwang die Juden, Schandzeichen zu tragen, so wie es die Nazis später wieder machten. Wenn man so will, der letzte Akt einer Auseinandersetzung zwischen Juden und Römern, die zwischen Petrus und Jakobus begonnen hatte.

Im sechzehnten Jahrhundert produzierte Papst Paul IV. eines der schlimmsten Dokumente des Judenhasses in der Geschichte. Die Bulle “Cum Nimis Absurdum” bezeichnete die Juden als die Mörder von Jesus Christus und Sklaven von Natur aus. Die Juden mussten nach dem päpstlichen Befehl ihr Eigentum mehr oder weniger an Christen verschenken und in Ghettos ziehen, die nächtens abgeschlossen wurden. Die meisten Synagogen wurden niedergebrannt. Den Juden waren die meisten Berufe und praktisch jeder Kontakt mit Christen untersagt. Aus diesen Beschränkungen ergab sich ein elendes, dreckiges, von Armut und Krankheiten gezeichnetes Leben für die Juden. Die Bulle, die rasch in vielen Städten Wirkung zeigte, ist in offiziellen Dokumentationen der Kirche nur schwer zu finden. Kein Wunder, kann sie doch als der “amtliche” Grundstein für den christlichen Antisemitismus gelten, und Papst Paul IV. als Erfinder des Judenghettos.

In Rom existierte das Ghetto bis zur Befreiung durch die italienische Armee 1870. Einige Jahre vorher erregte ein Skandal europaweit Aufsehen, dem die Lust der Kirche an der Konvertierung von Juden zugrunde liegt. Ein jüdisches Kind, das vor Jahren in Bologna geheim, also ohne Wissen der Familie, getauft worden war, wurde gewaltsam nach Rom gebracht, um dort als Christ erzogen zu werden. Immer wieder waren nach erzwungenen Taufen Kinder von Eltern getrennt worden. Doch nun empörten sich sogar europäische Monarchen, was jedoch Pius IX. nicht sonderlich beeindruckte. Der Anspruch, im Alleinbesitz der Wahrheit zu sein, ist keine theologische Theorie, sondern bildet die Grundlage für das Handeln des Vatikans. Und es besteht nicht der geringste Zweifel daran, dass jede Art von Macht, die der Kirche wieder in die Hände kommen sollte, sofort in diesem Sinn benützt werden würde.

1542 wurde die römische Inquisition als Behörde gegründet, und zwar in Form einer “Heiligen Römischen Kongregation”. Bald darauf wurde der Index der verbotenen Bücher eingeführt. Dieser wurde erst 1966 abgeschafft. Die Folter als Mittel der Inquisition wurde bis ins neunzehnte Jahrhundert beibehalten. Bis 1870 herrschten unbeschreibliche Zustände in der Gerichtsbarkeit und in den Gefängnissen des Vatikans.

Die Inquisition ist selbst an mittelalterlichen Maßstäben gemessen der grausame Wahnsinn verblendeter Mörder. Die Folter wurde für die Zwecke der Inquisition wieder eingeführt, sie war bereits überwunden. Was das Verbrennen von Menschen, die nicht unbedingt der Meinung der Kirche folgen wollten, mit dem Evangelium zu tun haben sollte, konnte bis heute niemand feststellen. Aufgearbeitet wurden die Gewaltverbrechen der Inquisition nie, genauso wenig wie alle anderen “Irrtümer” der Kirche. Im Gegenteil, man versucht noch immer alles, um die Wahrheit nie ans Licht kommen zu lassen. Über viertausend Bände mit Prozessunterlagen der Inquisition wurden Anfang des neunzehnten Jahrhunderts vernichtet oder unlesbar gemacht. 1870, als die Kirche ihren Staat verlor, wurde ein großer Teil des Geheimarchivs vorsorglich verbrannt, um nichts in die Hände der einmarschierenden Truppen fallen zu lassen.

1908 wurde die Inquisition in “Heiliges Offizium” umbenannt. Seit 1967 ist sie als “Glaubenskongregation” bekannt, heute geleitet vom deutschen Kardinal Ratzinger. So wie die Kirche beim Verlust ihrer weltlichen Macht ihren Absolutheitsanspruch durch die Behauptung der Unfehlbarkeit auf die Religion und die Wahrheit verlegte, so änderte auch die Inquisition nur ihren Namen und ihre Taktik. Die Medien berichten immer wieder über irgendeinen Fall, wo ein Kirchenlehrer oder Priester aufgefordert ist, zu widerrufen oder von gewissen Ansichten Abstand zu nehmen. Das “Heilige Offizium” hat ein wachsames Auge auf alle seine Schäfchen und ist jederzeit bereit, mit voller Rückendeckung des Papstes zuzuschlagen. Abweichler können zwar nicht mehr ermordet werden, aber die Existenz kann jedem, dessen Beruf ein Kirchenamt ist, entzogen werden.

Missionierung

Einer eigenen Würdigung bedarf die Missionstätigkeit, die von der Kirche und ihren Machthabern veranlasst wurde. Die ersten Entsendungen von marodierenden Heeren “im Namen Christi” waren die Kreuzzüge. Vor Verlassen des eigenen Landes und unterwegs wurde mit allerhöchstem Segen bereits geraubt, gemordet und geplündert. Vorbereitung und Zusammenstellung des Trosses war für die betroffenen Landstriche verheerend. Die Juden waren bevorzugtes Ziel dieser christlichen Aufbruchsstimmung. Viele Teilnehmer an Kreuzzügen mussten einfach erst einmal die notwendigen Mittel für die lange Reise zusammenstellen.

Die Tragik der jahrhundertelangen Kolonialisierung fremder Kontinente ist heute hinlänglich bekannt und zu weiten Teilen aufgearbeitet. Die Missionierung, das heißt die kirchliche Komponente, ist untrennbar mit der Kolonialisierung verbunden. Die Übergänge sind nahtlos, der mittelalterliche Imperialismus der Seefahrernationen lässt sich ebenso wenig von den Dingen der Kirche trennen wie die Geschichte der Päpste von den politischen Entwicklungen des Mittelalters. Im sechzehnten Jahrhundert etwa erlaubte Papst Nikolaus V. dem portugiesischen König Sklavenhandel zu treiben. Auch kirchliche Sklavenhaltung war gang und gäbe. Viele Kirchenfürsten waren selbst sehr erfolgreich im Handel mit Leibeigenen tätig. Die Liste der Unterdrückung, der Folterungen, der Ausbeutung und des Missbrauchs in verschiedensten Ländern ist zu lang um in ein einzelnes Buch zu passen. Allein in der Zeit der spanischen Conquista dürften in Mittel- und Südamerika mehr als 15 Millionen Indios in Folge der spanischen Eroberungsgelüste ihr Leben gelassen haben.

Kolonialinteressen einzelner Staaten verschmolzen nahtlos mit dem Missionierungswahn der Kirche. Die deutschen Missionare in Deutsch-Südwestafrika hatten etwa das Monopol auf den Handel mit Waffen und Munition. Die Verkünder des Evangeliums kamen mit der Bibel in der einen und dem Gewehr in der anderen Hand, nicht nur in Afrika. Umgekehrt duldete der Vertreter der spanischen Macht zum Beispiel das Wüten der Inquisitionsgerichte unter den mittelamerikanischen Indianern. So stützt das eine das andere, und all das im Namen des Herrn.

Aufschlussreich ist, dass die italienischen Jesuiten noch im Jahr 1992 behaupten, die spanischen Eroberer wären keineswegs grausam vorgegangen. Belegt ist nämlich, dass die Conquistadores nicht nur über das ganze Potential der inquisitorischen Folterkammern verfügten, sondern diesem Repertoire noch spezielle Methoden für die unterentwickelten Heiden hinzufügten. Ideenreich waren die Reisenden in Sachen Seelenheil auf der ganzen Welt. Zur vermeintlich höheren Ehre des Erlösers und der zwölf Apostel wurden in Haiti die Indianer jeweils zu dreizehnt gehängt. Die Weigerung, sich zum Christentum bekehren zu lassen, war natürlich Grund genug für Folterung und Tod. Berühmt die letzten Worte eines Häuptlings auf Haiti, der noch am Scheiterhaufen von den Vorzügen des Christentums überzeugt werden sollte. Er fragte, ob denn auch die Christen in den Himmel kämen, der ihm da versprochen wurde. Ja, war die Antwort, worauf der Häuptling meinte, er ziehe die Qualen der Hölle vor, als unter diesen grausamsten aller Menschen im Himmel leben zu müssen. - War das Jahresergebnis an eroberten Seelen nicht befriedigend, so wurden ganze Dörfer unter militärischer Präsenz “getauft”, oder man bediente sich feinerer Methoden, wie der finanziellen Unterstützung christlicher Mädchen, die dann natürlich nur einen Christen heiraten durften.

Die Herren Missionare zogen keineswegs immer am selben Strang. Die verschiedenen Orden, Jesuiten, Kapuziner, Dominikaner, Franziskaner und andere konkurrierten um Territorien und stritten um die richtige Methode der Missionierung. Mit dem Auftreten protestantischer Missionen wurde die Sache noch komplizierter, der Wettbewerb schärfer. In den offiziellen Lehrbüchern der Kirchengeschichte erfahren die Studenten der Theologie und Kirchengeschichte auch heute noch, wie segensreich und umsichtig die Missionierung der dritten Welt vor sich gegangen ist. Zu den Massakern an Eingeborenen und zur wirtschaftlichen Ausbeutung ganzer Kontinente verliert die kirchliche Geschichtsversion kein Wort. Hängt es damit zusammen, dass bis heute kein Wandel in der Geisteshaltung eingetreten ist? Die “South American Mission Society” veranstaltete noch vor fünfzig Jahren Treibjagden auf Indios, unterstützt von der Luftwaffe Paraguays. 1986 wurden südamerikanische Indianer von der “New Tribes Mission” als billige Arbeitskräfte zusammengetrieben. Hunderte starben in einem Auffanglager an Epidemien.

Bis heute wird den Bewohnern der dritten Welt von den Kirchen gelehrt, sie sollten sich in Unterwerfung üben. Wenn sie der Kirche und ihren Herrschern gehorchten, winke ein schöneres Leben im Jenseits. Früher war die Verbreitung dieser Untertanenmentalität natürlich für Staat und Kirche gleich nützlich. Für viele Kirchen ist diese Geisteshaltung auch heute noch essentiell, wenn sie nicht ihre Beitragszahler verlieren wollen. Priester, die den Menschen helfen wollen auf eigenen Beinen zu stehen, werden als Revoluzzer kaltgestellt. - Wie die Feiern zum fünfhundertsten Jahrestag der Entdeckung Amerikas zeigten, fallen die Menschen in diesen ausgebeuteten Kontinenten nicht mehr auf diese Manipulationen herein. Niemand nahm die Beschönigungen der Kirchenfürsten ernst; besonders der Papst und seine Kirche verlieren laufend an Terrain.

Was lernen wir aus der Kirchengeschichte? Wichtig ist bei jeder Betrachtung der Kirche und der Päpste, sich nicht von kurzfristigen oder oberflächlichen Erscheinungen täuschen zu lassen. Die Kirche ist, verglichen mit anderen Institutionen, ja den meisten Staaten, ein uralter Dinosaurier. Seine Richtung zu erkennen ist nur bei Beobachtung über einen längeren Zeitraum möglich. Dass dieses alte Tier noch existiert, liegt wahrscheinlich daran, dass es nicht das kleine Ziel hatte, zu überleben, sondern dass es schon immer die Welt regieren wollte.





IV. Österreich – Die Festung des Wahren Glaubens

Die österreichisch-ungarische Monarchie der Habsburger war in den letzten beiden Jahrhunderten ihres Bestehens für die Kirche besonders wichtig. Sie war die romtreue Festung gegen die Orthodoxen und, im Süden, gegen den Islam. Sogar im Zentrum der Kirchenmacht, in Rom und Italien, griffen des Habsburg-Kaisers Truppen ein, wenn es um das Wohl des Kirchenstaates ging. Das Kaiserhaus war treu katholisch. Papst Leo XIII. schlug 1889 sogar vor, eine “Liga der katholischen Staaten” mit dem österreichischen Kaiser und ungarischen König an der Spitze ins Leben zu rufen. Einige Jahre vorher war es mit Habsburgischer Unterstützung zur Gründung von Bistümern in Sarajevo, Banjaluka und Mostar in Bosnien gekommen; eine Speerspitze des Katholizismus im verderbten Fleisch der Orthodoxie und des Islam. Wer weiß, ob nicht dieser religiöse Kolonialismus die erste Ursache für das bald 120 Jahre alte Drama in Bosnien und Jugoslawien war.

Die hohe Wertschätzung des Papstes und der Kurie für das Habsburgerreich zeigt und erklärt sich etwa im Bericht des österreichischen Gesandten über eine Unterredung mit dem Kardinal-Staatssekretär von Ende Juli 1914: “...Freilich, meinte der Kardinal, es sei schade, dass Serbien nicht schon viel früher ‘klein gemacht’ worden sei, denn damals wäre das vielleicht ohne einen so großen Einsatz an unübersehbaren Möglichkeiten durchführbar gewesen, wie heute... Diese Äußerung entspricht auch der Denkart des Papstes, denn im Verlauf der letzten Jahre hat seine Heiligkeit mehrmals das Bedauern geäußert, dass Österreich-Ungarn es unterlassen habe, seinen gefährlichen Nachbarn an der Donau zu ‘züchtigen’. ...Österreich-Ungarn ist und bleibt aber trotz aller anderweitigen Experimente, die in den letzten Dezennien von der Kurie versucht worden sein mochten, das stärkste Bollwerk des Glaubens, das der Kirche in unserem Zeitalter geblieben ist. Dieses Bollwerk stürzen, hieße daher für die Kirche, ihren mächtigsten Stützpunkt verlieren und im Kampf gegen die Orthodoxie ihren stärksten Vorkämpfer fallen sehen.”

Das Ultimatum an Serbien, welches letztlich zum Ersten Weltkrieg führte, war zu diesem Zeitpunkt bereits ergangen. - Es gibt sogar Historiker, die den Standpunkt vertreten, der Papst habe das Haus Habsburg aktiv in den Krieg getrieben.

Durch die Politik Pius X. stand der Vatikan bei Ausbruch des ersten Weltkrieges in einem Naheverhältnis zu den Mittelmächten Deutschland und Österreich-Ungarn. Auch Benedikt XV. (ab September 1914) sah im erwarteten Sieg Deutschlands und Österreich-Ungarns ein willkommenes Werkzeug für die Ausführung der osteuropäischen und russischen Ziele der Kirche. Als absehbar wurde, dass die Mittelmächte den Krieg nicht mehr gewinnen konnten, wurde in Rom der Frontenwechsel vorbereitet. Verschiedene Schritte wurden gesetzt, die propagandistisch als “Friedensinitiative” oder “Gefangenenfürsorge” verkauft wurden. Noch heute zeigt diese Taktik Wirkung und lässt Benedikt in einem Licht erscheinen, das er nicht verdient. Denn keine seiner Maßnahmen wurde vor Juli 1917 gesetzt, und die Unterstützung für die Mittelmächte, die eindeutige Parteinahme der kurialen Kräfte bis 1916, ist mehrfach zu belegen. Ab dem Jahre 1917 war der tatsächliche Ausgang des Krieges, dessen Ausbruch kirchliche Gruppierungen maßgeblich mitbetrieben hatten, erkennbar. Da der Papst niemals auf der Seite der Verlierer steht, wurde routiniert der Seitenwechsel inszeniert.

Dieser Aspekt der Geschichte des Ersten Weltkrieges wurde recht erfolgreich in die Vergessenheit geschickt. Wie jedes autoritäre Regime versuchte und versucht natürlich auch die Regierung des Vatikans, das ist die Kurie mit dem Papst als absolutem Herrscher an der Spitze, die Dinge zu beschönigen. Es werden einfach unwahre Behauptungen gebetsmühlenartig wiederholt, und kritische Stimmen werden systematisch diskreditiert. Diese Methode der historischen Beugung steht in Analogie zur kirchlichen Vorgangsweise gegen unliebsame Gelehrte, Journalisten oder Autoren. Diesen werden falsche Zitate unterschoben und sie werden immer wieder apodiktisch als blinde Kritiker oder Phantasten bezeichnet. Der große Vorteil der Katholischen Kirche ist, dass es den meisten Menschen noch immer schwer fällt, ihre Aussagen mit demselben Maß an gesunder Kritik zu beurteilen wie politische Aussagen anderer Institutionen. Die Konditionierung der christlichen Welt mit dem Tarnnetz der “Heiligkeit” der Kirche funktioniert immer noch, und das wirkt bei Regierungen und wissenschaftlichen Institutionen genauso wie bei jedem Einzelnen.

Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts bestand noch wenig Bedarf für Maßnahmen gegen Kirchenkritiker; in der österreichisch-ungarischen Monarchie wäre derartiges von der kirchentreuen Obrigkeit nicht zugelassen worden. Damals, wahrscheinlich auch schon vorher, gab es enge Kontakte zwischen der christlichsozialen Partei Österreichs und dem Vatikan. Einer der ersten Exponenten dieser Partei war der spätere Bürgermeister von Wien, Dr.Lueger, ein deklarierter Antisemit, wie praktisch alle seine Parteigenossen. Über verschiedenste Wege sicherte sich die römische Kirche auch später ihren Einfluss; der Untergang der Habsburger-Monarchie war immerhin eine herbe Zäsur der Vorsehung für die Pläne der Kirche gewesen.

In den 15 Jahren nach dem 1.Weltkrieg spitzte sich die Auseindersetzung zwischen den Sozialdemokraten und den konservativen Christlichsozialen immer mehr zu. Dies ging weit über politische Anschauungsfragen hinaus, das Verhältnis zwischen Kirche und Staat und die Religion selbst waren zentrale Themen. Während sich die Sozialdemokraten mit dem Klerus anlegten, wurde angeblich die Privatarmee der Christlichsozialen, die “Heimwehr”, von der Kirche mit Waffen versorgt.


Der Ständestaat

1931 erließ Pius XI. seine Lehrschrift “Quadragesimo Anno”. In dieser Enzyklika wurde ein ständischer Aufbau des Staatswesens empfohlen, selbstverständlich unter entsprechender Einbeziehung des Klerus und Beachtung des katholischen Katechismus.

1932 wurde der Christlichsoziale Engelbert Dollfuß Bundeskanzler und deklarierte bald seine Absicht, den Katholizismus als Staatsgestaltende Kraft zu verankern. Bereits dieses Ansinnen war Hochverrat, eine eklatante Verletzung der Verfassung. Er ergriff bald die Gelegenheit und nützte das unkluge Agieren der Parlamentsparteien, um per Notverordnung zu regieren. Der Erzbischof von Wien, Kardinal Innitzer, stellte sich sofort hinter das undemokratische Regime, er jubelte geradezu über den Sieg der “unerschütterlichen, katholischen Weltanschauung”.

Sofort machte sich Dollfuß daran, seine alten Ankündigungen wahr zu machen. Schon am 5. Juni 1933 wurde ein Konkordat zwischen Österreich und dem Vatikan unterzeichnet, das nur als vollständige Unterwerfung des Landes unter die Kirche gewertet werden kann, und wahrscheinlich wäre Dollfuß auf diese Interpretation sogar noch stolz gewesen. Es wurden nicht nur der Kirche alle möglichen Rechte verliehen, sondern auch festgelegt, dass der Staat für die Religionslehrer und theologischen Professoren zu zahlen hat. Wer lehren darf, wie die Studienpläne etc. aussehen, bestimmt dagegen die Kirche. Weiters wurden alle Gebäude des Staates, die irgendwie der Kirche dienten, dieser überlassen. Und auch im Schulwesen übernahm die Kirche die Aufsicht. Bei der Ernennung der Bischöfe wurde dem Vatikan völlig freie Hand gegeben; die Bundesregierung kann zwar Einwände erheben, muss aber letztlich die Entscheidung Roms akzeptieren. Schließlich wurde das kanonische Eherecht für Österreich in Kraft gesetzt, das heißt, der Staat gab seine Souveränität in diesem zentralen Bereich der Rechtsordnung auf und unterwarf sich und seine Bürger dem Recht der Kirche und den Gerichten und Behörden der Kirche, einschließlich der vatikanischen Gerichtsbarkeit in Rom. Dieser Schritt bedeutete einen einschneidenden und jeden Bürger betreffenden Rückfall in das klerikale Ehediktat. Denn Scheidung im modernen Sinn gibt es praktisch nicht. Die Annullierung der Ehe nimmt die Rota vor, das päpstliche Gericht in Rom. Die Rota annulliert aber nur, wenn es politisch opportun erscheint, etwa in regierenden katholischen Dynastien, wie man in unserer Zeit zuletzt am Beispiel Caroline von Monaco - Philippe Junot sehen konnte. Das katholische Fußvolk kommt de facto niemals in den Genuss einer solchen Entscheidung.

Die Freude über diesen Vertrag muss in der Kurie groß gewesen sein, was sich sogleich im mächtigen päpstlichen Segens- und Ordensstrom zeigt, der sich über Regierung und Bundespräsident ergoss. Im Vorstand der christlichsozialen Partei wurde das Konkordat als der beste Vertrag seit langem bezeichnet. Die “Arbeiterzeitung” jedoch sprach von einer Preisgabe der Rechte der Staatsbürger und einem historischen Irrtum. Sie sollte damit Recht behalten. - Es ist geradezu grotesk, dass dieses Konkordat in weiten Teilen noch immer gilt. Ein Vertrag, der den Staat in eine schwächere Position bringt, und der ausgerechnet von einem autoritären, durch Ausschaltung des Parlaments an die Macht gekommenen Regime abgeschlossen wurde, wird siebzig Jahre danach noch immer als tabu betrachtet.

1934 kam es zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Anhängern der Sozialdemokraten und der “Heimwehr”, der Privatarmee der christlischsozialen Partei. Dieser Aufstand wurde von Heer, Polizei und Heimwehr brutalste niedergeworfen. Die Kämpfe waren am 15. Februar zu Ende.

Im April 1934 setzte Dollfuß den letzten, entscheidenden Schritt und erließ eine ständische Verfassung auf Basis der päpstlichen Enzyklika “Quadragesimo Anno”. Ein Pseudo-Parlament, in dem nur Dollfußtreue Christlichsoziale saßen, wurde ein letztes Mal einberufen, um diese “Verfassung” abzusegnen. Diese, im Widerspruch zu den geltenden Verfassungsgesetzen diktierte, autoritäre Verfassung wurde folgendermaßen eingeleitet: “Im Namen Gottes, des Allmächtigen, von dem alles Recht ausgeht, erhält das österreichische Volk für seinen christlichen, deutschen Bundesstaat diese Verfassung.” Damit war Österreich endgültig zu einer Provinz des Papstes geworden, die Regierung hatte sich selbst in überschlagendem Gehorsam zu einer Expositur des Vatikans degradiert. Der Lobpreis der Kirche für diesen Staatsstreich liegt noch nicht so lange zurück, man sollte sich das immer vergegenwärtigen, wenn irgendjemand von der politischen Objektivität der Kirche spricht.

Die Idee des Ständestaates war aus dem romantischen Katholizismus entstanden. Das Gemeinwesen sollte nach Berufsständen organisiert sein, natürlich unter starker Einbindung des Klerus. Diese Strukturierung des Gemeinwesens widerspricht zwar allem, was wir über die ersten christlichen Gemeinden und die urchristlichen Grundsätze wissen, dafür steht es mit dem faschistischen Staatsmodell in Gleichklang. Demokratische oder republikanische Kategorien werden als unbefriedigend und sogar gefährlich abgelehnt.

Für die Österreicher bedeutete dies, dass nun die Regelungen über Ehe, Familie, Schule, Berufsausübung und das öffentliche Recht vom Geist eines muffigen, Kleinkarierten Klerikalismus geprägt waren. Auch die Kinder und Jugendlichen wurden in adäquate Vereinigungen gepresst, die ihnen das rechte christliche Weltbild verordneten. Der Kirchgang wurde vom Klerus überwacht, wer sonntags nicht die Messe besuchte, hatte mit Konsequenzen zu rechnen. Den Schülern wurde sogar vorgeschrieben, in welcher Kirche sie an der Messe teilzunehmen hatten. Aber nicht nur das Schulwesen und das Eherecht waren fest in geistlicher Hand, auch in den ständischen Gremien mischten die Herren Prälaten mit. Nichtgehorsam gegenüber kirchlichen Stellen oder Würdenträgern wurde vom Staat geahndet. Die Amtskirche war tragendes, ja steuerndes Element des Ständestaates.

So wurde binnen eines Jahres aus der demokratischen Republik Österreich ein Land, das von einem autoritären und klerikalem Regime beherrscht wurde. Häufig wird diese Zeit etwas unpräzise als Periode des “Austrofaschismus” bezeichnet. - Ein wichtiger Beweggrund für diese seltsame Politik der Christlichsozialen war von Anfang an die Absicherung gegen Hitlerdeutschland. Die Gefahr einer Annektion schwebte wie ein Damoklesschwert über Österreich. Dies mag die seltsame Taktik dieser Politiker irgendwie erklären, eine Rechtfertigung für diese totale Unterwerfung eines souveränen Staates unter die Kirche gibt es jedoch nicht. Aus dieser Angst vor Hitler lehnte sich Dollfuß stark an Italien, sprich Mussolini, an, und auch vom Vatikan erwartete man sich Schutz und Hilfe gegen nazistische Infiltration und deutsche Expansionsgelüste.

Es ist eine Ironie der Geschichte, besser gesagt ein Sarkasmus der Kurienpolitik, dass der Vatikan bei Abschluss des Konkordats mit Österreich schon lange Geheimverhandlungen mit Hitler führte! Das Verhalten des Papstes und der Kurie gegenüber Österreich ist ein Lehrstück kalter Machtpolitik, wie es deutlicher kaum vorstellbar ist. Während die österreichische Regierung, die sich selbst der Kirche unterworfen hat, von Rom in Sicherheit gewogen und verhätschelt wird, bereitet man in Rom schon einen Deal mit Hitler vor. Am 20. Juli 1933 wurde, völlig überraschend für die Welt, der Abschluss eines Konkordats zwischen dem Deutschen Reich und dem Vatikan bekannt gegeben. Eineinhalb Monate nach Unterzeichnung des Vertrages mit Dollfuß, der sich dadurch vor Hitler geschützt wähnte, leistete der Vatikan der Sache des Nationalsozialismus internationalen Vorschub. Deshalb hatte Dollfuß eindringliche Bitte an den Vatikan, mit dem Abschluss des österreichischen Konkordats die Nichtanerkennung des Nationalsozialismus zu verbinden, auf taube Ohren stoßen müssen. Wie man sieht, macht blinde Ergebenheit gegenüber Rom wirklich blind. Dollfuß hatte tatsächlich geglaubt, dass die Kirchenregierung in moralischen Kategorien denkt!

Die Zeit verging, und die wirtschaftlichen Erfolge der Nazis in Deutschland übten auf viele Österreicher in diesen Jahren der Not und der hohen Arbeitslosigkeit einen gewissen Reiz aus. Je näher das Jahr 1938 rückte, umso sympathischer wurde auch dem österreichischen Klerus, besonders Kardinal Innitzer, Großdeutschland und der Nationalsozialismus. Und die vatikanische Geheimdiplomatie tat alles, um Österreich an Deutschland heranzuführen.

Am 11. März 1938 überschritten die deutschen Truppen die Grenze nach Österreich.
Zwei Tage später ließ Kardinal Innitzer Hitler wissen, dass bei seinem Einzug in Wien alle Kirchen mit der Hakenkreuzfahne beflaggt und alle Kirchenglocken läuten würden. Kurz zuvor hatte der Klerus noch die ständische Einheit gegen das Gespenst des Nationalsozialismus beschworen. Doch nun schrieb die katholische “Reichspost”: “Wir sehen in der Liebe zu unserem Volke den letzten Dienst am Schöpfer und geben freudig dem Volke, was des Volkes ist, und gläubig Gott, was Gottes ist. Der höchste Kirchenfürst unseres Landes hat die langersehnte Stunde der deutschen Einigung gesegnet. So dürfen wir, dem Führer offen ins Auge blickend, sagen: Wir Deutschen Österreichs treten heute geschlossen ein in die deutsche Schicksalsgemeinschaft.” Und so sollte es dann sein, bis zum bitteren Ende. Am 18. März, die ersten Transporte aus Österreich in die KZ waren schon durchgeführt, gaben die Bischöfe eine “Feierliche Erklärung” ab, die den Nationalsozialismus verherrlichte. Noch wenige Tage vor dem deutschen Einmarsch hatten Innitzer und Repräsentanten des Klerus über die Notwendigkeit der Rettung Österreichs vor den Nationalsozialisten beratschlagt. Während etliche ständische Regierungsmitglieder ins Gefängnis gingen, huldigten die Kirchenfürsten ihrem neuen Herrn. Der österreichische Klerus, allen voran Innitzer, hält damit den absoluten Geschwindigkeitsrekord im Gesinnungsdrehsprung. Dass sich dabei keiner der Prälaten auch nur den Knöchel verstauchte, ist aber wie so oft nur der unkritischen, um nicht zu sagen pathologisch naiven Mentalität des Kirchenvolkes zuzuschreiben. In einer weiteren Kulmination dieser Geschichte einer Lüge wurde nach dem Krieg Innitzer allen Ernstes zum katholischen Widerstandskämpfer stilisiert. Bis heute wird eine angeblich kritische Haltung des Kardinals, der Hitler geradezu glorifizierte, propagandistisch vermarktet. Wenn eine “kritische Haltung”, in den letzten Kriegsjahren auf den Trümmerfeldern der deutschen und österreichischen Städte erworben, ausreichte, dann würden 90% der damaligen Bevölkerung “Widerstandskämpfer” gewesen sein.

Das Experiment der Kirchenfürsten und ihrer ergebenen Diener war zwar an den doch sehr widrigen inneren und äußeren Umständen gescheitert, doch Österreich hatte erneut seine hervorragende Eignung als Exerzierfeld für die politischen Marschversuche der Kirche bewiesen. Noch heute ist in Österreich, wo der Katholizismus de facto Staatsreligion ist, der Ständestaat eine weitgehend verdrängte Periode.
Nach 1945 hatten die ersten Regierungen andere Sorgen, als das Verhältnis zur Geschichte und zur Kirche zu reflektieren. Das Konkordat von 1933 war zwar lange Zeit Gegenstand heftiger Diskussionen, wurde aber 1958 als rechtskräftig anerkannt. Einige Bestimmungen, wie das kanonische Eherecht, wurden nicht mehr in Kraft gesetzt, doch die vermögensrechtlichen und viele andere Artikel blieben. Dollfuß wurde von der Kirche zum Märtyrer erhoben.

Noch heute genießt die Katholische Kirche in Österreich Privilegien, von denen sie in anderen Ländern nur träumen kann. So werden nach wie vor die Lehrer der theologischen Fakultäten und die Religionslehrer vom Staat bezahlt. Was in den Fakultäten geschieht und wie sie organisiert werden, bestimmt aber die Kirche. Dasselbe gilt für den Religionsunterricht. Die gesamten Personalkosten an katholischen Privatschulen werden vom Staat bezahlt. Seit 1945 hat die Republik Österreich den Diözesen des Landes ein Vermögen an Geld und Ländereien geschenkt. An Reichtümern ist die österreichische katholische Kirche gleich gesegnet wie die deutsche. Sie dürfte eine der größten, wenn nicht die größte, nichtstaatliche Grundbesitzerin sein. Nach wie vor versucht man, den Besitzstand zu halten und zu mehren. Das führt dann oft zu Konflikten mit Landwirten, die Agrarland meist dringender benötigen als die Kirche, oder mit Gemeinden, wo etwa ein zweckentsprechender Turnsaal für die Schule nicht gebaut werden kann, weil sich die Diözese weigert, den notwendigen Grund zu verkaufen.




V. Hitler und die Kirchen

Die Rolle des Vatikans im ersten Weltkrieg, der fliegende Wechsel zu den Siegermächten ab 1917, wurde bereits im Kapitel “Österreich – ein Staat unterwirft sich der Kirche” dargestellt. Benedikt XV. hatte 1917 den als deutschfreundlich bekannten Kardinal Pacelli zum Nuntius in Berlin ernannt. Pacelli stand bald in einem Naheverhältnis zum Prälaten Kaas, der 1928 die Führung der Zentrumspartei übernahm; es ist anzunehmen, dass der Einfluss der Kurie besonders auf diese Partei entsprechend wirksam war. - In den Jahren 1924 bis 1932 wurden Konkordate mit dem Staat Bayern, dem Freistaat Preußen und dem Freistaat Baden unterzeichnet.

Die Zentrumspartei des Prälaten Kaas wurde von den deutschen Bischöfen unterstützt, und schon daraus ergab sich in den zwanziger Jahren die entschiedene Opposition der meisten Bischöfe gegen die NSDAP, die Partei der Nationalsozialisten. Doch bereits zu dieser Zeit dürften die Kurie in Rom und der Nuntius Pacelli weiter geblickt haben; der vernichtende Hass der Nationalsozialisten gegen Kommunismus und Sozialismus konnte den Intentionen Roms dienen. Und so verlangte Pacelli (der spätere Papst Pius XII.) schon 1931, also noch bevor die NSDAP mandatsstärkste Partei geworden war, dass die Zentrumspartei die Koalition mit den Sozialdemokraten auflösen und sich der NSDAP zuwenden sollte.

1932 ging die NSDAP aus den Reichstagswahlen als stärkste Partei hervor. Kurz bevor Hitler 1933 zum Reichskanzler ernannt wurde, kam es zu einer Vereinbarung zwischen dem Vatikan und Hitler, die vorsah, dass der Papst Hitler unterstützt, Hitler im Gegenzug ein Reichskonkordat abschließt und dafür sorgt, dass Kommunisten und Sozialisten von der politischen Bühne verschwinden.

Hitlers Beziehung zu den Kirchen war ambivalent. Er lehnte sicher jede politische Betätigung oder Intention der Kirchen ab, außer es waren gleichgeschaltetete Aktivitäten. Das religiöse Weltbild des Monsters war von Kontakten zu mystischen Sekten in der Zeit seines politischen Beginns und von seltsamen, “völkischem” Denken entspringenden Anschauungen beeinflusst (Welteislehre, Thule-Sekte). Er dürfte den Inhalten der Lehren, wie sie von den Kirchen transportiert wurden und werden, eher fremd oder gleichgültig gegenübergestanden haben. Andererseits verfügte er in den entscheidenden Jahren sicherlich noch über genügend Gehirn um zu erkennen, dass eine vollständige Unterdrückung der Kirchen im deutschsprachigen Raum ein sinnloses und gefährliches Unterfangen gewesen wäre. Dass er den Papst nun plötzlich mit offenen Armen auf sich zukommen sah, hat ihm vieles erleichtert. Von Pius XI. ist überliefert, dass er im März 1933 sagte, er müsse zugeben, dass Hitler der einzige Regierungschef der Welt sei, der über den Bolschewismus so spricht wie der Papst selbst.
Doch die deutschen Bischöfe konnten die Wende ihrer Vorgesetzten nicht so rasch nachvollziehen, wie sie ihnen vorgetanzt wurde; bis ins Jahr 1933 wurden vom Episkopat starke Vorbehalte gegen die Nazis formuliert. Es war daher notwendig, den Herren rasch auf die Sprünge zu helfen. Im März 1933 wurden die Nuntien in Berlin und München beauftragt, die deutschen Bischöfe entsprechend zu instruieren. Der sehr lange Hirtenbrief vom Juni 1933 war das Ergebnis dieser Order aus Rom. Da ein Kurswechsel um 180 Grad nicht ganz einfach ist, liest sich besagter Hirtenbrief über weite Strecken wie ein Balanceakt. Hier und da sehr vorsichtige Hinweise auf eine erhoffte innere Versöhnungspolitik, sehr deutlich dagegen die Anerkennung der neuen Regierung. In der Formulierung nähert man sich schon der Nazidiktion und spricht von “Krankheits- und Alterserscheinungen der Völker” und “Entartungen”. Unter anderem sagten die deutschen Bischöfe: “... Es fällt deswegen uns Katholiken auch keineswegs schwer, die neue, starke Betonung der Autorität im deutschen Staatswesen zu würdigen und uns mit jener Bereitschaft ihr zu unterwerfen, die sich nicht nur als eine natürliche Tugend, sondern wiederum als eine übernatürliche kennzeichnet, weil wir in jeder menschlichen Obrigkeit einen Abglanz der göttlichen Herrschaft und eine Teilnahme an der ewigen Autorität Gottes erblicken... Auch die Ziele, die die neue Staatsautorität für die Freiheit unseres Volkes erstrebt, müssen wir Katholiken begrüßen...”

Prälat Kaas hatte sich schon nach Rom abgesetzt, als sich die Zentrumspartei 1933 selbst auflöste. Von Rom aus ließ der Prälat seine Schäfchen wissen: “Hitler weiß das Staatsschiff gut zu lenken.... Es kommt nicht darauf an, wer regiert, wenn nur die Ordnung gewahrt bleibt. Die Geschichte der letzten Jahre in Deutschland hat den demokratischen Parlamentarismus als unfähig erwiesen.” Im selben Jahr setzt Hitler Schlag auf Schlag. Die bürgerlichen Grundrechte werden außer Kraft gesetzt, die Deportationen in KZ beginnen. Der Boykott jüdischer Geschäfte und Unternehmer wird ausgerufen; Gewerkschaftshäuser werden besetzt, das Vermögen beschlagnahmt. Schließlich wird der Einparteienstaat gesetzlich verankert und es werden die Gesetze über die Landesverweisung unerwünschter Personen erlassen.

Nach der Durchführung all dieser Schritte durch die NSDAP schließt der Vatikan am 20. Juli 1933 das Reichskonkordat mit Hitler ab. “Diese Tatsache bedeutet eine ungeheure moralische Stärkung der nationalsozialistischen Reichsregierung und ihres Ansehens”, erkannte der “Völkische Beobachter” richtig. Die restliche Welt reagierte überrascht. Auch innenpolitisch war dieser Erfolg für die Nazis wichtig, und ganz besonders in Hinblick auf Österreich, wo die Kirche noch gegen den Nationalsozialismus predigte. Es gibt wohl nur wenige bessere Beispiele in unserem Jahrhundert, die so klar und deutlich zeigen, dass für die Kirche reine Machtüberlegungen, sonst nichts, den Ausschlag geben. Während in Österreich von Klerus und Vatikan ein autoritäres Regime unterstützt und mitgesteuert wird, das im Nationalsozialismus den Todfeind sieht, und während dort die Bischöfe und Priester dieser Politik das Wort reden, marschiert die deutsche Geistlichkeit schon in einer Reihe mit den Nazis. Dieses Taktieren ist schon so unendlich weit von allem entfernt, was mit Religion zu tun haben könnte, dass nicht einmal mehr die Diskrepanz auffällt.

Das deutsche Konkordat aus 1933, das nach wie vor in Kraft ist, gewährt der Kirche Vorrechte und Privilegien, wie etwa den selben Schutz des Staates wie Staatsbeamte, Befreiung der “geistlichen” Einkommen von der Zwangsvollstreckung und Schutz der katholischen “Amtskleidung” durch die selben Strafandrohungen wie für den Missbrauch von Militäruniformen. Weiters wurde natürlich die Militärgeistlichkeit und die Ernennung eines eigenen Militärbischofs geregelt. Keine Probleme hatte der Vatikan offenbar damit, dass alle Bischöfe bei Amtsantritt dem Deutschen Reich die Treue zu schwören hatten. Artikel 30 bestimmte, dass an Sonn- und Feiertagen in allen Kirchen beim Gottesdienst ein Gebet für das Wohlergehen des Deutschen Reiches und Volkes “eingelegt” wird. Pius XI. und Hitler fanden rasch und - in politischen Maßstäben - unkompliziert zueinander. Gewürzt wurde dieser vatikanisch-nationalsozialistische Cocktail mit einem geheimen Zusatzprotokoll. Darin wurden Regelungen für den Fall getroffen, dass im Deutschen Reich die allgemeine Wehrpflicht wieder eingeführt wird. Dies ist doch einigermaßen signifikant, wenn man sich vor Augen hält, dass Hitler zum damaligen Zeitpunkt die Verträge von Versail (Verbot der Wiederaufrüstung) noch nicht gebrochen hatte.

Bald ergaben sich aber, wie bei diesen Vertragsparteien nicht anders zu erwarten, Auffassungsunterschiede über die Interpretation des Konkordates. Pius XI. protestierte mehrmals und erfolglos. In der Enzyklika “Mit brennender Sorge”, die auf Deutsch verfasst wurde, beschuldigte Pius die Reichsregierung der Vertragsverletzung. Weiters wies er auf die Autorität und den Primat des Papstes hin und forderte den Glauben an die heilige katholische Kirche. Die Enzyklika, herausgegeben 1937, enthielt jedoch kein Wort gegen die Gewaltherrschaft und Brutalität des Nationalsozialismus oder gegen die Nazis selbst, und natürlich verlor Pius keine Silbe über den mörderischen Antisemitismus im Deutschen Reich.

Es war einfach das Verhältnis zweier Supermächte der damaligen Zeit, die sich benutzten wo gemeinsame Interessen lagen und sich bekämpften, wo sie sich nicht einigen konnten. Auch im Kleinen spiegelt sich dies: Hitlers “Mein Kampf”, noch immer die Bibel der unbelehrbaren, wurde von einem katholischen Priester überarbeitet und endredigiert. Später wurde der Mann von den Nazis umgebracht.

Ab 1939 regierte Papst Pius XII. die Kirche, er ist uns als Nuntius Pacelli und besonderer Freund Deutschlands bereits begegnet. Sein Schweigen zum Völkermord der Nazis ist in die Geschichte eingegangen. Einige Priester und eine Vielzahl von Gläubigen leisteten dem Regime Widerstand oder retteten Verfolgte. Die Amtskirche oder kirchliche Stellen waren an diesem Widerstand aber nicht beteiligt, im Gegenteil. Es wurden Schriften herausgegeben, die den Nationalsozialismus vor den kirchlichen Glaubenslehren rechtfertigen sollten. Ein glühender Verfechter der Synthese von Kirche und Nationalsozialismus war der aus Österreich stammende Bischof Hudal in Rom, der in seinen weitschweifigen Ergüssen die Katholiken in ihrer Treue zu Volk und Reich von niemandem übertroffen sehen wollte. Hudal wird nach Kriegsende eine Schlüsselrolle bei der kirchlichen Fluchthilfe für Nazigrößen spielen. Noch Jahrzehnte danach gelang es nicht, Hudal zu einer Beendigung seines Lobpreises für die Nazis zu bewegen, was höchst peinlich war, denn nun war ja auch in der Kirche diese Haltung nicht mehr opportun. Ein anderer Trommler für die Nazis war der Theologe Adam, der sich vorbehaltlos zum NS-Regime bekannte. - “Zeigt uns übrigens nicht die Geschichte,” sagt Michail A.Bakunin, “dass die Priester aller Religionen, ausgenommen die der verfolgten Kulte, immer die Verbündeten der Tyrannei waren?”

Im März 2000 hielt die Katholische Kirche in Paris eine Konferenz, die über eine Entschuldigung der Kirche für die Fehler der Vergangenheit beraten soll. Ein Dokument, “Gedenken und Versöhnung" wurde publiziert und der Papst erwähnte die Bitte um Vergebung kurz darauf. Genannt werden unter anderen auch die Juden, aber man entschuldigt sich nicht für die Kirche: Die Kirche als Institution ist rein, ohne Fehler. Sie wird von Gott frei von Irrtümern gehalten, in der Vergangenheit und jetzt. Lediglich individuelle Mitglieder der Kirche tragen Verantwortung für vergangene Gräuel und Untaten. Das Dokument, unter Leitung von Kardinal Ratzinger erstellt, sagt folgerichtig: „Vom theologischen Standpunkt unterscheidet das II.Vatikanum zwischen der makellosen Treue der Kirche und der Schwachheit ihrer Mitglieder, Kleriker oder Laien, gestern und heute.“

Einmal mehr ein Scheingebilde wie das von der „Heiligkeit des Amtes“. Die Kirche ist nichts als die Summe aller ihrer Mitglieder, und sie trägt für die Handlungen all dieser die Verantwortung. Nur durch das jahrhundertelange Erfinden von neuen Theorien und Dogmen kann man sich nicht aus der Verantwortung stehlen.

Die Anti-Defamation League gab dazu folgendes Statement ab: „Papst Johannes Paul II. hat eine historische Chance versäumt, die Debatte über die christliche Verantwortung für spezifische Sünden gegen Juden über die letzten 2000 Jahre abzuschließen. Wir sind traurig und enttäuscht, dass es dieser Pontifex, der sonst so viel für die katholisch-jüdischen Beziehungen getan hat, versäumt hat, die ganz spezifischen Katholischen Verfehlungen gegen das jüdische Volk beim Namen zu nennen, besonders den Holocaust.“ Und CNN berichtete: “Das Dokument anerkennt nur Sünden derjenigen, die im Namen der Kirche agierten. Es anerkennt keinerlei Sünden der Kirche selbst oder derer, die als ihre Päpste dienten…“


Nach dem Krieg

Die faschismus-freundliche Gesinnung von Klerus und Vatikan erwies sich in der Folge doch als etwas dauerhafter als rein taktische Bündnisse; die Unterstützung der Nazis wurde auch nach dem Krieg fortgesetzt. Traurige Berühmtheit erlangte die Schiene vom Vatikan nach Südamerika, auf der Nazi-Verbrecher aus dem alliiert besetzten Europa in südamerikanische Fluchtländer verschoben wurden. Mit Hilfe von Rot-Kreuz Pässen, organisiert von Geistlichen, oder mit vatikanischen Papieren ausgestattet, wurde über Österreich, Süddeutschland und bis Spanien eine “Klosterroute” für gesuchte Nazi-Größen gebaut. Die Meisten wurden nach Argentinien verschifft, einige fanden mit Hilfe der Kirche in europäischen Kircheneinrichtungen Zuflucht. Eine zentrale Funktion in dieser illegalen Fluchthilfeorganisation nahm der schon erwähnte Bischof Hudal ein; er war damals Rektor des deutschen Priesterkollegs in Rom. Ein weiterer aktiver Förderer war etwa Kardinal Siri, damals Bischof von Genua, dem Simon Wiesenthal vorwirft, dem berüchtigten KZ-Arzt Mengele zur Flucht verholfen zu haben. Der italienische Vatikanspezialist Nino LoBello schreibt, dass Bormann die Flucht nach Brasilien mit vatikanischen Papieren gelang, die die Unterschrift des Papstes trugen. Ungezählte Schlächter konnten so trotz internationaler Fahndung ihrem gerechten Urteil entgehen. Schuldig sind nicht nur die Drahtzieher in Rom, sondern ebenso die große Zahl der Priester, Äbte und Bischöfe, die quer durch Europa kooperierten, um SS-Schergen und sonstige Nazis in Sicherheit zu bringen. Klöster und andere kirchliche Einrichtungen dienten der diskreten Unterbringung der Verbrecher.

Diese Begünstigung von Verbrechern verstieß und verstößt gegen die rechtlichen Bestimmungen der europäischen Staaten, im Fall von Kriegsverbrechern sogar gegen internationales Recht. Angeblich laufen in diesem Zusammenhang noch immer Ermittlungen europäischer Polizeibehörden; bis jetzt ist jedoch keine einzige Verhaftung bekannt geworden. Einer der prominentesten Kriegsverbrecher, die lange in Europa versteckt worden waren, ist Paul Touvier. Er war Chef der faschistischen Miliz in Lyon, also Handlanger der Gestapo. Von Kriegsende bis 1991 wurde Touvier von kirchlichen Würdenträgern versteckt gehalten. Zwanzig Jahre vorher war er durch das Betreiben des damaligen vatikanischen Staatssekretärs Kardinal Villot sogar vom französischen Staatspräsidenten begnadigt worden. Touvier musste trotzdem wieder untertauchen, da erzürnte alte Kämpfer der Resistance dies nicht so einfach hinnehmen wollten. In den langen Jahren des Versteckens wurde Touvier von zwanzig bis dreißig teilweise hohen Geistlichen betreut. Diesen Schutz hatte er sich durch die Übergabe des bei Kriegsende verbliebenen Vermögens der Miliz an den Vatikan erkauft. Das Geld stammte natürlich aus geplündertem jüdischem Eigentum. Wie der Fall Touvier zeigt, gibt es in der Mentalität der Kirchenfürsten keine Änderungstendenzen. 1992 wurde bekannt, dass flüchtige Verwandte Ceaucescus in Österreich in einem Benediktinerkloster Unterschlupf gefunden haben. In Spanien wurde 1992 zwei ETA-Terroristen nach einem von ihnen verübten Attentat mit Wissen des Bischofs kirchliches Asyl gewährt.

Und im Jahr 2001 verhalf die heilige Katholische Kirche einem Priester zur Flucht, der vom Internationalen Kriegsverbrechertribunal in Den Haag per Haftbefehl gesucht wurde. “Vater” Seromba wird mit einigen anderen des Mordes an 2500 Tutsis in Ruanda beschuldigt. Er soll 2000 Menschen in seine Nyange-Kirche in Kivumu gelockt haben, um dann zwei Bulldozer das Gebäude einreißen zu lassen.

Die Strafverfolgungsbehörde sagt, er habe eintreffende Tutsis nach den Namen anderer befragt, um diese auch von Hutu-Offiziellen in seine Gemeinde bringen zu lassen. Später habe er den Gendarmen befohlen, jeden zu erschießen, der es wagen würde, etwas Essbares aus den Pfarrgebäuden oder den Bananenhainen zu nehmen. Dann, so die Anklage, wurden die Flüchtlinge mit Schusswaffen attackiert, doch es gelang ihnen, die Angreifer aus der Kirche zu drängen. Ein Angestellter der Pfarre kam schwer verwundet zurück, doch Seromba erlaubte ihm nicht, die Kirche zu betreten. Er wurde erschossen. Nach einem Treffen mit anderen Hutu-Würdenträgern und einem weiteren Priester habe Seromba um den 15. April 1994 befohlen, die Tutsis umzubringen (INTERNATIONALES KRIEGSVERBRECHERTRIBUNAL FÜR RUANDA, Case.No. ICTR-2001-66-I. Der Ankläger GEGEN Athanase SEROMBA, gezeichnet: Carla Del Ponte, 8. Juni 2001). Der Angriff erfolgte mit Feuerwaffen und Handgranaten, und Benzin wurde durch das Dach des Gebäudes gegossen. “…während dieser Attacken verließen einige Flüchtlinge die Kirche in Richtung Presbyterium. Vater Seromba fand sie und informierte die Gendarmen über ihr Versteck. Unmittelbar danach wurden sie angegriffen und erschossen. Unter ihnen waren zwei Tutsi Frauen (Alexia und Miriam).” Da mit diesen Methoden nicht die Tausenden Tutsis getötet werden konnten, wurden Bulldozer geholt: “(27.) Sofort danach verlangten Vedaste MUPENDE, Fulgence KAYISHEMA and Gregoire NDAHIMANA das Einschreiten von Athanase SEROMBA, welcher kam und Athanase, alias 2000, befahl, die Kirche zu zerstören, denn die Hutus seien zahlreich und könnten eine Neue bauen. (28.) Athanase fuhr mit dem Bulldozer in die Kirchenwände, das Dach stürzte ein und tötete mehr als 2000 Tutsis, die in der Kirche versammelt waren. Die wenigen Überlebenden wurden von der Interahamwe angegriffen, bestrebt, sie alle zu erledigen.” Es handelt sich um eine der schrecklichsten Bluttaten in diesem Völkermord. In einem kleinem Teil Afrikas herrschte Trauer und Entsetzen über das grausame Schicksal so vieler; wie es jedoch scheint, ist ein katholischer geweihter Massenmörder bei weitem nicht so interessant wie arabische Terroristen oder ein Slobodan Milosevic.

Gleich darauf holten seine Kirchenoberen Seromba nach Italien. Nachdem das UN-Tribunal für Ruanda seine Auslieferung wegen der Anklage des Völkermordes verlangt hatte, wurde er mit Hilfe der Katholischen Hierarchie rasch versteckt. Man muss als internationale Organisation schließlich auf der ganzen Welt die eigenen Interessen und die der Angestellten wahren. - Nach heftigen internationalen Bemühungen ist er nun im Gewahrsam des Internationalen Tribunals für Ruanda. Nicht einmal die Römisch-Katholische Kirche konnte es sich leisten, diesen Verbrecher an der Menschheit weiterhin zu decken. Die Anklageschrift, unterzeichnet von Carla Del Ponte im Juni 2001, listet die schrecklichen Verbrechen des Massenmörders Seromba auf, katholischer Priester und Schützling des Vatikans. Im Frühjahr 2003 wartet Seromba auf seinen Prozess. Er wird beginnen sobald die Anklägerin alles vorbereitet hat.
Ein Kirchenoberer der Siebenten Tags Adventisten und sein Sohn wurden bereits Anfang 2003 vom Internationalen Kriegsverbrechertribunal Für Ruanda der Beihilfe zum Völkermord in Ruanda verurteilt. Sie wurden dafür verantwortlich gemacht, Hunderte von Tutsis unter ähnlichen Umständen ermordet zu haben.

Es bedarf nicht der Beispiele aus der Gegenwart um zu verdeutlichen, dass der Vatikan kein kritisches Verhältnis zum Nationalsozialismus hatte. Das beweisen nicht nur die historisch belegten Vorgänge zwischen Deutschem Reich und Rom, sondern auch die Fluchthilfe für Nazis bis in unsere Zeit und Fakten von anderen Schauplätzen, wie etwa Kroatien. Die Frage, wie die Kirche heute zum Nationalsozialismus steht, kann jedenfalls nicht klar beantwortet werden. Schöne Worte der Verdammung sind schnell gepredigt; die Handlungsweise bleibt dieselbe: Wenige Tage nach den Wahlsiegen der Neofaschisten in Italien im November 1993 empfing der Kardinal von Neapel die Faschistenführerin Alessandra Mussolini.

Dennoch vertritt die Kirche noch immer den Standpunkt, dass das Schweigen des Papstes zu den Nazigräueln das Ergebnis taktischer Überlegungen, gewesen wäre, und dass es keine Alternative gegeben hätte (!). Der Papst hatte nicht einmal den sechs Geistlichen in Mussolinis erstem Kabinett ihr politisches Engagement für die Faschisten untersagt. Der kirchliche Argumentationsnotstand lässt die offizielle Kirchengeschichte interessante Blüten treiben: In Band VII des Handbuchs der Kirchengeschichte, herausgegeben 1979 und abgesegnet vom zuständigen Bischof, wird auf den “dichten” Notenwechsel des Heiligen Stuhls und der Reichsregierung hingewiesen, der die deutsche Rassendoktrin verurteilte. Ja, diese Noten seien sogar den deutschen Bischöfen zur Kenntnis gebracht worden. Das ganze wird dann als “Abwehrkampf der Kirche” bezeichnet. - Warum ein deutliches Wort des Papstes an die Welt, ein Wort der Geistlichen von den deutschen Kanzeln, ausblieb, wird nicht schlüssig erklärt. Am Beginn der Naziherrschaft wäre dies noch ohne Gefährdung des Klerus möglich gewesen. Das erwähnte Handbuch der Kirchengeschichte teilt uns mit, Papst und Kurie wären überzeugt gewesen, “dass ein flammender päpstlicher Protest den Mordaktionen nicht Einhalt gebiete, sondern deren Tempo und Umfang vergrößere ...”. Mit dieser Logik kann jedes beliebige Handeln oder Unterlassen gerechtfertigt werden. Eine wertvolle Information ist dem kirchlich approbierten Geschichtsbuch aber zu entnehmen: Das vatikanische Staatssekretariat war relativ früh über die Maschinerie der Massenvernichtung informiert. Ganz konkrete Mitteilungen gingen von jüdischer Seite spätestens im Frühjahr 1942 ein.

Rolf Hochhuth, der in seinem Drama “Der Stellvertreter” schwerste Anschuldigungen gegen Pius XII. erhob und damit die erste kritische Sichtung der Vorgänge auslöste, hat also Recht. Für die Jahre 1933 bis 45 erlebte die Geschichte bei ihrer Verwandlung in eine Kirchenchronik noch weitere märchenhafte Metamorphosen. Die Wende von den Faschisten zu den Alliierten im Jahr 1943, als sich das Kriegsglück drehte, wird als großartige “Friedensbemühung” verkauft, wie wir das schon aus den letzten Jahren des ersten Weltkriegs kennen.

Der größte Coup dürfte der römischen Propagandamaschine allerdings zum Thema “Rettung unschuldiger Juden” gelungen sein. Trotz Hochhuth und anderer konnte der Eindruck erweckt werden, als ob ein im Stillen wirkender Papst während der Nazizeit tausende von Leben gerettet hätte; insbesondere in Italien. So werden die Leistungen einzelner, wie des Paters Benedetto, der tatsächlich viel für die jüdische Gemeinde Roms tat, als Aktionen Pius des XII. verfälscht. Die italienischen Juden können bezeugen, wer tatsächlich etwas für sie unternahm. Der Vatikan hat bislang zu seinen behaupteten Rettungsaktionen jede Vorlage von Dokumenten aus dieser Zeit verweigert. Wie lächerlich das Lügengebäude von den unschuldigen, philanthropen und antifaschistischen Geistlichen der Kurie ist, wird auch aus Details der diplomatischen Geschichte deutlich.

Ab 1943 setzten sogar Bemühungen ein, den Faschismus in Italien an der Macht zu erhalten. Das Gespenst sozialer Unruhen wurde heraufbeschworen, die Alliierten wurden vor der Machtergreifung der Kommunisten gewarnt, nur um die bestehende Ordnung - eventuell ohne Mussolini - erhalten zu können. Was Deutschland betrifft, so wurde von der Kurie während des Krieges auf eine Koalition mit den USA gegen die Sowjetunion hingearbeitet. Weiters ist erwiesen, dass der Vatikan 1943 ernsthaft versuchte, den Amerikanern die Wiedererrichtung einer katholischen Monarchie in Österreich schmackhaft zu machen. Otto von Habsburg sollte über ein Kaiserreich regieren, das neben Österreich auch noch Bayern umfasst hätte. Es war Roosevelt, der alle diese Anschläge auf die politische Moral abblockte. – Fünfundzwanzig oder fünfzig Jahre sind für die römische Kirche nichts. Strategien und Präferenzen werden nicht so einfach über Bord geworfen. Die Habsburger Dynastie, mehr als fünfhundert Jahre autokratische Eigentümer des größten Teiles Zentraleuropas, waren immer verlässliche Verbündete der Päpste. Daher ist der Versuch, diesen Klan zu restaurieren, oder der Seligsprechungsprozess für den letzten Kürzestregenten, Karl, nur typisch für eine Institution, welche seit 1600 Jahren Macht kumuliert.

Es zeigt sich einmal mehr, dass nur die eigenen Machtüberlegungen das Handeln Roms bestimmten. Um den Preis einer Fortsetzung der faschistischen Herrschaft bzw. eines Rückfalls in eine autoritäre Monarchie hätten Papst und Kurie nur zu gerne die Welt nach ihren Vorstellungen gestaltet. - 1976 wurden Hudals “Römische Tagebücher” veröffentlicht, in denen er sich offen zu den eigenen Irrtümern bekennt. Aus den Aufzeichnungen dieses Mannes, der selbst ein Mächtiger im Zentrum der Macht war, ergibt sich ein zuverlässiges Bild der vatikanischen Meinung zum Nationalsozialismus. Leider aber hat Hudal den offiziellen Schwenk der Kurie nach dem Kriege ausgelassen und spricht so noch immer in der “alten Sprache” - von der kirchlichen Hilfe für die “Opfer der Nachkriegszeit” - damit sind die fliehenden Nazis gemeint. Es ist ein weiteres Wunder des Katholizismus, dass die in so vielen Fällen nachgewiesene Unterstützung der Amtskirche für flüchtige Nazigrößen bei den Gläubigen weder großes Erstaunen noch Nachdenken provoziert hat.


Der Filz der Moderne

Im Deutschland der Nachkriegszeit war das Reichskonkordat durchaus umstritten, die Genesis war zu gut in Erinnerung. Die sozialdemokratische Partei und die liberale FPD widersetzten sich einer ausdrücklichen Anerkennung des Konkordats. Doch 1957 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass das Reichskonkordat gültiges Recht sei, und zwar im Rang eines einfachen Bundesgesetzes. Die erwähnten alten Regelungen stehen somit nach wie vor in Geltung. So hat in Deutschland die Regierung kein Vetorecht gegen die Ernennung eines Bischofs, nur ein “Erinnerungsrecht”. Von Seiten des Vatikans wurden zu keinem Zeitpunkt Bedenken gegen das Konkordat bekannt.

In Deutschland hatte in den letzten siebzig Jahren weder die katholische noch die protestantische Kirche Anlass zu Beschwerden. In einem der reichsten Länder der Erde wird der Obulus der Gläubigen immerhin vom Staat selbst, nämlich von seinen Finanzämtern, eingehoben. Diese Regelung geht ebenfalls auf die Nazizeit zurück. Solch ein Privileg konnte sich die Kirche nicht einmal in Österreich sichern, wo die Kirchenbeiträge zwar eingeklagt werden können, die Eintreibung und Abrechnung muss jedoch durch die Kirchenämter (“Finanzkammern”) selbst erfolgen. Daneben fließen in der Bundesrepublik reichlich direkte Staatsmittel zweckgebunden, wie z.B. für theologische Fakultäten, aber auch nach dem Gießkannenprinzip, und zusätzlich sehr hohe Summen in Form von indirekten Subventionen. Es ist immer wieder behauptet worden, dass der Zahlungsfluss von Deutschland nach Rom der wesentliche Grund für den Vatikan war, Hitler zu fördern. Eine Änderung der so vorteilhaften Inkassomodalitäten hätte Pius XI. und XII. tatsächlich in arge Bedrängnis gebracht.
Die Bundesrepublik Deutschland kennt zwar das Prinzip der “Trennung von Kirche und Staat”, wie jedes moderne Gemeinwesen, tatsächlich aber ist Staat und Kirche in vielen Gebieten nach wie vor verfilzt, von den Kommunen bis hinauf zu Bundesämtern. Eine vergleichbare Verquickung von Staat und Kirche gibt es nur in Österreich. In Frankreich wurde die Trennung von Kirche und Staat tatsächlich konsequent verwirklicht. Die Geistlichen leben von Spenden und sonstigen freiwilligen Subventionen. In den katholischen Hochburgen Spanien und Italien haben die Bürger die Möglichkeit, die Zweckbestimmung ihrer Kirchen- oder Solidarbeiträge selbst festzulegen; in Spanien kann überhaupt für die Verwendung für andere soziale Zwecke optiert werden.

Horst Herrmann, damals Professor für Kirchenrecht in Münster, Deutschland, brachte 1972 einen Vorschlag zur Reformation der deutschen Zwangsabgabe: Der einzelne Steuerpflichtige entscheidet, ob sein Geld wie bisher der Kirche anvertraut wird, oder einem speziellen Fonds (Entwicklungshilfe etc.), oder dem Staat, zweckgebunden für verschiedene Aufgaben. Die Kirche versuchte natürlich, den Vorschlag möglichst leise untergehen zu lassen; Kardinalsstühle mit Elfenbeinintarsien um mehr als 400.000 DM anfertigen zu lassen, wie es der Münchner Oberhirte tat, wäre nur mehr schwer möglich, wenn die Zahlenden über die Verwendung ihres Geldes mitbestimmten.

Die bisherige Praxis lässt die Kirchen mehrere Milliarden DM pro Jahr an Kirchensteuern einnehmen - und es wird immer mehr, da die Sätze in den letzten zwanzig Jahren wesentlich progressiver anstiegen als die Inflationsrate. Die Kirchenoberen stehen auf der anderen Seite dieser Bilanz, Bischöfe etwa verdienen soviel wie Staatssekretäre.
Ein weit verbreiteter Irrtum, der jedoch sorgsam genährt wird, ist der Glaube, was mit Kirche in Verbindung stehe, werde auch von der Kirche finanziert. Das gilt speziell für karitative Institutionen. An den Schnittstellen zwischen Kirche und Staat wird der allergrößte Teil der Leistungen, bis zu 90%, vom Staat berappt. Diese staatlichen Zuschüsse werden nicht gesammelt ausgewiesen; es ist eine Sisyphosarbeit, alle diese teilweise versteckten Summen aufzufinden. Man muss dazu sämtliche Länder-rund Kommunalbudgets durchforsten, ebenso alle Ausgabenansätze des Bundes und seiner Körperschaften. Für einige Bereiche gibt es jedoch Ziffern, die das ganze Ausmaß staatlicher Zuwendungen erahnen lassen: Schon in den achtziger Jahren wurden mehr als 80 - 90 Millionen DM vom Staat nur für die Militärseelsorge aufgewendet. - Damit hatte sich der Betrag seit den Sechzigern verfünffacht. Im Sozialbereich trägt die öffentliche Hand an die 90% der Kosten kirchlicher Stellen und Organisationen. Im Schulbereich liegt der Anteil irgendwo zwischen mehr als der Hälfte und 90%. Dabei darf man nicht vergessen, dass sich die Kirchen hier ihre “Religionshoheit” vorbehalten, dass sie eben konfessionellen Unterricht geben - mit den Geldern aller Staatsbürger. Die Aufwendungen für die theologischen Fakultäten allein werden auf mehr als eine Milliarde DM pro Jahr geschätzt. Zusammen erhalten die protestantische und die katholische Kirche DM 19 Milliarden pro Jahr von der Regierung, plus DM 20 Milliarden über den Umweg von Steuerprivilegien. Über die Kirchensteuer kommt für die katholische Amtskirche in Deutschland nochmals ein Betrag von DM 9 Milliarden herein, die der protestantische Apparat begnügt sich mit DM 8 Milliarden, immer pro Jahr.

In der Fernsehsendung “Der heiße Stuhl” des deutschen Senders RTL vertrat 1993 ein Kirchenkritiker den Standpunkt, die Kirchen bekämen viel zu viel Geld von der öffentlichen Hand. Nach der Sendung, die eine hohe Seherbeteiligung aufwies, ließ der Moderator die Zuschauer anrufen und abstimmen. 84,4% der Anrufer stimmten der Aufforderung “Stoppt die Kirchen, sie wollen nur unser Geld!” zu.

Der Besitz der Kirchen in Deutschland wird heute auf mehr als DM 981Milliarden geschätzt, davon gehören allein 73 Milliarden den Klöstern (C.Frerk, Finanzen und Vermögen der Kirchen in Deutschland, Alibri 2001). Der SPIEGEL (49/2001) nannte hierauf die Katholische und die Protestantische Kirche die reichsten Unternehmen Deutschlands. Der Grundbesitz der Kirche und der Ordensgemeinschaften basiert historisch zum allergrößten Teil auf gleich fragwürdige Titel wie der Besitz des Adels. Der Unterschied ist, dass die Aristokraten den größten Teil ihrer Besitztümer abgeben mussten, während die Kirche weiter ihren Besitzstand mehrte. Es ist ihr immer wieder gelungen, den “Grundbuchsstand” über alle Revolutionen und Kriege zu wahren. Gleich, ob Ländereien als Entgelt für politische Bündnisse, als Resultat von Schenkungen oder Erbschaften, durch Erpressung, Raub oder Fälschungen erworben wurden, sie blieben alle in den Händen der Kirchen.

In den Reformländern Osteuropas sind es nach dem Fall des eisernen Vorhanges die strategischen Hauptziele der Katholischen Kirche, zum einen kirchentreue Parteien zu fördern, und sich zum zweiten alle Besitzungen von früher wieder einzuverleiben. In Anbetracht der wirtschaftlichen Situation dieser Länder muss man wohl von Zynismus sprechen. Besonders dort, wo die letzten Wahrer des Besitzstandes Faschistenknechte wie Prälat Tiso (Slowakei) oder Erzbischof Stepinac (Kroatien) waren.

In Deutschland jedenfalls dürfte die katholische Kirche an die 3,5 Milliarden qm Land besitzen, die evangelische etwa ein Fünftel dessen. In Bayern ist die katholische Kirche nach dem Staat der größte Grundbesitzer. Der Großteil wird nicht einmal selbst genützt, sondern verpachtet. Noch immer werden Flurbereinigungen verhindert, weil die Kirche an ihrem Besitzstand festhält, ja sogar neues Agrarland, das benachbarte Landwirte benötigen würden, versucht sich die Kirche einzuverleiben. Die Besitzpolitik der katholischen Orden und Diözesen erinnert in Vergangenheit und Gegenwart eher an die Methoden mächtiger Kaufleute oder großer Konzerne. In der Lehre Jesu lassen sich diesbezüglich keine Hinweise finden, im Gegenteil.

Die gegenwärtige Entwicklung in Deutschland gibt Anlaß zur Hoffnung. Immer mehr Menschen erkennen den Widerspruch zwischen der Lehre des Christentums und der Machtpraxis der Kirchen. Diverse Medien greifen immer öfter heikle Themen um die Kirchen auf, Kritiker besonders der Katholischen Kirche füllen bei ihren öffentlichen Auftritten die Säle. Der Prozess einer kritischen Bewusstseinsbildung ist in Gang gekommen.






VI. Kroatien, die Katastrophe

Das Verhalten der Kirchenregierung gegenüber den Nationalsozialisten und anderen autoritären Regime legt Zeugnis ab von der Bereitschaft des Vatikans, jede politische Koalition einzugehen, wenn es den eigenen Zielen förderlich ist. Meistens sind diese Ziele machtpolitischer Natur. Wie weit das politische Kalkül die Kirchenfürsten gehen lässt, wurde im Europa der Neuzeit am eindrucksvollsten im ehemaligen Jugoslawien demonstriert. Völkermord und extreme Grausamkeiten wurden nicht nur geduldet, sondern unterstützt. Die Motive dafür sind wohl von ähnlicher Art wie die Beweggründe für die Kreuzzüge. Sollte es sich - wofür wenig spricht - um Überlegungen zur Stärkung und Erhaltung des katholischen Glaubens in Jugoslawien gehandelt haben, so ist dies schlimm genug. Denn die Mittel, die zur Durchsetzung des Zweckes gewählt wurden, haben diese Form des katholischen “Christentums” ad absurdum geführt.

Als in Jugoslawien das Grauen während des zweiten Weltkriegs Gestalt annahm, war einer der Namen dafür “Jasenovac”. Es war das größte Konzentrationslager Jugoslawiens. Mehr als 200.000 Menschen wurden dort umgebracht. Dieses KZ ist bislang in keinem Geschichtsbuch so leicht zu finden - denn der Hintergrund ist ein politischer Skandal ungeheuren Ausmaßes: Die katholische Kirche war die stärkste treibende Kraft beim großen Abschlachten durch die Ustascha, es ist sogar der Schluss unvermeidbar, dass die Kirche die Entwicklung gezielt geplant und gesteuert hat. Dies ist durch unabhängige Untersuchungen mehrerer Historiker belegt. Wer an den Details interessiert ist, die die finsterste Seite religiösen und nationalistischen Wahnsinns hervorzubringen vermag, sei auf das Buch des Geschichtsprofessors und Präsidenten des Russel-Tribunals, Vladimir Dedijer, “Jasenovac - das jugoslawische Auschwitz und der Vatikan”, verwiesen.

Für die “Heilige Römische Kirche” war der Balkan immer Frontgebiet - hier noch erzkatholische Kroaten, dort schon orthodoxe Serben. Bereits im dreizehnten Jahrhundert begannen die Päpste, die Orthodoxen, und hier wieder besonders die Serben, als “perfide Bestien” und ähnliches zu bezeichnen. Einige Jahrhunderte vorher hatte Rom versucht, die Oberherrschaft über die christliche Ostkirche ebenfalls an sich zu reißen, war jedoch gescheitert. Aber die römische Kirche vergisst nicht. Diverse, teilweise gewaltsame Zwangsbekehrungsaktionen werden aus dem Mittelalter berichtet. In der österreichisch-ungarischen Monarchie und darüber hinaus bis in die erste Republik Österreichs gab es eine starke und einflussreiche Achse zwischen einem aristokratisch/politischen und einem kirchlichen Pol. In den letzten Jahren der Monarchie wurde sogar die Armee zur Verbreitung des Katholizismus auf orthodoxem Terrain herangezogen.

Das katholische Kroatien war immer schon das Bollwerk des wahren Glaubens, der Limes, der das Reich Gottes von den Ketzern trennt. Nur aus dieser über Generationen beibehaltenen Perspektive der Kirche sind die weiteren Geschehnisse erklärbar. Es versteht sich von selbst, dass die Indoktrination der Kroaten durch den Klerus ihre Wirkung tat und zu einer entsprechend chauvinistischen und fanatischen Geisteshaltung unter Teilen der Bevölkerung führte.

Als der Faschismus aufkeimt zeigt sich, dass der Vatikan damit keinerlei Probleme hat. Immerhin war es die erste internationale moralische Anerkennung für Hitler, als Pius XI. im Juli 1933 das Konkordat mit ihm abschloss. Dass sich klerikales mit faschistischem gut vermengt, zeigte sich nicht nur in Kroatien, sondern ebenso in Italien und in der Slowakei unter dem Prälaten Tiso, sowie bei vielen Geistlichen in anderen Ländern, wie etwa bei Kardinal Innitzer in Österreich. “Katholizismus und Nationalsozialismus haben viel Gemeinsames und arbeiten Hand in Hand für die Verbesserung der Welt”, meinte Monsignore Tiso, der als Staatschef der Slowakei die “Aussiedelung” der slowakischen Juden nach Deutschland zuließ. Nach dem Krieg wurde er hingerichtet.
Die Kirche warb 1991 für die Aufstellung eines Denkmales für Tiso in Bratislava. In Wien wird ein kroatischer Franziskaner zitiert, der, auf den kroatisch-serbischen Krieg angesprochen, sagt, er würde “ohne Zögern zu den Waffen greifen.” Die Zeit heilt viele Wunden, aber nicht kranke Gehirne.


Ein “Heiliger Krieg”

Die Ustascha entstand als Untergrundbewegung für ein unabhängiges, katholisches Kroatien schon im Vielvölkerstaat “Königreich Jugoslawien”. Führer der Bewegung war der Rechtsanwalt und Terrorist Ante Pavelic, der sich “Poglavnik”, Führer, nennen ließ. In den dreißiger Jahren war Pavelic von einem französischen und einem jugoslawischen Gericht wegen Ermordung des jugoslawischen Königs und des französischen Außenministers in Abwesenheit zum Tode verurteilt worden. Schon vor der Ausrufung des “unabhängigen Kroatien”, wahrscheinlich in den Dreißigerjahren, hatte der Vatikan der Kirche Kroatiens befohlen, beim Aufbau der geheimen Organisationsstrukturen der Ustascha zu helfen. Obwohl der Vatikan in diplomatischen Beziehungen zum Königreich Jugoslawien stand, gratulierten und segneten die Spitzen des Vatikans das “unabhängige Kroatien” und Pavelic schon am 10. April 1941, als die deutschen Truppen erst in Zagreb standen und das Königreich Jugoslawien noch existierte.
Sofort etablierte sich die Organisation der Ustascha, die auf die Infrastruktur der katholischen Kirche zurückgreifen konnte. Am ersten Tag der “offiziellen” Existenz der Ustascha im Frühjahr 41 wurde der Landbevölkerung mitgeteilt, dass sie ihre Anweisungen in Hinkunft von den Pfarrern bekommen werde. Franziskanerklöster waren Stützpunkte und Versorgungslager für Ustascha-Einheiten, katholische Geistliche und Mönche organisierten und führten zum Teil die Trupps, die nun die reguläre jugoslawische Armee angriffen und mit “Säuberungen” begannen. So wurden sofort Hunderte von orthodoxen Kirchen zerstört und mehr als zweihundert orthodoxe Priester umgebracht. Während dieser Zeit und auch später hielt sich ein Gesandter des Papstes in Kroatien auf. Es ist dokumentarisch belegt, dass der Papst von den Gräueltaten der Ustascha informiert war.

Das Haupt der katholischen Kirche in Kroatien war der Erzbischof von Zagreb, Stepinac. Beim ersten Treffen mit dem nach Zagreb zurückgekehrten Pavelic wünscht diesem der Erzbischof “Gottes Segen bei der Arbeit”. Aus der Ankündigung des “Führers”, er werde mit Altkatholiken und Orthodoxen gnadenlos umgehen, schloss der hohe Diener der Kirche messerscharf, dass Pavelic ein “aufrechter Katholik” sei. Stepinac unterstützt Pavelic nicht nur moralisch, sondern ermutigt ihn geradezu bis zum bitteren Ende, trotz des Völkermordes vor seinen Augen. Außerdem hält der Erzbischof den Kontakt zum Vatikan und bittet je nach Bedarf um entsprechende politische Unterstützung für die Ustascha. Dabei ist er meist erfolgreich, da Pius XII. persönlich außergewöhnlich großes Interesse für das Gedeihen des “Unabhängigen Staates Kroatien” bzw. der Ustascha zeigt, welche ja mit dem Staat so ident war wie die NSDAP mit dem Deutschen Reich.

Ab dem ersten Tag der Ustascha-Regierung übernahmen Kleriker Schlüsselfunktionen auch in denjenigen Milizeinheiten, die aktiv am Völkermord beteiligt waren. Weder der Vatikan, noch das Zagreber Militärvikariat protestierten jemals gegen die blutigen Vergehen an der Zivilbevölkerung, noch wurde jemals, nicht einmal nach 45, ein einziger Priester deswegen von seinen geistlichen Oberen zur Verantwortung gezogen. Es geschah nichts ohne Wissen, das meiste wahrscheinlich nach dem Willen der Kirche. Zahllose Priester mordeten eigenhändig, etliche taten sich besonders hervor. So begründete etwa ein gewisser Kleriker namens Guberina explizit, dass die präventive Ausrottung der orthodoxen Serben erlaubt und notwendig sei.

Die Gräueltaten der Ustascha berechtigen zu der Frage, ob sie nicht die Bestialität der Faschisten deutscher (und österreichischer) Provenienz noch übertrafen. Über 700.000 orthodoxe Serben, 60.000 Juden und 26.000 Sinti und Roma wurden umgebracht. Darunter mindestens 20.000 Kinder, die unter anderem in Kessel mit siedendem Wasser geworfen wurden. Der Priester Juricevic, Regierungsabteilung für Religion, sagte: “Heute ist es keine Sünde, selbst ein kleines Kind zu töten, das der Ustascha-Bewegung im Wege steht.”

Serben wurden in Schluchten gestürzt (1941), in Kirchen zusammengetrieben und dann abgeschlachtet (ab 1941). Ganze Dörfer wurden ausgerottet, wobei sich die führenden oder mitwirkenden Priester und Mönche durch besondere Perfidie und Gnadenlosigkeit auszeichneten; wie etwa Don Ilija Tomas, der täglich neue Vernichtungsvorschläge parat hatte und serbische Dörfer sogar ausrotten ließ, nachdem die verzweifelten Bewohner geschlossen zum katholischen Glauben übergetreten waren (1941). Pavelic, der Führer, hatte neben seinem Schreibtisch einen Korb mit 20 Kilo Menschenaugen stehen, ein “Geschenk seiner treuen Ustaschen”. Die Augäpfel wurden den Opfern teilweise bei lebendigem Leib herausgerissen. Die Bestialität der amoklaufenden Ustaschen überstieg sogar die Toleranzgrenze mancher deutscher Besatzer.

Aus Dokumenten geht hervor, dass Kardinal Maglione, der vatikanische Staatssekretär, spätestens 1942 von den Massakern der Ustascha an der Zivilbevölkerung informiert war. Der Gesandte des Papstes, 1943 gerade auf Besuch in den am blutigsten gefärbten Regionen, überbringt den Schlächtern “herzliche Grüße” vom Papst. Wiederholt tauschen Pius und Pavelic Telegramme aus, der Papst empfängt Pavelic im Vatikan. Ab 1942 ist Graf Lobkowicz als geheimer Kämmerer des Papstes so etwas wie der Botschafter Kroatiens am Heiligen Stuhl, mit wesentlich besserem Zugang zu Pius XII. als jeder andere Diplomat. Formale Beziehungen wurden nach außen hin nicht aufgenommen, um sich auf einen “neutralen” Standpunkt zwischen Deutschem Reich und Jugoslawien zurückziehen zu können. Wiederholt erfahren kroatische Delegationen im Vatikan spezielle Ehren und persönliche Audienzen.

Im August 1942 wendet sich der Oberrabbiner von Zagreb brieflich an den Papst um Hilfe “in diesen schweren Stunden, in denen das Schicksal dessen, was von unserer Gemeinde übrig geblieben ist, entschieden wird ...”. Ende September berichtet der Gesandte des Papstes, dass zwar der Lauf der Dinge nicht aufgehalten werden konnte, dass es aber immerhin gelungen sei, alle Juden aus katholisch-jüdisch gemischten Familien zu befreien. Diese Taktik, obwohl sie einige Leben gerettet hat, muss als zynisch bezeichnet werden, und sie ist wohl typisch für das Verhalten des Vatikans gegenüber den Gräueltaten der Naziverbrecher insgesamt: Mit den Oberschlächtern werden Verträge geschlossen, es werden Geschenke überreicht und das Füllhorn des apostolischen Segens senkrecht über die Verbrecher ausgeschüttet. Die Mörderregimes werden ermutigt oder ohne ein Wort der Kritik geduldet. Gleichzeitig werden einige wenige der Verfolgten durch Intervention des Vatikans gerettet; wenn das überhaupt stimmt, denn auch diese Meldungen wurden schon als bewusste Propagandalügen bezeichnet. Man ist Gast beim Bankett des Völkermordes und rettet zum Dessert dann einige Leben.

Ende 1941 erging die Verordnung über die Einweisung in “Sammel- und Arbeitslager”. Mehr als 200.000 Menschen sollten allein im größten Lager, Jasenovac, ermordet werden. Die Opfer wurden teilweise mit Holzhämmern erschlagen oder langsam zu Tode getreten, zu Tode gepeitscht und in Ziegelöfen verbrannt. Das Verbrennen bei lebendigem Leib in den großen Öfen musste wieder eingestellt werden, da sich die Opfer in ihrer Todesangst eher von den Wachen erschießen oder erschlagen ließen, als in die Flammen zu gehen. - Man kann Pius XII. und allen anderen Beteiligten nur wünschen, dass die Lehren der katholischen Kirche über die Hölle und ihre ewigen Qualen nicht in voller Härte zutreffen.

Ein Vertreter des jugoslawischen Roten Kreuzes wurde 1942 in den Vatikan entsandt, um den Papst zu bitten, für die Beendigung der Gräueltaten der Ustascha zu sorgen. Schon dieser Vorgang zeigt, dass die realpolitische Einschätzung von einem wesentlichen Einfluss Pius XII. ausging. Der Repräsentant des Roten Kreuzes hatte Dokumente, um die Rolle der katholischen Kirche in Kroatien zu beweisen und man war der Ansicht, ein Machtwort des Papstes hätte die Ustascha-Soldateska zur Räson bringen können. Der Mann wurde abgewimmelt. - Im September 1943 empfing der Papst in einer Sonderaudienz 110 kroatische Militärpolizisten, deren alle, einschließlich derer, die im KZ Jasenovac dienten, seinen allerhöchsten Segen und Geschenke empfingen.

1961 wurde eines der Massengräber der Ermordeten von Jasenovac geöffnet. Als erst ein sehr kleiner Teil des Grabes zugänglich war, mussten die Arbeiten jedoch wieder eingestellt werden. Bis dahin hatten die Wissenschaftler schon an die 58.000 mit Holzhämmern zertrümmerte Schädel gezählt. Die Qualen der Opfer und der Sadismus der Wachen gegenüber den Gefangenen waren - so man das überhaupt messen kann - in Jasenovac mindestens so grauenvoll wie in großdeutschen KZ. In verantwortlichen Positionen des Lagers Jasenovac waren auch etliche Priester. Der Franziskanerpater Filipovic-Majstorovic wechselte den Beruf und wurde Leiter des KZ. Er war eines der blutrünstigsten Scheusale und pflegte während seines Mittagsmahles - er legte nur sein Besteck kurz zur Seite - vorgeführte Gefangene zu erschießen.

Die genaue Kenntnis des Vatikans von den Vorgängen in Jugoslawien spiegelt sich unter anderem in detaillierten Anweisungen an die Ortskirchen bezüglich der Umtaufe Orthodoxer. Mehrere Hunderttausend Menschen wurden Zwangskonvertierungen unterworfen, und diese Aktionen waren fast immer mit Massakern verbunden. Die Vergrößerung der Herde – mit welchen Methoden immer – ist seit es Päpste gibt ein vorrangiges Ziel der Heiligen Römischen Kirche. Kurz nach dem Krieg wurden in Gerichtsverhandlungen gegen Handlanger des Ustascha-Regimes etliche Beweise dafür vorgelegt, dass die katholische Kirche Kroatiens, unterstützt vom Vatikan, nicht nur von den Verbrechen gewusst, sondern die Ustascha unterstützt und bei ihren Aktionen ermutigt hatte.

Für Kirche und Vatikan war die Ustascha, ähnlich wie die Nazis, ein willkommenes Geschenk des Himmels, um “das Böse” hintanzuhalten. In dem einen Fall waren das die Kommunisten, im anderen die orthodoxen Serben. Selbst nach dem Krieg konnte Erzbischof Stepinac dem Ustascha-Regime noch Positives abgewinnen: Die Zahl der Abtreibungen sei zurückgegangen (!). Es zeigt sich am Beispiel Kroatien einmal mehr, wie ernst es die Kirche mit ihrem Anspruch meint, ihre Wahrheit zu verbreiten, ihr Terrain zu verteidigen. Der Zweck heiligt die Mittel, selbst wenn diese Mittel die unmenschlichsten, unvorstellbarsten und grauenhaftesten Untaten sind, die man anderen antun kann. Wir sollten gewarnt sein! Wer hätte 1930 geglaubt, dass Folter und Mordmethoden, wie wir sie von der Inquisition kennen, in Europa einen neuen Höhepunkt solchen Ausmaßes erleben würden.

Wir müssen uns ernsthaft fragen, ob die Kirche heutzutage wohl anders handeln würde, wenn ihr diese Macht wieder gegeben wäre. - In Kroatien wurde diese finstere Seite der Geschichte nie aufgearbeitet. Die Heilige Römische Kirche war daher auch nie nur in der Nähe eines Lernprozesses oder einer kritischen Reflektion ihrer Rolle auf dem Balkan des 2. Weltkrieges. Rom verhält sich, auf diese geschichtlichen Fakten angesprochen, nicht anders als Kurt Waldheim, der an politischem Gedächtnisschwund leidende frühere österreichische Bundespräsident und UN-Chef. Ihr Machtkalkül, das Machiavelli zum Stümper degradiert, hat sich vom Mittelalter bis zum zweiten Weltkrieg nicht geändert, man kann daran zweifeln, dass es sich in den letzten fünfzig Jahren geändert hätte.
Mit der Befreiung Jugoslawiens von deutschen und kroatischen Faschisten durch Titos Armee und die Alliierten war noch keineswegs das Ende der Ustascha gekommen. Ab 1943, als die Niederlage der Nationalsozialisten abzusehen war, bemühte sich Pius XII. um die Erhaltung des Ustascha-Staates, des Bollwerks des Katholizismus, für die Zeit nach dem Krieg. Entsprechende Aktivitäten wurden vor allem in Richtung USA unternommen. Erzbischof Stepinac hatte noch im Jahr 1945 wichtiges Archivmaterial der Ustascha zur Verwahrung übernommen und sorgte auch für ein sicheres Versteck für das gestohlene Gold.

1998 wird Stepinac von Johannes Paul II. Selig gesprochen! Die dazu präsentierte Biografie spricht von seinem Humanismus auch während der Kriegsjahre. Weiters wird Stepinac zum Märtyrer stilisiert, weil er nach dem Krieg angeblich wegen seines Einsatzes für die Kirche in Jugoslawien ins Gefängnis kam. In Wahrheit wurde er unter Tito völlig zu recht wegen Kollaboration während des Weltkrieges angeklagt. Die Rechnung mit dem schlechten Gedächtnis der Menschen geht zwar meistens auf, aber hier war es etwas zuviel. Heftige Reaktionen kamen nicht nur von serbischer Seite, sondern auch von unabhängigen Historikern. – Wer wird als nächster selig gesprochen, vielleicht der brave Katholik Himmler, Chef der SS?

Zu Kriegsende musste Pavelic fliehen, mit ihm im Troß einige hundert katholische Geistliche, darunter ein Bischof und ein Erzbischof. Er versteckte sich samt einigen hundert Kilo geraubten Goldes und anderen Pretiosen in einem Kloster nahe Salzburg und wurde später von den Briten in Oberösterreich verhaftet. Durch mysteriöse Interventionen verschwand Pavelic jedoch neuerlich und tauchte dann als Priester verkleidet in Rom wieder auf. Pater Draganovic, ein ehemaliger hoher Ustascha-Offizier, besorgte ihm einen Rot-Kreuz Pass auf den Namen Pablo Aranyos. 1948 reiste er so nach Argentinien aus. Pater Draganovic wurde von päpstlichen Stellen dabei unterstützt, Ustascha-Verbrecher aus Gefangenenlagern herauszukriegen und mit Pässen auf falsche Namen in allen Herren Länder zu verschicken, wo viele von ihnen ihre Tätigkeit für die Ustascha wieder aufnehmen konnten.

Eine große Zahl von Kriegsverbrechern, darunter natürlich Priester und Bischöfe, wurden in Klöstern versteckt und nach Südamerika geleitet. Doch nicht genug damit, dass Massenmördern und Kriegsverbrechern über die Wege des Vatikan die Flucht ermöglicht wurde, organisierte Draganovic auch noch nach Kriegsende Sabotage- und Spionagetrupps, die nach Jugoslawien eingeschleust wurden. Kein einziger der an den Verbrechen beteiligten Priester wurde von der Kirche nach Kriegsende zur Verantwortung gezogen. Der Papst hatte seinen ganzen Einfluss dafür geltend gemacht, dass Pavelic nicht ausgeliefert wurde. Pavelic, der Sammler von Menschenaugen, starb 1959 in Madrid, versehen mit den besonderen Segnungen von Papst Johannes XXIII. und mit dem Rosenkranz in Händen, den ihm Pius XII. geschenkt hatte.

Doch die Ustascha sollte weiterleben, gestützt durch die Heilige Katholische Kirche. Mindestens bis in die siebziger Jahre war die Zeitschrift “Danica” eine der vehementesten antijugoslawischen Publikationen. Sie wurde in Chikago von kroatischen Franziskanern unter Leitung von Pater Mandic herausgegeben. Dieser war der Leiter der Propagandaabteilung der kroatischen Exilregierung. In seiner Zeitschrift wurden unter anderem Reden von Pavelic abgedruckt.

Der Krieg im ehemaligen Jugoslawien Anfang der neunziger Jahre, der Zerfall der Republik, die Auseinandersetzungen zwischen Serben, Kroaten und Moslems müssen auch vor dem Hintergrund von Mord und Grausamkeit an hunderttausenden Serben und anderen Volksgruppen durch die kroatischen Ustaschen gesehen werden. Immerhin knüpften Kroatische Kampfverbände in den Neunzigern offen und voll Stolz an die Ustascha-Tradition an. Was Wunder, dass die Serbische Seite in den Abspaltungskriegen Kroatiens und Bosniens die schreckliche Vergangenheit wieder inkarniert sah und ebenfalls mit Hass und Schrecken reagierte.

In den Jahren seit dem Zerfall Jugoslawiens dürfen in Kroatien politische Bewegungen auftreten, die die Ustascha-Nachfolge für sich reklamieren und die Rehabilitierung der Ustascha fordern. Eine dieser Gruppierungen, die HZP, kämpfte 1993 unter dem Kürzel HOS in Bosnien-Herzegowina. In Zagreb werden wieder Pavelic-Bilder und Kassetten mit Ustascha-Schlachtliedern verkauft. Die HZP verlangt ein Großkroatien einschließlich Bosnien, wobei alle Serben das Land zu verlassen hätten. An ihren Schulterschlaufen tragen die Krieger der HOS den Rosenkranz. Es ist ein Skandal, daß die westlichen Staaten, die sich mit der Anerkennung Kroatiens beeilten, nicht bei dieser Gelegenheit und nicht später gegen das offene Auftreten des Neofaschismus in Kroatien protestiert haben. Allen voran überschlugen sich Deutschland und Österreich, nur ja möglichst schnell vollendete Tatsachen zu schaffen und den abgespaltenen Staat anzuerkennen. Aber auch die USA unterstützten die kroatische Armee im Kraijna-Krieg 1991 mit wichtigen Geheimdienst-Erkenntnissen. - Die Geschichte lässt grüßen.

Im August 1992 nahm Papst Johannes Paul II. zum Bürgerkrieg zwischen Serben, Bosniern und Kroaten Stellung: Es gebe die Pflicht und das Recht auf ein humanitäres Eingreifen, um jene zu entwaffnen, die töten wollen, Hilfe zu bringen und die Beschuldigungen über Gräueltaten in Konzentrationslagern zu untersuchen. Stoppe man die Hand des Aggressors nicht, werde man zum Komplizen (!). - Er muss wohl wissen, wovon er spricht. Die angesehene Deutsche “DIE ZEIT” vom 26.Juni 1992 bringt ein Gespräch mit einem italienischen Söldner, der in der kroatischen Nationalgarde kämpfte: “... An der Ausrüstung gebe es nichts zu bemängeln. “Schuhe von Honecker”, sagt er, “und Gewehre von der Caritas.” Zum Beweis schnürt er die Stiefel auf, kramt Munition aus den Taschen, alles von der NVA, in Kisten mit den Aufschriften der katholischen “Organisation für praktisch geübte christliche Liebes-Hilfstätigkeit” von Deutschland nach Kroatien geschickt....”

Jedes Wort von Frieden im ehemaligen Jugoslawien ist blanker Hohn, wenn es aus dem Munde eines katholischen Klerikers kommt. Menschenverachtend die Politik Pius’ XII., zynisch die scheinheiligen Lügen der Gegenwart.





VII. “Heilige” Geschäfte

Wie wir bisher gesehen haben, ist nicht nur der Wahrheits- bzw. Absolutheitsanspruch der Katholischen Kirche lediglich aus Kirchendoktrinen selbst intellektuell abgeleitet, sondern auch die Politik der Kirche(n) durch Jahrhunderte beweist, dass hier keinerlei “Heiligkeit” oder höhere Moral wirkt. Es wird nicht nach besseren Regeln gespielt wird als anderswo - im Gegenteil. Das erstaunliche dabei ist, dass es dennoch gelungen ist, in der westlichen Welt generell die dumpfe Überzeugung zu verankern, dass die Kirche doch etwas heiliges, insofern absolutes, wäre, ja, dass sie sogar Gott vertrete. Erstaunlich einerseits, andererseits erklärbar durch fast zweitausend Jahre ständiges Wiederholen dieses Anspruches. Und die gesellschaftliche, die kollektive Konditionierung baut sich selbst im Zeitalter der totalen Information und der Individualität nur sehr langsam ab.

Selbst Menschen, die von sich behaupten, der Kirche fern zu sein, haben subtile Hemmungen, wenn es um ernste Kritik an der Kirche geht. Die Ursache liegt wohl in der ständigen gesellschaftlichen Präsenz dieser Institution, und in ihrem zumindest indirekten Einfluss auf das Schulwesen und die Erziehung. Schließlich ist man auch aus Rücksicht gegenüber seinen Mitmenschen vorsichtig, deren Glauben man nicht beleidigen möchte.

Ein wesentliches Element in diesem Mechanismus ist das Schuldgefühl, die systematische Zerknirschung des Individuums, das schon mit der Erbsünde behaftet das Licht der Welt erblickt, und das später seine Sünden dem Beichtvater zu berichten haben wird. Das Mütchen eines solchen Sünders kann leicht gekühlt werden, seine latenten Schuldgefühle lassen sich als Strafreflex benutzen. Den Grundstein zur seltsamen Idee der Erbsünde hat Paulus gelegt, die doktrinäre Festung darüber hat Augustinus im 4. und 5. Jahrhundert errichtet. Dieser war Zeuge, als die wilden Stämme des Nordens Roms Untergang herbeiführten. Die Depression seiner Zeit verführte Augustinus zu der Annahme, Gott habe die ganze Menschheit verdammt. So entstand das Gedankenmodell, wegen einer Sünde des ersten Menschen seien alle Menschen mit der Sünde geboren. Die Folgen dieser Indoktrination mit einem Erbschuldgefühl sind unabsehbar. In der Struktur der Beherrschung der Gläubigen durch die Kirche ist diese Konstruktion eine tragende Säule. “Durch die Sünde der Stammeltern hat der Teufel eine gewisse Herrschaft über den Menschen erlangt, obwohl der Mensch frei bleibt. Die Erbsünde führt zur Knechtschaft unter der Gewalt dessen, der danach die Herrschaft des Todes innehatte, das heißt des Teufels” (Katechismus 407). Nur durch die Sakramente der Kirche werden die armen Sünder erlöst. Diese ganze Idee von der Erbsünde ist Unsinn, nie hat Jesus Christus das gelehrt. Niemand wird schuldig geboren.

Die protestantischen Kirchen haben die Schulddogmatik nicht im ganzen Ausmaß übernommen, ich führe die größere geistige Flexibilität des angloamerikanischen Kulturkreises im Wesentlichen darauf zurück. - Der Angstreflex, nur ja nicht gegen die heilige Kirche “schuldig” zu werden, läuft bei fast jedem ab, wenn er nicht in einem absolut kirchenfreien Raum aufgewachsen ist. Seine ganze Wirkung kann er aber nur entfalten, wenn sich ihm nicht Reflektion und Ratio entgegenstellen.

Das infame an diesem Mechanismus ist der Kurzschluss zwischen “Erbsünde” und dem Schulddogma, der Sünderkrankheit der christlichen Welt, die wiederum nur ein künstliches, mentales Konzept darstellt, das die Kirche predigt. Dieses System funktioniert so ausgezeichnet, dass man in Versuchung gerät, ihm eine eigene Intelligenz zuzuschreiben. Wie gut es arbeitet, erkennt man zum Beispiel an den Theologen oder Priestern, die aufgrund ihrer Vernunft oder ihres Gerechtigkeitsempfindens mit den vorgegebenen amtskirchlichen Strukturen in Kollision geraten. Obwohl sie vom Apparat ohnehin nichts mehr zu erwarten haben, gelingt es doch den wenigsten, sich ganz aus dem feingewobenen Netz der Schuldgefühle zu befreien. Was man sieht, sind vernünftig argumentierende, engagierte Kirchenleute, die verzweifelt versuchen, ihre Kirche zu ändern, oder im System mit ihrer Anschauung zu überleben. Sie werden zurechtgewiesen, abgekanzelt, verlieren ihre Ämter - sie wissen nach einiger Zeit, dass sich nichts ändert, dennoch bleiben sie im System. Sie könnten ja genauso gut ihre Religion für sich und andere leben, ohne in der Kirche zu sein; sie tun es nicht - warum? Weil sie sich in ihrem tiefsten Inneren nicht von der Vorstellung lösen können, dass es letztlich doch die “heilige” Mutter Kirche sei. Und als Repräsentanten des Systems sind sie mit der Schulddogmatik natürlich bestens vertraut, weshalb sie bei ihnen ganz ausgezeichnet wirkt.

Der Absolutheits- oder Heiligkeitsanspruch ist eine künstlich aufrechterhaltene Behauptung. Die Erbsünde ist eine Erfindung und ein rein mentales Konzept. Darüber hinaus ist der angeblich zentrale Punkt des Christentums, das Leben und die Lehre des Jesus von Nazareth, mit Lehre und Erscheinung der Kirchen heute kaum mehr in Einklang zu bringen. Die beherrschenden Dogmen wurden von einem Paulus geprägt, der Jesus nie begegnet ist. Die Überlieferungen wurden und werden willkürlich selektiert und zensiert.

Das einzige, was wir tun müssen, ist, uns von Vorstellungen und Konzepten zu lösen. Wir brauchen keine Kirchen mit Hierarchien von Fürsten und Prälaten, wir brauchen keine intellektuellen Begründungen für oder gegen Gott.


Die Geschäfte des Vatikans

In den letzten fünfzig Jahren scheint die Demaskierung insbesondere der Katholischen Kirche auf den Gipfelpunkt zuzutreiben. Einerseits wiederholen sich äußerlich “wirtschaftliche” und politische Erscheinungen, die wir aus dem Mittelalter kennen, auf der anderen Seite kulminiert der Absolutheitsanspruch. Dadurch kristallisiert sich das wahre Gesicht des großen Tieres langsam heraus.

Es sollten nun zuerst einige Vorgänge beschrieben werden, die zeigen, dass es nicht nur ums Geld oder Geschäft geht, sondern dass vielmehr jede Moral und jedes Gesetz mit Füßen getreten werden. Alle folgend beschriebenen Fakten wurden bereits publiziert und dokumentiert, stellen aber nur einen repräsentativen Auszug einer langen Reihe von “heiligen” Geschäften dar:
Schon 1929 begann der Vatikan, als internationaler “Player” auf den globalen Finanzplätzen aufzutreten. Die Vatikanbank “IOR” (Istituto per le Opere Religiose) ist die zentrale Institution bei diesen Geschäften. Andere, wie die zu unrühmlicher Bekanntheit gelangte Banco Ambrosiano, standen oder stehen im beherrschenden Einfluss der Amtskirche, repräsentiert durch die Mitglieder und Organe der Kurie des Vatikan.
Doch die geschäftlichen Aktivitäten der vatikanischen Kleriker sind nicht auf Bankgeschäfte beschränkt. In den fünfziger und sechziger Jahren machten Firmen im Besitz des Vatikans ausgezeichnete Geschäfte mit der Errichtung des Flughafens Fiumicino und dem Bau der Anlagen für die Olympischen Spiele 1960 in Rom. Das für einen Flughafen an sich eher ungeeignete Land bei Rom wurde von einer Vatikan-Immobilienfirma verkauft. Unsummen mussten aufgewendet werden, um das Gelände aufzubereiten und verkehrsmäßig zu erschließen; und wieder kassierten vatikanische Firmen ab. Die Vorgänge um diesen öffentlichen Auftrag wurden nie vollständig aufgeklärt. Fest steht immerhin, dass die Auftragnehmer regelmäßig wesentlich mehr kassierten als den Anboten entsprochen hätte, und dass die für ein öffentliches Großprojekt gesetzlich vorgeschriebene Einschaltung des Parlaments unterblieb. Beim Bau der Anlagen für Olympia 1960 in Rom wurde schlecht gearbeitet, es traten Schäden an Straßen und Gebäuden auf. Die Unternehmen in vatikanischem Besitz konnten allerdings nicht mehr haftbar gemacht werden, da sie sofort nach Abschluss der Aufträge Konkurs angemeldet hatten.

Zur selben Zeit, als Paul VI. gegen die künstliche Empfängnisverhütung wetterte, machte ein italienisches Unternehmen sehr gute Geschäfte mit der Produktion und dem Vertrieb der Antibabypille “Luteolas”. Eigentümer des Produzenten, des Instituto Farmacologico Sereno in Rom, war der Vatikan. Präsident der Gesellschaft war ein Neffe des Papstes Pius XII. Durch Verkauf und Schmuggel der Pillen in Europa, Asien und Schwarzafrika verdiente der Vatikan noch einmal Millionen von Dollars. Die Fäden wurden von Kardinal Tisserant, einem der ranghöchsten Kurienkardinäle, gezogen, es waren aber auch andere hohe Kleriker involviert, unter anderem natürlich Marcinkus.

Im April 1970 wurde eine offizielle Anfrage des Europaparlaments an die EG-Kommission deponiert, bei der es um die Ausfuhrmengen von landwirtschaftlichen Produkten in den Vatikanstaat ging. Es war nämlich aufgefallen, dass mit den Mengengerüsten der Exporte nach Italien und in den Vatikanstaat etwas nicht stimmen konnte. Innerhalb der EG war ein höherer Butterpreis festgesetzt worden, während Exporte in die Nicht-EG- Länder viel billiger erlaubt wurden, um den Butterberg abzubauen. Die Einbußen der Exporteure durch den billigeren Ausfuhrpreis wurden durch EG-Zuschüsse kompensiert. Was Wunder, dass allein für 1969 einhundertsechsundzwanzig Tonnen Zucker und eintausenddreihundert Tonnen Butter statistisch erfasst wurden. Die kleine Zahl der Vatikanbewohner müsste also Tag und Nacht Butter und Zucker vertilgt haben, um diese Mengen zu bewältigen. Tatsächlich wurden die billigen Lebensmittel mit hohen Gewinnen auf dem italienischen Schwarzmarkt verscherbelt. Auch diese “Geschäfte” wurden von einem vatikanischen Kleriker gesteuert.

Um die Jahre 1969/1970 wurde die Strategie des Vatikans in Bezug auf seine Beteiligungen und Investitionen einer völligen Neuordnung unterzogen. Unter dem Eindruck erster Enthüllungen und auch der Arbeitskämpfe in Italien entschloss man sich, den “Konzern” ins Ausland zu verlegen. Dafür brauchte man einen Manager, welcher in Person des Rechtsanwaltes Sindona, eines Vertrauensmannes des damaligen Papstes, bald gefunden war. Sindona residierte selbst lange Zeit in New York und investierte dort in Immobilienprojekte, Industrie und Banken. So gehörte z.B. das Watergate-Building über Strohfirmen dem Vatikan, und am World Trade Center bestand auch eine Beteiligung. Sindona tarnte und verschleierte alle seine Transaktionen, so dass es oft schwer zu sagen ist, was er im eigenen Namen und was auf Rechnung des Vatikans besorgte. Sicher ist jedenfalls, dass es Kirchengeld war, das in eine wesentliche Beteiligung an der amerikanischen Franklin Bank gesteckt wurde. Die Bank machte Pleite, der Vatikan verlor Millionen.


Der Ambrosiano-Skandal

Der größte Skandal um die römische Kirche und das liebe Geld war der Zusammenbruch der Banco Ambrosiano im August 1982, und der Mord an Bankpräsident Calvi wenige Monate vorher. Die Ambrosiano-Bank wurde schon im 19. Jahrhundert als katholisches Institut von einem Priester gegründet. Bis zum Schluss war der Vatikan an diesem Bankhaus wesentlich beteiligt und übte seine Rechte über “Vertrauensleute” in der Verwaltung bzw. in Aufsichtsorganen aus. Der Kirchenanwalt Sindona war mit dem Banker Calvi befreundet und hatte ihn in Kirchenkreisen entriert. Über Sindona und Calvi geht die Schiene der Prälaten zu Gelli und seiner mächtigen Loge P2, die als “Staat im Staat” Schlagzeilen machte. Der letzte Präsident der Ambrosiano Bank, Calvi, ging bei den Magnaten der Kurie ein und aus, auch wenn das später geleugnet wurde. Noch kurz vor seiner Ermordung hatte er eine Privataudienz bei Papst Woytila.

Calvi als Chef des Geldhauses war es gelungen, die Ambrosiano zu einem relativ bedeutenden Bankhaus aufzuwerten. Er hatte Tochtergesellschaften in Mittel- und Südamerika gegründet, die er mit Krediten ausstattete und über die er wiederum Ambrosiano-Aktien erwarb. Daneben liefen andere, mehr oder weniger dubiose Geschäfte. Wie der Vatikan bzw. die Vatikan-Bank an den involvierten Firmen beteiligt waren, konnte mangels Offenlegung durch den Vatikan nie eruiert werden. Eine panamanesische Gesellschaft wurde jedenfalls von Erzbischof Marcinkus kontrolliert, der für die Vatikan-Bank verantwortlich war. Über diese Firma, “Bellatrix”, wurde der Ankauf von Exocet-Raketen für Argentinien finanziert. Diese Raketen waren während des Falkland-Krieges die von den britischen Piloten am meisten gefürchtete Waffe der Argentinischen Armee.

Eng wurde es für Calvi, Marcinkus und Sindona 1982, als die italienische Zentralbank eine umfassende Prüfung der Ambrosiano durchführte. Diese Untersuchung mündete ins Konkursverfahren, es wurde eine Überschuldung von rund einer Milliarde Dollar festgeschrieben. Neben wirtschaftlichen Faktoren - Wertverlust der Lira - war ausschlaggebend gewesen, dass Gelder einfach verschwunden waren. Eine der wichtigsten Aussagen der Prüfer ist, dass sie nicht in der Lage waren, zwischen dem Vermögen der Ambrosiano und der Kirchenbank IOR zu unterscheiden, da es komplexe und vielschichtige Verknüpfungen über Beteiligungskonstruktionen und ähnliches gab.
Der öffentliche Ankläger im Strafprozess beschuldigte in seinen Schlussausführungen die Vatikanbank IOR, Calvi systematisch bei seinen verbrecherischen Transaktionen unterstützt zu haben. Es gab etwa eine Art Patronatserklärung des IOR zugunsten des Ambrosiano-Konzerns, mit dessen Hilfe sich Calvi über Tochterfirmen neues Geld verschaffen konnte - das natürlich mit dem Konkurs abgeschrieben werden musste. - Nach italienischen Aussagen wurde in der Banco Ambrosiano auch Drogengeld der Mafia gewaschen, ebenso hält sich die Meinung, das IOR selbst sei zur Geldwäsche ideal geeignet, und habe sogar Milliarden von Lira-Valuten aus Lösegeldern billig von der Mafia angekauft.

Eine Aktionärsgruppe sandte nach dem Ende der Ambrosiano-Bank einen mit 12. Jänner 82 datierten Brief an Papst Johannes Paul II., in dem sie sich über die Verbindungen zwischen Ambrosiano, IOR und Verbrechern beklagte. Dieser Brief samt angeschlossenen Dokumenten zeigte im Detail die Verbindungen zwischen Marcinkus, Calvi und Gelli von der Loge P2 auf. Der Papst wurde dringend um Hilfe und Rat gebeten. Die Aktionäre, die ja alles verloren hatten, bekamen nie eine Antwort. Das Strafverfahren, das in Italien und international großes Aufsehen erregte, konnte nur lückenhaft abgeschlossen werden. Der Vatikan verweigerte jede echte Information, der ursprünglich natürlich ins Verfahren einbezogene Erzbischof Marcinkus musste aus der Strafverfolgung exkludiert werden: Er hatte seinen Wohnsitz am Stadtrand Roms aufgegeben, zog sich innerhalb der vatikanischen Mauern zurück und ist für die italienische Justiz seitdem nicht mehr greifbar. Marcinkus erfreut sich nach wie vor der hohen Wertschätzung durch Johannes Paul II. Gerade dadurch, dass Marcinkus von der Kirche davor geschützt wurde, im Mailänder Prozess aufzutreten, hat der Vatikan ein Schuldbekenntnis abgelegt.

Nach all den unnatürlichen Todesfällen um IOR und Ambrosiano und in Anbetracht der Summen, um die es hier geht, stellt sich die Frage, ob nicht nach Marcinkus Papst Woytila selbst vor Gericht hätte aussagen müssen. Immerhin ernennt der Papst allein das fünfköpfige Kardinalskollegium, das für die Vatikanbank verantwortlich ist. Die Einsamkeit dieser päpstlichen Entscheidung wird dadurch abgegolten, dass der Papst auch allein über die Gewinnverwertung entscheidet.

Im Strafverfahren war es nicht möglich, die Verknüpfungen zwischen der Ambrosiano und dem IOR im Einzelnen auszuforschen; die großen Zusammenhänge kamen trotzdem ans Licht. Denn das Fehlkapital der Ambrosiano betrug 1,3 Milliarden Dollar. Genauso hoch waren die Forderungen der Banco Ambrosiano gegen die verschiedenen Firmen der Vatikanbank (IOR) in Mittelamerika oder auf den Bahamas. Als sich die Gläubigerbanken der bankrotten Ambrosiano an das IOR wandten, wiesen die zuständigen Prälaten jede Verantwortung von sich. Schließlich kam es materiell zu einem Vergleich, indem die Vatikanbank 250 Millionen Dollar sowie die Aktien der Tochterfirmen des IOR und ein Aktienpaket der Ambrosiano-Holding in Luxemburg “freiwillig” den geschädigten Instituten zukommen ließ. Die Vatikanbank war also in die Gaunereien nicht nur verwickelt, sondern musste bekennen, dass der ganze involvierte Firmenkreis vom Vatikan kontrolliert worden war. Das IOR zog somit einen Vorteil aus dem Schaden aller anderen, da die Verbindlichkeiten des Firmenimperiums mit dem erwähnten Vergleich ja weit unter Wert beglichen werden konnten.

Calvi wurde 1982 erhängt unter der Blackfriars Bridge in London aufgefunden. Dieser mysteriöse Tod, der Assoziationen an Fememorde und geheime Logen weckte, bewegte die Öffentlichkeit und die Medien lange Zeit. “Blackfriars” steht für die Mönche des katholischen Ordens, der in der Nähe sein Kloster hat. Es gab von gewissen Organisationen ein übergroßes Interesse, diesen spektakulären Vorfall offiziell als Selbstmord darzustellen. Doch die Position des Leichnams und andere Details führten zu dem zwingenden Schluss, dass hier jemand auf eine Art und Weise zu Tode befördert wurde, die als Warnung dienen sollte. Ein italienisches Gericht, das über Versicherungsansprüche der Familie zu befinden hatte, stellte endgültig fest, dass es kein Selbstmord gewesen sein konnte. - Sindona wurde 1986 im Hochsicherheitstrakt eines Gefängnisses in Mailand vergiftet, was für eine Überraschung. Er hatte sich entschlossen, auszupacken. Und das kann in der Vatikanischen Kirche genauso tödlich sein wie in der Mafia.

1988 wurde der in Rom residierende Bischof Pavel Hnilica angeklagt, da in seinem Besitz die Aktentasche Calvis gefunden wurde, die nach seinem Tod verschwunden war. Man kann davon ausgehen, dass Calvi in besagter Tasche Material hatte, das die wahren Zusammenhänge offen gelegt und die römische Kurie in größte Schwierigkeiten gebracht hätte, wäre es nicht beiseite geschafft worden. Was für einen Grund sollte Bischof Hnilica sonst gehabt haben, ein paar Millionen für die Tasche zu zahlen, wie sich herausstellte? - Der Masseverwalter der bankrotten Banco Ambrosiano, Ambrosoli, wurde ermordet, nachdem er von einem New Yorker Gericht um Rechtshilfe im Verfahren gegen Sindona ersucht worden war. Er hatte nämlich Beweise für die Unterstützung Sindonas durch den Vatikan bei vielen Verbrechen gesammelt. - Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Verbindungen des Vatikans zur Mafia über diese ganzen Transaktionen und Morde aufgeklärt werden.


Weitere Geschäfte

Ein anderes “Geschäft”, direkt mit der Mafia abgewickelt, beschreibt Leopold Ledl in seinem Aufsehen erregenden Bericht “Im Auftrag des Vatikan”, welches nur in deutsch und italienisch erschienen ist. Ledl, der selbst in Diensten der Kurie stand, beschreibt minutiös die Abläufe und Machtstrukturen im Vatikan. Hier ist es wichtig, anzumerken, dass Ledl der einzige Berichterstatter über Vorgänge im Vatikan ist, der unmittelbar an der Quelle saß. Ledl hatte jahrelang direkten und ständigen persönlichen Kontakt zu höchsten Würdenträgern der römischen Kurie. Auch auf ihn wurde ein Mordanschlag versucht, nachdem er sich mit Material von seinen früheren Auftraggebern abgesetzt hatte.

Als die gewagteste, beinahe phantastische Aktion schildert Ledl einen Plan, der von den Kirchenfürsten Tisserant, Marcinkus und Benelli entwickelt worden war. Es sollten für den Vatikan gefälschte Aktien im Nominalwert von 950 Millionen Dollar gekauft werden, die dann in der Vatikanbank IOR verschwinden würden. Die Realisation des Vorhabens wurde 1970 in Angriff genommen. Durch diese Aufstockung des Anlagevermögens der IOR konnte die Bilanz natürlich entsprechend geschönt werden. Offensichtlich war den verantwortlichen Kirchenfürsten damals schon bewusst, dass etwas auf sie zukommt, wie zum Beispiel aus den Problemen mit der Ambrosiano. Ledl knüpfte die Kontakte zur amerikanischen Mafia, es kam zu mehreren Treffen zwischen Unterhändlern des Vatikan und der Mafia, unter anderem in London. Kirchenkreise bemühten sich bei Erscheinen von Ledls Bericht, dies alles als Erfindungen eines rachsüchtigen Mannes hinzustellen. Doch zum Leidwesen der Kurienmagnaten wurden die Vorgänge in verschiedenen unabhängigen Berichten bestätigt. Sogar höchste Beamte der US-Polizeieinheit zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens berichteten darüber, unter anderem in TV-Interviews. Es kam zwar in der Abwicklung der Aktientransaktion zu einigen Schwierigkeiten, Ledl glaubt aber, daß der Deal letztendlich wie geplant realisiert wurde. Dafür spricht auch, dass kurz danach Marcinkus, Calvi und Sindona in Geld schwammen.

Man muss sich diesen unglaublichen Vorgang in seiner ganzen Perfidie vor Augen halten: Drei ranghohe Mitglieder der Kurie arbeiten mit der Mafia zusammen, um die Bank der Kirche und des Papstes und sich selbst zu bereichern, zum Schaden anderer Unternehmen (deren Aktien gefälscht wurden). Diese Verbrechen wurden bewiesen, es handelt sich nicht um Spekulationen. - Welche weiteren, unglaublichen Ideen die Fürsten des Vatikans entwickelten und wie skrupellos der Kampf um die Macht innerhalb der vatikanischen Mauern abläuft, ist bei Ledl in jeder Einzelheit dargestellt.

Man kann diese Vorgänge nicht als Einzelerscheinungen abtun, die nichts mit der “Glaubenswahrheit” der Kirche zu tun hätten. Die Entscheidungsträger der Institution Kirche, die hier jede Moral hinter sich lassen, sind auch die Repräsentanten und Schöpfer der kirchlichen Dogmen und Glaubenssätze, die so viele Menschen zweifeln und verzweifeln lassen. Die mentalen, künstlichen Konstruktionen über Gott und die Welt entspringen denselben Gehirnen wie die Machtspiele der mittelalterlichen Kirchenfürsten und ihrer würdigen Nachfolger.


Osteuropa

Eine Wiederholung der Geschichte, oder besser die Fortsetzung des Mittelalters, findet man in der Vorgangsweise der Kirchenregierung in Osteuropa. Was früher Ostrom war, später die orthodoxen Slawen, das stellte bis zum Umbruch in der UdSSR der kommunistische Block dar. Das Feindbild hat sich nunmehr in die orthodoxen Kirchen gewandelt, die von Rom unabhängig sein wollen.

Doch ein wesentlicher Schritt ist Papst Woytila schon gelungen, die katholische Kirche kann in Osteuropa wieder agieren wie in der guten alten Zeit. Und schon greifen die Tentakel Roms nach den Zentren der Macht; bei allen christlich-konservativen Parteien ist der Vatikan eine beachtete Größe. Unverschämte Forderungen nach Restitution des größten ehemaligen Besitzstandes oder Wiedereinführung des kirchlichen Schulwesens können nur mit Mühe abgewehrt werden, denn christliche Politiker hören schließlich auf die Stimme des Papstes.

In manchen Ländern, wie in Polen, konnte die politische Gleichschaltung mit den Interessen der Kirche fast vollendet werden. Johannes Paul II. und Ronald Reagan hatten im Juni 1982 ein Geheimabkommen abgeschlossen, das auf die Destabilisierung des polnischen kommunistischen Establishments und letztlich der Kommunisten in ganz Europa hinauslief. Konkret wurde die unabhängige Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc in Polen gefördert, durch Tonnen von Hilfslieferungen technischer Güter und durch logistische Unterstützung. Faxgeräte, Computer etc. wurden von US-Agenten und Priestern ins Land geschmuggelt. Walesas taktische Vorgangsweise wurde in entscheidenden Fragen direkt vom Vatikan vorgegeben. In konzertierten Aktionen erhielten der Vatikan und die US-Regierung die Solidarnosc während des Kriegsrechtes in Polen am Leben. Während also die Welt fasziniert auf das scheinbare Phänomen einer im Volk überlebenden Bewegung gegen die übermächtigen Kommunisten blickte, arbeiteten in Wahrheit CIA und Vatikan im Verborgenen. Die Kooperation ging so weit, dass sogar Entscheidungen des Weißen Hauses über die generelle Linie gegenüber der UdSSR mit dem Vatikan abgestimmt wurden. Ja, sogar das “foreign aid” Programm wurde unter Reagan romtreu modifiziert. Länder, die Geburtenkontrolle propagierten, wurden ausgeschlossen.

Natürlich ist die Öffnung des früheren Ostblocks sehr erfreulich, und für den Zweck der Befreiung vom kommunistischen Joch tritt die mangelnde Eleganz der Vorgangsweise in den Hintergrund. Doch darf nicht übersehen werden, dass auch andere politische Varianten möglich gewesen wären. Die politische Dominanz der katholischen Kirche in Polen heute ist nur auf die politischen Manipulationen seit 1981 zurückzuführen. Die Kirche ist immer bereit, für ihre langfristigen strategischen Ziele jede Methode anzuwenden und jede Koalition einzugehen. Die Habsburger bis zum ersten Weltkrieg, dann Hitler, um die gottlosen Bolschewisten zu vernichten, und schließlich Ronald Reagan. Das schlimme daran ist nicht immer die einzelne Konstellation, sondern der Wille, um jeden Preis den eigenen Einfluss, die Macht der Kirche zu stärken; und der Leitspruch dieses Willens - “Der Zweck heiligt die Mittel”.
Wir sollten uns dies klar und deutlich vor Augen halten, um in Zukunft gewappnet zu sein. Und erinnern wir uns, was Jesus nicht tat, als er aufgefordert wurde, die politische Bewegung gegen die römische Besatzungsmacht zu führen. Die Millionen, die der Vatikan für die Solidarnosc aufwendete, wurden hauptsächlich (mehr als 100 Millionen Dollar) von Calvi kanalisiert. Auch aus der Diözese Chicago kamen beträchtliche Mittel. In dieser Kirchenprovinz gab es so manche undurchsichtige finanzielle Transaktion. Gegen den verantwortlichen Kardinal Cody wurden 1980 Ermittlungen eingeleitet, die wegen seines baldigen Todes jedoch nicht abgeschlossen werden konnten.


Die Ermordung Johannes Paul I.

Der vielleicht erschreckendste Vorfall in der jüngeren Geschichte der katholischen Kirche ist der Tod des Papstes Luciani im September 1978, der als Johannes Paul I. nur ein Monat regiert hatte. In seinem Bestseller “Im Namen Gottes?” führt der Brite David Yallop schlüssig vor Augen, wieso er von einem Mordkomplott überzeugt ist. Folgenschwer war der frühe Tod Lucianis deshalb, weil dadurch sein Vorhaben, im Vatikan aufzuräumen, nicht vollendet werden konnte. Wie Yallop recherchierte, wusste Johannes Paul I. von den Verquickungen des IOR, insbesondere von Marcinkus und anderen Würdenträgern, mit der Loge P2 und anderen zwielichtigen Gestalten. Luciani, offenbar ein ehrlicher und aufrechter Mann, wollte all diesem Treiben ein Ende setzen. Er kam nicht mehr dazu. Sein Nachfolger, Johannes Paul II., tat nichts, um die Zweifel am Tode seines Vorgängers aufzuklären. Er bewies sich als ein Mann, wie die Kurie ihn wünschte und brauchte.

So schließt sich der Kreis zwischen Mafiagerüchten, Calvi, Sindona, der Loge P2 und der Vatikanbank. Der italienische Vatikanspezialist Lo Bello und der Insider Ledl bestätigen die Beurteilung der Vorgänge durch Yallop. Dieser resümiert, dass die geistlichen Würdenträger Villot, Marcinkus und Cody, sowie das ehrenwerte Dreieck Calvi, Gelli und Sindona ein sehr großes Interesse am Ende von Papst Lucianis Aktivitäten haben mußten. Dass es kein natürlicher Tod war, wird durch viele Indizien erhärtet. Der Vatikan informierte die Öffentlichkeit wissentlich und massiv falsch über die Umstände des Ablebens von Johannes Paul I. Es ist auch erwiesen, dass äußerst seltsame Vorgänge den Tod des Papstes begleiteten. Dinge verschwanden aus seinem Zimmer, die Bestatter wurden anscheinend gerufen, als Luciani noch gar nicht tot war. Sehr befremdlich ist weiters die Tatsache, dass trotz des Drängens einflussreicher katholischer Kreise keine Autopsie durchgeführt wurde, die ja bei anderen Päpsten durchaus vorgenommen worden war. Viele Fragen blieben bis heute offen. Doch die Ziele und Mittel der Kurie wurden nicht angetastet. Die Kirche verhält sich wie eine große, internationale Organisation, deren Maxime die Mehrung des eigenen Reichtums und der eigenen Macht ist. Den zahlenden Mitgliedern werden ein Glaubensbekenntnis und ein Verhaltenskodex mitgegeben, der von der Institution selbst mit Füßen getreten wird.






VIII. Die zehn Gebote und die Moral der Kirche


Kindesmissbrauch

Das sechste Gebot, die Keuschheit, ist für die katholische Kirche ein heikles Kapitel. Die enorme Zahl der publik gewordenen Fälle von Kindesmissbrauch durch Priester in den letzten 20 Jahren stellt alles in den Schatten, was man sich an Schmutz vorstellen kann. Auf allen Erdteilen werden Kirchenmänner entlarvt, die sich meist über Jahre an den ihnen anvertrauten Minderjährigen vergingen. Schließlich wurde 2001 noch bekannt, dass vor allem in Afrika katholische Geistliche eine große Zahl von Nonnen und anvertrauten Schülerinnen über lange Jahre regelmäßig vergewaltigt haben. Den Priestern wird eine normale Mann-Frau Beziehung vorenthalten, doch die wenigsten kommen damit zurecht. Jede sexuelle Beziehung ist für sie eine Sünde, den Geistlichen bleibt daher die Wahl zwischen einem unbefriedigtem Dasein oder dem Leben mit ständigen Schuldgefühlen, wenn sie eine Beziehung eingehen. Kein Wunder, dass dieses Dilemma giftige Blüten treibt.

Das schlimme daran ist, dass die Opfer nicht einige Priester sind, die sich letztlich selbst zu diesem Schicksal entschieden haben. Die echten Opfer sind unschuldige Kinder, die zu tausenden und oft lebenslang die Rechnung für die perverse Veranlagung dieser Geistlichen zahlen. Wie kommt es zur epidemischen Ausbreitung dieser Scheußlichkeiten vor allem in der Katholischen Kirche? Am naheliegendsten ist natürlich der Schluss, dass das Keuschheitsgelübde die Pfarrer in diese Verbrechen treibt. Etliche Untersuchungen scheinen auch zu bestätigen, dass der Zölibat zu Pädophilie prädestiniert. Andererseits gibt es das klassische Täterprofil des Päderasten, und das ist ein unverheirateter Mann, häufig in einflussreicher Position. Der Kausalnexus ist also nicht ganz eindeutig. Potentielle Triebtäter können durch die mit dem Amt eines Geistlichen verbundenen Lebensumstände zur Berufswahl motiviert werden, bewusst oder unbewusst. In einem Interview mit dem TIME Magazine vom 1. April 2002 wird dieser Verdacht erhärtet: Vater X, ein verurteilter Kinderschänder, der seine Taten tief bereut, beschreibt dort seinen Weg in den Schoß der Kirche. Irgendwie ahnte er seine homosexuelle Neigung und begab sich in das katholische Priesterseminar, um einer normalen Beziehung mit einem Mädchen zu entkommen. Äußerst aufschlussreich ist weiters die Bemerkung von Vater X, dass ihm die Beichte jeweils für einige Zeit Erleichterung verschaffte, ihn jedoch andererseits daran hinderte, die ganze Wahrheit zu realisieren. Es könnte wohl sein, dass die Praxis, zu beichten und vergeben zu werden, Schwächen und psychische Störungen perpetuiert, indem das Realisieren der eigenen inneren Wahrheit und auch der äußeren Konsequenzen immer wieder vermieden wird.
Erst seit zwanzig Jahren wiederholen sich Meldungen über Kindesmissbrauch durch Priester auf der ganzen Welt. Nicht deshalb, weil es vorher keine derartigen Delikte gegeben hätte, sondern weil die Tragödien fast immer totgeschwiegen wurden. Noch heute kann man auf dem Lande da und dort alte Geschichten recherchieren, die zwar einige wenige verfolgen wollten, die aber dann mit dem gemeinsamen Stillhalten der Kirche und der staatlichen Autoritäten erstickt wurden.

Einer der massivsten Skandale wurde Ende der achtziger Jahre in Kanada publik. Etliche Angehörige eines katholischen Ordens hatten viele, wenn nicht die meisten, der ihnen anvertrauten Waisenkinder jahrelang missbraucht. In einigen Fällen gingen die perversen Spiele der Erzieher mit ihren Zöglingen über mehr als zehn Jahre. Obwohl einzelne Knaben schon vor Jahren versucht hatten, die Sache aufzudecken, konnte die “Tragödie von Mount Cashel” (Michael Harris) erst viel später und nur dank der Hartnäckigkeit eines ermittelnden Beamten beendet und aufgedeckt werden. Etliche der früheren Zöglinge haben aus den sexuellen Attacken der Ordensangehörigen schwerste Dauerschäden davongetragen, die sie wahrscheinlich ihr ganzes Leben lang behindern werden. Während der Untersuchungen hatten die Beamten gegen Versuche zu kämpfen, die Ermittlungen zu behindern bzw. einzustellen. Weiters wurde im Zuge der behördlichen Recherchen evident, dass es eine Vereinbarung zwischen höchsten Kirchenstellen und dem - katholisch besetzten - Justizministerium gab, die Vorgänge stillschweigend zu bereinigen.

Die mit den Gerichtsverfahren einhergehenden Veröffentlichungen entzündeten in Nordamerika einen Skandal ungeahnten Ausmaßes. Nicht nur die große Zahl der missbrauchten Knaben und die jahrelange Kungelei von Behörden mit Kirchenstellen erregte den Zorn der Öffentlichkeit, sondern vor allem die Tatsache, dass der lokale Erzbischof schon seit zehn Jahren mit diesbezüglichen Beschwerden und Klagen konfrontiert worden war. In klarer Verletzung des kanadischen Gesetzes hatte der Kirchenfürst die Behörden von keinem einzigen der Vorfälle informiert.

Nach der öffentlichen Aufarbeitung der “Tragödie von Mount Cashel” platzten in ganz Nordamerika ähnliche Skandale auf. Als ob ein lange verschlepptes Fieber plötzlich voll ausbricht, so berichteten in der Folge Medien quer über den ganzen Kontinent von Priestern, die Kinder missbraucht hatten. In manchen Fällen wurden Priester sexueller Vergehen gegen Minderjährige in mehr als hundert Fällen beschuldigt. Teilweise sind Ministranten in der Sakristei Opfer der Verbrechen geworden. Aber nicht immer sind Knaben das Ziel geistlicher Triebe. 1991 wurde ein Bischof in British Columbia der Vergewaltigung zweier Indianerfrauen angeklagt.

Die sexuellen Verbrechen von Priestern an Knaben liefen und laufen auf der ganzen Welt im Großen und Ganzen nach dem gleichen Muster ab. Die ersten Lockmittel sind Süßigkeiten, bei älteren Alkohol und Zigaretten. Langsam bauten die geistlichen Herren ein Vertrauensverhältnis mit ihren zukünftigen Opfern auf. Die Kleriker waren in ihren Pfarrbezirken sehr beliebt, einige Eltern mussten beinahe gewaltsam von den Verbrechen der Pfarrer gegen ihre eigenen Kinder überzeugt werden - was die polizeilichen Ermittlungen nicht erleichterte. Fast immer versuchte die Kirche, durch Vergleichsregelungen mit den Betroffenen öffentliche Verfahren zu vermeiden. Etwas Ähnliches wie ein Lernprozess fand nicht statt. Auch in den USA wurde von einem zähen Rechtsanwalt nachgewiesen, dass die Kirchenoberen seit Jahren von “Vorfällen” informiert worden waren - ohne Reaktion. Die Medien brachten es auf den Punkt: Das Verbrechen an den Kindern ist eine sehr schlimme Sache, doch die Antwort der Kirchenhierarchie auf die Vorfälle ist um nichts besser. Es wird geschätzt, dass die Kirche bei den vielen Fällen der letzten Jahre viele Hunderte Millionen Dollar an Vergleichsgeldern zahlte. Als Woytila im Sommer 1993 eine katholische Großveranstaltung in den USA besuchte, wurde er mit der Problematik des Kindesmissbrauchs durch Priester konfrontiert. Antwort auf die öffentlich gestellte Frage, wir ahnen es: Schweigen.

Die Pest des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger zieht sich durch die Katholische Kirche wie ein Schimmelpilz durch altes Brot. Ob es eine Nonne in der Bronx ist, die sich an einem Zwölfjährigen über Jahre vergeht, ein Bischof in Florida oder ein katholischer Priester in Dallas, dem mehr als 1000 Vergehen gegen Kinder vorgeworfene werden, eines ist fast immer gleich: die vorgesetzten Geistlichen oder Bischöfe ignorierten Warnungen und Beschwerden und zogen es vor, die Sache so lang als möglich zu vertuschen. In Dallas wurde die Diözese 1998 in einem Zivilverfahren verurteilt, $ 119 Millionen zu zahlen, weil man nichts unternommen hatte, um einen abartigen Priester zu stoppen. Um Millionen Dollars an Schmerzensgeld geht es auch in Klagen gegen eine Diözese in Oregon, wo die Kirchenoberen von der Sache wussten, sie aber verschwiegen.

Ich möchte hier einen Auszug aus der Phantasie eines Opfers zitieren, angelehnt an Dantes Visionen der Hölle. Der Autor hat die bittersten Vorwürfe für die in der Kirchenhierarchie, die Bescheid wusste, aber nichts unternahmen. Sie leiden in der Hölle schlimmere Qualen als die eigentlichenTäter:

„Dann sah Charlie den inneren Kreis. Dort waren die, die es möglich gemacht hatten, die Pastoren, Monsignores, Vikare, Bischöfe, Kardinäle und Päpste, die den äußeren Kreisen erlaubt hatten, weiterzumachen, während sie auf der Erde waren. Das waren die Scheinheiligen, die die Sünden derer in den äußeren Kreisen ignoriert hatten. Die, welche selbst nicht teilgenommen haben, aber durch ihr Tun oder ihr Nichtstun die schmutzigen Taten anderer duldeten. Da waren sie, die Beschützer und Unterstützer derer, die Kinder vergewaltigten und missbrauchten. Das war die ehrenwerte Gemeinschaft, die die Existenz des Problems verleugnete, von der Kanzel log, gegen die Unschuldigen hetzte und erlaubte, dass die fürchterlichen Dinge weitergingen, in der Anstrengung, Gott Geld zu sparen, als ob Gott Geld brauchte.

Eine Schattierung der Farbe Rot ging von jedem Einzelnen in diesem inneren Zirkel aus und umgab all die Kleriker, die unter dem Schutz dieses jeweiligen Prälaten ihre Sünden ausgelebt hatten. Einige waren nur für einen unberechenbaren Priester und die ihm anvertrauten Seelen verantwortlich, während andere ein Stadium mit denen hätten füllen können, die sie auf den Pfad der Hölle geschickt hatten. Diese Scheinheiligen saßen vor einem großen Spiegel, wo sie sich selbst dabei zusahen, wie sie die Taten der pädophilien Priester verteidigten, gegenüber den Opfern, dann gegenüber den Eltern der Opfer, ihrer Gemeinde und schließlich vor sich selbst. Und wie sie dies im Spiegel betrachteten, kamen alle Seelen aus ihrer Gemeinde, die in der Hölle waren, dazu. Wenn all die Szenen der Verteidigung dieser Kinderschänder durch waren, begann die zweite Phase. Der Prälat wurde gezwungen, die Taten jedes Einzelnen anzuschauen, den er verteidigt hatte. Eine nach der anderen zeigte sich in jedem grässlichen Detail, und die Seelen dieser Priester betraten seinen Kreis, zusammen mit den Seelen ihrer Opfer. Dann begann die dritte Phase. Der Spiegel zeigte wie jedes Opfer wiederum weitere Opfer produzierte, und ihre Seelen betraten den Kreis. Instinktiv erkannte Charlie, dass einige der Opfer Generationen vom ursprünglichen Verbrecher entfernt waren, aber nichtsdestotrotz waren alle Verzweigungen desselben Kinderschänders. Als die Bilder aufhörten, stand der Prälat auf der Kanzel und verteidigte sich vor den Scharen der in die Hölle gefahrenen Seelen: „Aber ich habe das getan, um die Kirche zu schützen! Die Kirche ist wichtiger als ein paar Kinder! Ich habe Gottes Werk getan! Denkt an den Skandal! Es geschah in beidseitigem Einverständnis! Ihr versteht nicht, wie schwierig das Leben eines Priesters ist! Das waren die Kinder des Satans, die meine Priester verführten! Priester sind auch nur Menschen! Denkt an all das Geld, das ich der Kirche gespart habe, und denkt an die guten Taten, die ich damit finanziert habe!“ Plötzlich wurde die Rede durch schallendes Gelächter unterbrochen. Charlie schaute auf um zu erkennen, woher es kam und er sah Satan, wie er einem anderen Teufel in die Seite stieß. Sie krümmten sich vor Lachen und Luzifer sagte, „Gute Absicht!, dieser Teil gefällt mir am besten.“ Dann, als der Redner fortfuhr, warfen die verdammten Seelen eine nach den anderen Münzen auf den ihm, und jede Münze riss einen Teil des Redners Körpers weg. Keine großen Stücke, sondern kleine, und Stück für Stück wurde er lebendig geschält, bis nur noch seine Zunge im Skelett flatterte. Als die letzte Münze seine Zunge traf, brach es aus Satan hervor, „danke, meine Freunde, dass ihr die Unschuld dieser Kinder zerstört habt und die Saat von Angst und Misstrauen in ihre Herzen gepflanzt habt. Denn mit Angst und Argwohn fest im Herzen verankert ist es fast unmöglich, in das Königreich Gottes zu kommen."

In diesem Moment erkannte Charlie die echte Natur des Bösen. Er wusste, dass das wirkliche Verbrechen darin bestand, Kindern die Unschuld zu rauben indem sie als Lustobjekte benützt wurden. Vertrauen ist die Basis für jede zukünftige Beziehung zu Menschen und zu Gott. Mit der Zerstörung dieses Vertrauens verursacht der Missbrauch der Kinder eine Verhärtung des Herzens. Päderasten als Priester waren für einen Zustand verantwortlich, der das ganze Leben dauern konnte. Der sexuelle Missbrauch war schlimm genug, aber von einem „Mann Gottes“ geschändet zu werden verschloss normalerweise das Herz des Opfers für die Liebe Gottes, und die Liebe Gottes zu verlieren hieß die Erlösung verlieren. Satan, der Charlies neue Einsicht erkannt hatte, flog zu ihm und wurde immer größer, bis Charlie vor diesem grenzenlosen Bösen über ihm zurückschreckte. In diesem Moment fühlte er aus der kleinen Hand in seiner Hand Stärke fließen, und wie diese Kraft von der Unschuld zu ihm floss, verkleinerte sich die Figur Satans bis die ganze Szene verschwand und Charlie endlich in den lang ersehnten friedlichen Schlaf versank.“
Vinnie N., The Tenth Circle, www.pip.com.au/~chenderson/writings.htm

Die Fallsammlung allein in den USA ist endlos, inzwischen gibt es etliche Bücher darüber. Es betrifft hauptsächlich Geistliche im Zölibat, daher meist katholische Priester, aber es gibt auch Geistliche anderer Konfessionen, die sich ähnlichen Vorwürfen stellen müssen.

In Kanada wurde erst 2001 bekannt, dass seit 4 Jahren circa 50 Klagen von Innuit-Kindern wegen sexuellem Missbrauch anhängig sind. Betroffen sind mehrere Priester und ein Bischof. Die Klagen erstrecken sich über zwei Generationen und könnten sich auf rund 200 Fälle ausweiten. Weiters sagen 500 ehemalige Bewohner von Waisenhäusern der “Christian Brothers” in Irland und Kanada, sie seien sexuell missbraucht worden.
Diese Entgleisungen von Geistlichen, denen ja oft Minderjährige anvertraut werden, haben für die betroffenen Familien schreckliche Folgen. Die Kinder erleiden irreparable Verhaltensstörungen. Bei Gerichtsverhandlungen in Kanada mussten während des Beweisverfahrens die sexuellen Praktiken im Detail beschrieben werden. Mütter brachen im Gerichtssaal zusammen oder rannten schreiend hinaus. - Ein Psychotherapeut aus Baltimore hat sich mit den sexuellen Verirrungen von Priestern im Zölibat intensiv befasst. Er meint, dass sich in den USA nur die Hälfte der katholischen Geistlichen ans Zölibat hält. Eine andere amerikanische Studie besagt, dass 10 bis 13% der Priester homosexuellen Praktiken anhängen und 6% Jugendliche oder Kinder bevorzugen, normalerweise Knaben.
In der ersten Hälfte des Jahres 2002 ist die Situation in den USA vollständig eskaliert. Von der Ostküste zur Westküste steht die katholische Kirche im Kreuzfeuer der Medien, als die Institution, die Kinderschänder und Lügner massenweise hervorbringt. In Boston unternahm die Amtskirche jede Anstrengung, einen Priester zu beschützen, der seit dreißig Jahren immer wieder der sexuellen Belästigung von Minderjährigen beschuldigt worden war. Der Bischof von Palm Beach in Florida musste zurücktreten, nachdem er sexuelle Kontakte mit einem Jugendlichen im Bett zugegeben hatte. Am abstoßendsten dabei ist, dass dieser Jugendliche beim Bischof Hilfe gesucht hatte, weil ihn ein anderer Priester sexuell belästigt hatte! In St.Louis wurden von der Staatsanwaltschaft 50 Anzeigen wegen sexuellem Missbrauch von Kindern untersucht, davon allein 22 gegen einen ehemaligen Priester, der auch als psychologischer Berater in einer Schule wirkte. In Orange County zahlte die Kirche im Jahr 2001 einem einzigen Opfer $ 5,2 Millionen, um Anschuldigungen gegen einen bestimmten Monsignore auszuräumen. Sechs bis zwölf Priester mussten in der Erzdiözese Los Angeles gefeuert werden. Der Erzbischof von Milwaukee musste selbst zurücktreten. Weitere große Fälle werden aus New York und Philadelphia berichtet. – Wie im Rest der Welt ist mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in den USA die Dunkelziffer der nicht berichteten Fälle besonders am Land sehr hoch. Nur unter dem großen Druck der Medien und der Öffentlichkeit reagierten die amerikanischen Kirchenfürsten; etliche der Verbrecher wurden gefeuert, Entschuldigungen wurden veröffentlicht, und erhebliche Summen wurden bezahlt, um – wie in den USA üblich – Gerichtsverfahren mit Zustimmung des Klägers einzustellen. So hat die Erzdiözese Boston etwa $ 30 Millionen hingeblättert. Die Strategie des Vatikans jedoch ist es nach wie vor, wenn immer möglich den Mantel des Schweigens über solche Dinge auszubreiten. Ende 2002 war ein neuerlicher Höhepunkt der abscheulichen Affären erreicht, der Erzbischof von Boston musste zurücktreten, sein Kirchenbezirk ist mit 450 Klagen konfrontiert und muss vielleicht in Konkurs gehen.

Auch in Europa ist die Schonzeit für katholische Sittlichkeitstäter vorbei. Etliche Verurteilungen in Belgien, Österreich, Deutschland und anderen Ländern erfolgten in den letzten Jahren. Dennoch wird in den Hochburgen des Katholizismus schonender mit priesterlichen Verbrechern umgegangen als in Nordamerika. Ein Pfarrer, der in Niederösterreich letztlich wegen Unzucht mit Minderjährigen und Verstößen gegen das Pornographiegesetz verurteilt wurde, konnte mit dem Verständnis seiner Gemeinde rechnen. Die Polizei erwischte einige Frauen aus der Gemeinde, als sie Pornovideos und Plastikrequisiten aus dem Pfarrhaus entfernen wollten. Ein anderer Geistlicher in Oberösterreich sollte nach einer einschlägigen Verfehlung noch eine Chance bekommen. Der Kirche fiel nichts Besseres ein, als den Pfarrer “zur Selbstfindung” in einen Schweigeorden zu entsenden. Nach dieser “Therapie” wurde er wieder auf Minderjährige losgelassen. Er missbrauchte erneut einige seiner Ministranten, vorzugsweise bei gemeinschaftlichen Ministrantenlagern. Wir sehen hier die gleiche Uneinsichtigkeit der Kirchenautoritäten wie in Amerika. Man bevorzugt es, diese Probleme unter den Teppich zu kehren. Es bleibt zu hoffen, dass wenigstens die Öffentlichkeit die Dimension der Gefahren erkennt, die sich aus der generellen Problemsituation der Geistlichen ergibt. Manchmal kann man sich leider des Eindrucks nicht erwehren, dass es die katholischen Konditionierungen sogar zustande bringen, dass mehr Verständnis für die Täter als für die Opfer aufgebracht wird. In Darmstadt in Deutschland etwa wurde ein Kleriker angeklagt, weil er zwei minderjährige Mädchen mehrfach und mit schwerer Gewaltanwendung vergewaltigt hatte. Die Kinder haben schwerste psychische Schäden davongetragen. Strafe für den katholischen Geistlichen: Geldbuße und zwei Jahre auf Bewährung.

Sogar in der katholischen Hochburg Polen musste 2002 ein Erzbischof zurücktreten, nachdem Anschuldigungen laut wurden, er habe Seminaristen missbraucht.

Wie Umfragen zeigen, hätten die Katholiken nichts gegen verheiratete Priester, nur eine sehr kleine Minderheit spricht sich gegen die Aufhebung des Eheverbots aus. In Anbetracht des immer eklatanter werdenden Priestermangels denken sogar schon einige Bischöfe über die Zulassung verheirateter Männer zum Priesteramt nach - doch Rom bleibt hart. Immer mehr Geistliche bekennen sich offen zu ihren Lebensgefährtinnen und Kindern, wenn es auch für viele eine Existenzfrage ist. Schon gibt es Selbsthilfe-Vereinigungen von Frauen, die mit Priestern liiert oder verheiratet sind. Im Sommer 1993 fand in Madrid ein Kongress verheirateter Priester statt. Dabei wurde festgehalten, dass in Spanien bereits ein Viertel der Kleriker den Ehestand der Soutane vorgezogen hat, in Lateinamerika teilweise ein noch höherer Anteil.
Ähnliche Konstellationen wie bei “Mount Cashel” in Kanada wurden auch in anderen Ländern bekannt. In Bayern standen Mönche vor Gericht, die mehrere ihrer Zöglinge brutal vergewaltigt hatten. In Augsburg wurde in Zusammenhang mit Sexualverbrechen eines Priesters einmal mehr bekannt, dass der zuständige Bischof die Behörden nicht informiert hatte, als er von den Straftaten erfuhr.

Auf der ganzen Welt brechen die Eiterherde der Scheinheiligkeit auf. In Australien ging es bei 250 Klagen wegen sexuellen Missbrauchs gegen Angehörige eines Schulordens um Entschädigungen in gewaltiger Höhe. Doch die Liste der Einzelfälle ist in Australien ebenfalls ziemlich lang. Es gibt eine Vielzahl von Verurteilungen wegen Vergehen an Knaben. Und, wie immer, den Vorwurf der Gerichte an die Kirchenoberen, die Verbrecher trotz des Wissens um ihre Verfehlungen von Pfarrgemeinde zu Pfarrgemeinde zu versetzen. Die Katholische Kirche hält auf diesem Kontinent ebenfalls den Rekord an pädophilien Priestern gegenüber anderen Konfessionen. Es gibt den Religionslehrer, der auch noch des Importes von Pornographie angeklagt wird und es gibt den Priester und Pfadfinder-Kaplan, der sich mit Vaseline an den ihm anvertrauten Knaben vergnügte, und leider viele mehr.

Die australischen Kirchen haben sich in der Vergangenheit auch in der Rolle als Missionare kein Ruhmesblatt verdient. Die Missionsstationen waren bei der berüchtigten gewaltsamen Entfernung einer Generation von Kindern der Aborigines behilflich, von denen sehr viele in kirchlichen Waisenhäusern endeten. Diese waren dort wiederum häufig Opfer priesterlichen Missbrauchs. 2002 hat ein australischer katholische Orden zugesagt, $ 2,1 Millionen Kompensation an geistig behinderte Männer zu leisten, welche sexuell missbraucht worden waren, während sie in der Obhut des Ordens waren.

Im November 1994 zerbrach die Regierungskoalition der Republik Irland am Skandal um die Verschleppung der Auslieferung eines pädophilien Priesters nach Großbritannien. Die Regierung musste zurücktreten, da der von der Öffentlichkeit für die Mauscheleien verantwortlich gemachte Jurist für ein hohes Justizamt nominiert worden war. Seitdem jagt in Irland ein Skandal um Kindesmissbrauch durch Priester den nächsten.

In Ländern wie Irland oder Österreich, die katholisch dominiert sind, ist die Sache meist noch schlimmer, wenn sie erst an die Öffentlichkeit kommt. Zuerst ist die Hemmschwelle, irgendwelche Anschuldigungen zu glauben, sehr hoch, und die Priester können oft ihren Perversionen noch nachgehen, wenn schon sehr konkrete Verdachtsmomente bestehen. Umso größer ist dann das Entsetzen, wenn die Wahrheit ans Tageslicht kommt.

In Irland sind seit dem großen Skandal die Anzeigen wegen Kindesmissbrauch dramatisch angestiegen. Zugenommen hat aber nicht so sehr die Zahl der Verbrechen, sondern die Bereitschaft, mit diesen schrecklichen Dingen aufzuräumen. Die erste Frau, die in Irland wegen Vergewaltigung angeklagt wurde, ist eine Nonne. Im Vereinigten Königreich wurden zwischen 1995 und 1998 21 katholische Kleriker als Kinderschänder überführt. Und wieder wurden Priester, die schon überführt worden waren, erneut auf nichts ahnende Gemeinden losgelassen. Einer davon, bei dem am PC auch eine erkleckliche Sammlung von 500 pornographischen Bildern von Kindern gefunden worden war, wurde zu 8 Jahren verurteilt.
Sogar in Hong Kong geht die Polizei seit 2002 Vorwürfen des Kindesmissbrauchs durch katholische Geistliche nach.

Der Erzbischof von Wien, Österreich, Kardinal Groer, geriet Anfang 1995 unter Beschuss, - und schwieg. Die Beschuldigungen, er habe in seiner Zeit als Gymnasiallehrer Knaben sexuell missbraucht, wurde bald von mehreren früheren Zöglingen bestätigt. Dennoch - und wiederum typisch - wurde das Opfer schlecht gemacht, von Phantasien war die Rede und vom Charakter des Enthüllens. Das Schweigen des Kirchenfürsten wurde anfangs sogar völlig absurd mit dem Beichtgeheimnis gerechtfertigt, obwohl niemals von irgendwelchen Beichtbekenntnissen die Rede gewesen war. Nachdem er sich als Erzbischof von Wien “zurückgezogen” hatte, übernahm er mit der Position eines Priors in einem Kloster wieder die Verantwortung für junge Männer! Die peinliche und elende Geschichte führte zu einem Anstieg der Kirchenaustritte, eine inhaltliche Stellungnahme des Beschuldigten oder der Kirche erfolgte nicht. Die konservativen Kreise des österreichischen Episkopats konnten sogar eine Untersuchung verhindern!
Einmal mehr wurde öffentlich vorgeführt, wie hilflos die Heilige Römische Kirche diesen grauenhaften Dingen gegenübersteht, wie hohl und eitel der Anspruch ist, das Amt heilige seinen Träger. Wenigstens haben diese Vorfälle in Europa zu einer Grundsatzdebatte geführt und haben auch einigen weiteren Opfern von Geistlichen den Weg in die Öffentlichkeit freigemacht.

Die Zölibatspflicht wird von vielen Therapeuten als die Wurzel des Übels angesehen, aber, wie schon erwähnt, unverheirateter Priester zu sein passt auch perfekt zum psychologischen Profil des Päderasten. In jedem Fall unterstützt das ehelose Dasein den krankhaften Trieb. Drewermann, der bekannte deutsche Theologe und Kirchenkritiker, meint, dass die Priesterausbildung den Schwerpunkt in der Stabilisierung der Verdrängung setze, nicht beim Aufarbeiten der Probleme. Durch das Liebesverbot würden die Geistlichen geradezu in die Homosexualität getrieben. Das wird durch die Erfahrungen eines Soziologen bestätigt, der 1991 die Lage der homosexuellen Kleriker erforschte. Die Standardantwort von Beichtvätern, die mit homosexuellen Priestern konfrontiert wurden, war Verdrängen, Vergessen und nur ja nichts an die Öffentlichkeit dringen lassen. So werden die Geistlichen ins Abseits und die Illegalität getrieben. Der Prozentsatz der Kirchenmänner, die homosexuell veranlagt sind, dürfte insgesamt wesentlich höher sein als bisher angenommen. Als derselbe Soziologe im Rahmen seiner Studie eine Kontaktanzeige in einem Homosexuellenmagazin in Rom platzierte, meldeten sich rasch 45 Geistliche. Nach amerikanischen Untersuchungen gehören schwule Priester zur drittgrößten Aids-Risikogruppe.

Wie kann irgendjemand noch an die göttliche Berufung einer solchen Organisation glauben, die die größte Zahl von Kinderschändern hervorbringt? “An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen”.
Wenn es sich nicht um die Katholische Kirche handelte, sondern um einen großen internationalen Konzern, von dem plötzlich bekannt würde, dass überall auf der Welt seine Angestellten Kinder missbrauchen, dann wären wohl die wichtigsten Regierungschefs schon zusammengetreten, um diese Firma aufzulösen, oder die UN-Vollversammlung hätte etwas ähnliches beschlossen. Nur weil der Dreck unter Soutanen verborgen ist, darf es weitergehen. Es wird doch niemand glauben, dass sich die grundlegenden Probleme dieser Priester plötzlich in Luft auflösen?


Sonstige Scheinheiligkeiten

Mit dem “Katechismus der Katholischen Kirche” wurde denen, die an die Verkündigungen der Kirche glauben, das mosaische Gesetz in “katholischer Form” neu präsentiert. Neu im Sinne der Neuauflage, nicht im Sinne einer inhaltlichen Modernisierung. Im Gegenteil, es werden beliebige Behauptungen und Vorschriften ausgegeben, solange nur die Vormachtsstellung der Kirche untermauert wird. - Ein Kernpunkt der christlichen Verhaltensregeln, die zehn Gebote, wird im Einzelnen erläutert und interpretiert. Sie sollten der Maßstab sein, der für die Kirche selbst auch gilt. Woran, wenn nicht an den eigenen Regeln, könnte man die Rechtschaffenheit einer Institution besser messen?

Das erste Gebot, die Liebe zu Gott, wird von der Kirche gleich einer ziemlich weiten Interpretation unterzogen. Es wird als Sünde bezeichnet, nicht für wahr zu halten, “was die Kirche zu glauben vorlegt”. Und da man schon beim Klarstellen ist, wird gleich noch das Grundrecht auf Religionsfreiheit in seine katholischen Schranken verwiesen: Es wird zwar “ innerhalb der gebührenden Grenzen - von der politischen Gewalt kein äußerer Zwang ausgeübt”, doch das bedeutet noch nicht, dass es moralisch erlaubt wäre, “einem Irrtum anzuhängen”. Ein Irrtum wäre es natürlich, nicht der Lehre der Kirche zu folgen, oder die Unterordnung unter den Papst zu verweigern. Wieder einmal der Kunstgriff, die Kirche samt ihrer Lehre Gott gleichzustellen. – Natürlich hat die Verehrung Gottes nichts damit zu tun, ob man den Lehren einer selbst unmoralisch agierenden Organisation folgt oder nicht. - In der 1993 veröffentlichten Enzyklika “Splendor Veritatis” betont der Papst einmal mehr, dass die Wahrheit von der Kirche komme und das Gewissen der Kirchenlehre unterzuordnen sei. Dies ist der zentrale Punkt des katholischen Dogmas. Es geht nicht um Wahrheit, sondern um Beherrschung.

Beim Gebot “Du sollst nicht töten” treten die Kirchenlehrer als sensible Kriegsgegner auf, obwohl sie konzedieren müssen, dass ein Krieg in Notwehr eines ganzen Volkes gestattet sei. Eine überraschende Haltung, wenn man sich die Geschichte der Kirchenherrscher des Mittelalters ins Gedächtnis ruft, oder die Einflussnahmen des Vatikans auf die großen Kriege unseres Jahrhunderts. Die Erzeugung und der Handel mit Waffen werden mit einer gewissen Skepsis betrachtet, es wird der Staatsgewalt nahe gelegt, diesen Bereich besonders zu regeln. So muss es wohl diese Geisteshaltung gewesen sein, die den Vatikan Ende der sechziger Jahre versuchen ließ, selbst ins Waffengeschäft einzusteigen.

Das Aufstacheln zu Mord und Totschlag gehört wohl auch zu diesem Tatbestand. – Die jahrhundertelangen Pogrome an Juden sind der unhaltbaren, eintausendundneunhundert Jahre lang aufrecht erhaltener Kirchenlehre anzulasten, dass die Juden die Mörder des Herrn Jesus Christus seien. Unter diesem Judenhass, der schon bei Paulus gegen die jüdischen christlichen Gemeinden zu beobachten ist, hatten Hunderttausende, wenn nicht Millionen von Menschen zu leiden. Die Ghettos sind die Erfindung eines Papstes. Die in großem Argumentationsnotstand herausgegebenen nachträglichen Distanzierungen vom Völkermord der Nazis sind nicht haltbar. Die immer wieder zur Entlastung Pius XI. und seines Nachfolgers herangezogene Enzyklika “Mit Brennender Sorge” enthält nicht einmal das Wort “Juden”. Die Verschleierungstaktik und die Beschwichtigungsversuche gehen weiter. Johannes Paul II. setzte selbst eine Kommission ein, um den Vorwürfen gegen Pius XII. Nachzugehen, wohl um sie zu widerlegen. Im Sommer 2001 warfen die Wissenschafter das Handtuch, trotz präziser Fragen wurden vom Vatikan wieder wichtige Informationen vorenthalten. Warum wohl? - So fest ist der kirchliche Antisemitismus eingepflanzt, dass es sogar bei traditionellen Passionsspielen in Europa zu Problemen kommt, weil der Judenhass so tief im Duktus der alten Stücke sitzt, dass auch Texthänderungen kaum mehr helfen. Immer wieder taucht dieser atavistische Hass in der einen oder anderen Form auf, das ist die echte “Erbsünde” der Christenheit! Es wäre absurd, anzunehmen, der krankhafte Judenhass der Nazis wäre ohne beinahe zweitausend Jahre katholischen Antisemitismus denkbar.

Beim siebenten Gebot, “Du sollst nicht stehlen”, kommt die Amtskirche nicht viel besser weg. Korruption, Fälschung und alle Abwandlungen des Sicht-Bereicherns auf Kosten anderer werden im Katechismus ausdrücklich verdammt. - Die Geschäfte des Vatikans haben wir schon gestreift, die moralische Qualifikation dieser Raubzüge ist offensichtlich. Diverse Nebenbeschäftigungen mancher Kleriker und Kirchenfürsten als Uranschmuggler, Schmiergeldempfänger oder sonstiges können als Einzelerscheinungen unberücksichtigt bleiben. Dass die Vatikanbank IOR in eine Milliarden-Schmiergeldaffäre um italienische Politiker verwickelt ist, überrascht wohl nicht besonders. Nicht einmal der Versuch eines italienischen Waffenschiebers, eine halbe Million Dollar an den Papst persönlich zu überweisen, ist so besonders wichtig; wenn auch interessant erscheint, dass der Vatikan einfach keine Erklärung zu der Überweisung abgeben wollte.

Was dagegen einen Markstein darstellt, ist 1993 der Beginn der Aufarbeitung der Querverbindungen zwischen der Amtskirche und der Mafia in Italien. Nach dem Mord an einem Priester, der in Sizilien gegen die Mafia aufgetreten war, ist die Kirche gespalten. Viele ehrliche, kleine Priester klagen, dass sie keine Chance haben, etwas gegen die Mafia auszurichten, weil zu viele Angehörige der Kurie und der Geistlichkeit Komplizen der Mafiabosse seien. Die Priester fordern vom Papst, reinen Tisch zu machen. - Außer schönen Worten gegen die böse Mafia wird keine Antwort kommen. Wie denn auch, wenn die Kurie selbst in die Machenschaften verwickelt ist. Die Verbindung zwischen der Kirche und dem organisierten Verbrechen ist für die Italiener nichts Neues. Es bedeutet aber einen großen Fortschritt, dass nun die großen Medien des Landes endlich aussprechen, was alle schon lange wussten.
Vor diesem Hintergrund ist nichts lächerlicher als ein Papst, der über den Verfall der Sitten lamentiert und detaillierte Regelungen über erlaubte und unerlaubte Möglichkeiten der Empfängnisverhütung erlässt. Wenn er dann noch die Kirche als Wächterin der wahren Moral darstellt, wird es bizarr. Was die Kirche ihren Gläubigen vorschreibt ist sie nicht im Entferntesten gewillt, selbst einzuhalten. Was sie predigt sind hohle Phrasen, rethorische Zweckübungen, sie glaubt nicht einmal selbst daran.






IX. Sektierertum und Fundamentalismus

Seit Jahrhunderten gibt es in der römischen Kirche eine Arbeitsteilung, die sich gut bewährt hat. So gibt es Orden und Bewegungen, die sich speziell der Missionierung verschrieben haben, während andere wieder in der Krankenpflege oder karitativen Tätigkeiten ihre Aufgabe sehen.
Als Exekutoren der Inquisition zeichneten sich Dominikaner und Jesuiten aus. Letztere waren sehr lange die “Leibgarde” der Päpste, sie gehorchten Rom bedingungslos und besaßen die Fähigkeiten und Mittel, überall auf der Welt etwas zu bewegen. In den letzten fünfzig Jahren verloren die Jesuiten jedoch etwas von ihrer Reputation in der traditionalistischen Kirchen-Aristokratie. Das intellektuelle Format des Ordens machte es recht schwierig, die Jesuiten weiterhin wie Soldaten einzusetzen, die Befehle ausführen, ohne nachzudenken.

Opus Dei

Zum Beginn des dritten Jahrtausends verfügt der Papst über eine neue Truppe, die ergebener und traditionalistischer ist als jeder Mönchsorden: das Opus Dei. In diesen Jahrzehnten einer geistigen Zeitenwende kristallisiert sich die Essenz der katholischen Lehre und Weltanschauung in dieser Geheimbewegung, die innerhalb der Kirche von allen Gruppierungen die größte Macht hat. Alles, was die konservative Wende des Papstes Woytila ausmacht, ist im Opus Dei schon seit Jahrzehnten verkörpert.

Das Opus besteht zu 95% aus Laien, diese sind Vollmitglieder oder Förderer, die sich in jedem Fall der Geheimhaltung und den strengen Regeln des Ordens unterwerfen. Außerhalb der Kirche hat das Opus beachtlichen Einfluss auf Regierungen, Wirtschaftsleute und andere Meinungsmacher. Die gezielte Rekrutierung und Beeinflussung der Mächtigen und Reichen ist schriftlich verankerte Taktik. “Sie glauben, wenn sie den König bekehren, bekehren sie das Land”, sagt einer, der es wissen muss. Wieder ein Paradebeispiel dafür, wie in der Kirche das Beispiel Christi ins genaue Gegenteil verkehrt wird. - Doch wenn es um Macht geht, ist diese Taktik natürlich logische Konsequenz. Nicht umsonst haben sich einige ausbeuterische neue Sekten ebenfalls diese spezifische Vorgangsweise zu Eigen gemacht.

Der Geistliche Escrivá begann um 1930 in Spanien, sein Opus Dei-Netzwerk aufzubauen. Die vom Gründer geprägte Gedankenwelt der Sekte treibt die paulinischen Ideen auf die Spitze. Selbstverleugnung, Selbstkasteiung, Gehorsam und materielle Ausbeutung gehören zum Stammrepertoire des Opus. Die Lebensnähe und das Positive, Bejahende an der Lehre Jesu wird negiert, typisch paulinisch wird die Auferstehung und die Verkündung des neuen Lebens von Tod und Kreuzigung verdrängt.

“Der Weg”, die ständig rezitierten 999 Appelle Escrivás, beweisen das nicht nur, sie erlauben darüber hinaus Zweifel am geistigen Zustand des Verfassers. Ein paar Beispiele: “ Wenn du siehst, wie du bist, muss es dir natürlich erscheinen, dass sie dich verachten (Appell 539). - Man muss sich ganz geben, man muss sich ganz verleugnen: Das Opfer muss ein Brandopfer werden (Appell 186). - Wo keine Abtötung, da keine Tugend (Appell 180). - Wo du doch selber so erbärmlich bist, was wunderst du dich, dass die anderen auch ihre Fehler haben? (Appell 446)”.
Die Aktivitäten und Geschäfte der bereits über 80.000 Mitglieder weltweit, davon 2000 Priester, sind gut getarnt. Der größte Teil der Vollmitglieder sind Laien, meist Akademiker, die als “Numerarier” bürgerlichen Berufen nachgehen. Sie müssen alle ihre Einkünfte abliefern und unterliegen einer strengen Gehorsamspflicht, und sie müssen unverheiratet bleiben. Die Vielzahl der unterstützenden Mitglieder wird ebenso wie die Numerarier gezielt aus der “Oberschicht”, einer Art globaler Führungsebene, angeworben. Universitätsprofessoren und Unternehmer gehören genauso dazu wie Journalisten oder Politiker. Nur selten werden Namen von Mitgliedern bekannt. Es gibt Konzerne, aus denen über die Jahre Millionen an Dollars an die Organisation geflossen sind. Gut getarnt sind die Jugendzentren, Stiftungen, Medien, Schulen, Universitäten und Unternehmen im Einfluss des Opus Dei. Niemals scheint das Opus als Eigentümer auf, die Leitung derartiger Institutionen wird aber von Mitgliedern wahrgenommen. So konnte ein internationales Netzwerk von Zentren und Stiftungen organisiert und finanziert werden, das sich jedem systematischen Zugang entzieht. Die regelmäßige offizielle Stellungnahme, dem Opus Dei gehöre nichts, stimmt daher aus formaljuristischer Sicht. Doch die tatsächliche Steuerung dieses unsichtbaren Oktopus durch die Sekte ist eine Tatsache.

Auf die Frage, warum ein gutes Werk denn solche Verschleierung brauche, hat das Opus Dei bislang keine befriedigende Antwort gegeben. Vielleicht erklärt das Folgende einiges: In Spanien war das Opus ganz auf der Seite des Diktators Franco. In Südamerika gibt es viele Verknüpfungen der Sekte mit Militärdiktaturen und rechtsgerichteten Organisationen. Aus der Regierungszeit Pinochets sind acht Minister bekannt, die der Organisation nahestanden. Es gibt sogar einen Konnex zwischen der Militäreinheit, die Camillo Torres erschoß, und dem Opus. Weitere Verbindungen, wie zwischen David Kennedy, Mitglied der Regierung Nixon, sowie der CIA und Opus Dei wurden immer wieder kolportiert. - Als die Banco Ambrosiano zusammenbrach und im Gefolge auch die Vatikanbank in Schwierigkeiten geriet (und 250 Millionen Dollar an Geschädigte zahlen mußte), sprang angeblich das Opus mit seiner gewaltigen Finanzkraft ein. Es würde gut zusammenpassen, denn kurz darauf wurde das Opus zur Personalprälatur erhoben.

Die ehemalige Oberin aller Opus-Dei Frauen beschreibt Escrivá als zornigen und grausamen Despoten mit Tendenzen zum Größenwahn. Frauen, so berichtet sie, bezeichnete er als dumm, unrein und schlecht. Die frühere Spitzenfrau des Opus war nach ihren wenig schmeichelhaften Enthüllungen schlimmsten Verleumdungen ausgesetzt.

In diesem reinkarnierten Geist paulinischer Sprödheit werden junge Leute “umerzogen”, nachdem sie vorsichtig über die äußeren Schichten der Sekte rekrutiert und gebunden worden sind. In Deutschland und Österreich gab es einige Skandale um die Aktivitäten des Opus unter Minderjährigen. Wer einmal im Bannkreis gefangen ist, unterliegt absolut der Autorität seines jeweiligen “geistlichen Führers”, dem er wöchentlich auch intimste Gedanken und Wünsche berichten muss. Es ist leicht zu erkennen, wie der Geist des Gründers und der bestehenden Organisation von der Schulddoktrin des Katholizismus beseelt ist. Wir haben das Thema schon behandelt; aber die Intensität, mit der speziell im Opus Dei mit künstlich aufgebauten Schuldgefühlen Psychoterror gemacht wird, sollte nicht toleriert werden. Die Anhänger werden angehalten, dornengespickte “Bußgürtel” zu tragen, die wöchentliche Geißelung wird als Pflicht betrachtet. Durch die Zerstörung des Selbstwertgefühls wird natürlich die Anfälligkeit für autoritäre Doktrinen größer. Auch eine Zensur existiert, es gibt einen Index verbotener Literatur, dazu gehören etwa Schopenhauer, Kant, Nietzsche und Sartre. - Die Haltung Escrivás Frauen gegenüber wäre Paulus sicher sympathisch gewesen. Ihnen werden Aufgaben zugewiesen, die einem total veralteteten Rollenbild der Frau entspringen. Selbstverständlich haben sie in wichtigen Dingen nichts zu sagen, sie müssen schweigen, wie es das paulinische Dogma vorschreibt.

Wie mächtig das Opus Dei innerhalb der Kirche bereits ist, zeigte die im Rekordtempo erfolgte Seligsprechung des Gründers Escrivá durch den Papst im Mai 1992. Die vatikanische Kommission, die das Verfahren durchführte, fühlte sich etwas unter Druck gesetzt. Kritische Aussagen von Personen, die Escrivá persönlich gekannt oder mit ihm gearbeitet hatten, wurden nicht zugelassen. Normalerweise dauern derartige kirchenrechtliche Verfahren wesentlich länger; die Prozedur zur Seligsprechung von Papst Johannes XXIII. z.B. wurde viel früher eingeleitet, ist jedoch noch immer nicht beendet. Für Escrivá intervenierten 69 Kardinäle und über 1200 Bischöfe. Papst Woytila ist einer der Bewunderer des Spaniers, darüber hinaus hat er im Opus Dei seine Prätorianergarde gefunden. Schon 1982 hatte der Papst die Sekte in den Status einer Personalprälatur erhoben, was bedeutet, dass die Kleriker nicht mehr den lokalen Bischöfen unterstehen, sondern ihre eigenen Oberen haben. Dadurch wurde innerkirchlich große Unabhängigkeit gewonnen, was besonders gegenüber nicht-traditionalistischen Bischöfen wichtig ist. Außer dem Opus Dei gibt es keine einzige andere Personalprälatur in der Katholischen Kirche. - Kritische Anmerkungen zu Praxis oder Theorie der seltsamen Organisation gehen unter, ob es sich um Geistliche - z.B. etliche spanische Bischöfe - oder Laien handelt.

Die Nähe zwischen Escrivá und Woytila liegt in beider Tendenz zur Regression, zum Traditionalismus, wenn nicht Fundamentalismus. Es gibt zuverlässige Berichte, dass Escrivá Hitler in Diskussionen verteidigte. Weiters, dass ihn die Beschlüsse des II. Vatikanischen Konzils so bestürzten, dass er 1967 nach Griechenland fuhr, um über die Möglichkeit der Einbringung seines Opus in die Orthodoxe Kirche zu sprechen.

Nach allem, was wir bisher über Kirchenpolitik erfahren haben, darf uns die zwielichtige Erscheinung des Opus Dei und seines Gründers genauso wenig erstaunen wie die offene Unterstützung und Förderung durch Johannes Paul II. In einigen Ländern hat das Opus Dei bereits die Jesuiteninstitute als Kaderschmieden abgelöst, insbesondere in Lateinamerika. Dort hat die geheime Garde in allen Bereichen Koalitionen geschmiedet, im Geschäftsleben, mit Politikern und hochrangigen Militärs. Die Universitäten sind bevorzugte Ziele für die Anwerbung neuer Mitglieder und den Aufbau neuer Zellen. In Peru, wo es sieben Opus Dei-Bischöfe gibt, unterstützte das Opus mit Hilfe seines Netzwerkes massiv Alberto Fujimori. Der prominenteste Unterstützer der Sekte in Peru, Erzbischof Cipriani, wurde 2001 zum Kardinal befördert.

In den USA gibt es über 3000 Mitglieder, und wahrscheinlich inzwischen mehr als 70 Zentren. Viele dieser Zentren sind in der Nähe großer Universitäten, das nationale Headoffice ist ein 17-stöckiges Gebäude in Manhattan. Die bereits jetzt starke Präsenz des geheimen Ordens an den amerikanischen Universitäts-Campusen nimmt weiter zu. Dies führt häufig zu Konflikten mit anderen Gruppen. Sogar die Catholic Campus Ministry Association kritisiert, dass Opus Dei nur Leute zu rekrutieren versucht, aber keine der anderen geistlichen Aufgaben übernimmt. An sich ist diese Vorgangsweise völlig logisch, da das Opus doch gezielt an zukünftige Meinungsbildner herankommen will – die Betreuung irgendwelcher beliebigen Studenten ist nicht vorgesehen. Etliche Priester der Organisation, wie etwa Rev.C.John McCloskey, sind sogar den Medien durch ihre Aggressivität in der Rekrutierung und Betreuung neuer Mitglieder aufgefallen.

Das prominenteste Opus Dei-Mitglied Nordamerikas ist wohl Robert P.Hanssen, der hochrangige FBI-Agent, der sein Land jahrelang an die Sowjetunion und später an Russland verraten hat (Washington Times, 22/2/01).

Das große Ziel dieser katholischen Krake ist es, alle Politiker und Mächtigen der Welt mit ihrem fundamentalistisch-katholischem Weltbild zu beseelen. Dann könnte die Welt endlich, wie das kleine Österreich für wenige Jahre vor dem Krieg, ganz im Sinne des Vatikans regiert werden. In den USA erlebte das Opus unter der Regierung R.Reagans eine Blütezeit. Die Prälatur konnte ihre Leute im Weißen Haus und teilweise auch im Pentagon unterbringen. Unter Clinton wurde das etwas schwieriger, jedoch ist angeblich Louis Freeh, der Direktor des FBI, ein Opus-Mitglied. Dies wird vom FBI nicht bestätigt. Sicher ist aber, dass der Bruder von Louis Freeh das große Zentrum des Ordens in Pittsburgh leitete. In den Vereinigten Staaten hat sich inzwischen eine Selbsthilfe-Organisation für Opus-Geschädigte etabliert. Dieses Opus Dei Awareness Network, Inc. ist unter ODAN auch im Internet zu kontaktieren.

In UK ist das Netzwerk nicht ganz so dicht. Die Schulen und Jugendclubs, die der Orden steuert, finden sich vor allem in London, Manchester, Glasgow und Belfast. In Europa dagegen sind die Mitglieder in höchsten Positionen in Regierungen und den Banken zu finden, teilweise auch in den Höchstgerichten. Von der spanischen Regierung unter Aznar, über die EU-Kommission, die Frau des französischen Präsidenten Chirac und bis ins belgische Königshaus erstrecken sich die Tentakel des unsichtbaren Vereines über den ganzen Kontinent. In Westeuropa gibt es in praktisch allen Universitätsstädten Zentren. In Innsbruck gab es schon Gerüchte von der Übernahme der theologischen Fakultät durch das Opus Dei; bislang leiten die Jesuiten die Lehranstalt. – Selbst in Afrika gibt es Zentren und Schulen, wie in Nigeria und Kenia.

Auch auf dem internationalen Parkett sind die Lobbyisten des Opus erfolgreich unterwegs. In enger Zusammenarbeit mit den Diplomaten des Vatikans arbeiten sie etwa bei UNO-Konferenzen mit, zum Beispiel 1995 bei der Internationalen Frauenrechtskonferenz in Beijing. Bei diesen Gelegenheiten wird versucht, massiv auf nationale Delegationen einzuwirken.

Das sektiererische und gefährlich fundamentalistische Gehabe des Opus Dei ist nicht eine Randerscheinung der katholischen Kirche, nein, es ist die kristallisierte Essenz des Katholizismus. Absoluter Gehorsam gegenüber den Oberen, systematische Zerstörung der Selbstachtung und des Selbstwertgefühls, Ausschalten jedes Ansatzes von Kritik an der Amtskirche. Im Opus werden diese Ziele durch brutale Methoden erreicht; Strafen, Selbstkasteiung, Isolierung von Familie und Außenwelt. In vielen Fällen hat dies zu Selbstmorden geführt. Das ist die Realität, aus der heraus dann Geld verdient und Politik gemacht werden kann. Natürlich gibt es auch andere Strömungen in den Kirchen, andere Repräsentanten des Christentums, doch im Zentrum der Macht stehen nur die Extremisten. Und da die ihre Nachfolger selbst bestimmen, kommen auch nur echte Fundamentalisten nach.

Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Liberalität und der frische Geist mancher Kirchenfürsten zwischen 1945 und der Inthronisation von Papst Woytila nur kurzfristige Erscheinungen waren. Auf jeden Reformationsversuch folgt eine noch weiter ausholende, brutale Gegenreformation. Die große Richtung bleibt die gleiche, denn das Ziel hat sich nicht geändert. Und dieses Ziel hat nichts mit Gott und wenig mit Religion zu tun, jedoch mit Macht sehr viel.

Engelwerk

Das Opus Dei ist nicht die einzige Sekte in der Kirche. Es gibt etliche seltsame Vereinigungen, einige regional beschränkt, viele international verbreitet. Das so genannte “Engelwerk” (Opus Angelorum), leitet seinen theoretischen Überbau von einer gewissen Frau Bitterlich ab, die eine Beschreibung hunderter Engel und Dämonen hinterließ. Die Bewegung, die angeblich eine Million Mitglieder zählt, dürfte in Süddeutschland ihren Ursprung haben. Seltsame Praktiken und die Fokussierung auf Engel und Dämonen führten zu kircheninternen Untersuchungen. In Deutschland wurde dem Engelwerk durch die Bischöfe ein Predigtverbot auferlegt. In Österreich fanden sich dagegen in einigen Bischöfen Fürsprecher des seltsamen Vereines. Einzelne Prälaten fördern Engelwerk-Priester, auch gegen den Widerstand der eigenen Diözesanbevölkerung. In den letzten Jahren wurde über mysteriöse Todesfälle aus dem Umkreis der Sekte berichtet. In Tirol wurde nahe einem Engelwerk-Zentrum eine völlig verstörte Frau aufgegriffen, die sich aus Furcht vor einem Fluch oder Dämonen tagelang versteckt hatte. Unter einem Steinhaufen vergraben, meinte sie den bösen Geistern entkommen zu können. Zuvor hatte sie die Engelwerker aufgesucht.

Im Juni 1992 schließlich untersagte der Vatikan die weitere Verbreitung der Engel-Lehren. Diesem Verbot waren jahrelange Kontroversen vorangegangen; bei nicht konformen Priestern und Theologen wie Küng oder Leonardo Boff konnte man viel schneller entscheiden. - Fraglich ist, was dieses Verbot bedeutet. Da das Engelwerk sogar in den Schaltstellen des Vatikans Sympathisanten hat, könnte es auch eine kirchenrechtliche Finte sein. Denn verboten wurde nur ein Teil der Lehren. Inzwischen gibt es eine Elterninitiative von Opfern des Geheimbundes, doch noch immer werden Jugendliche und Erwachsene rekrutiert. Natürlich sind die Mitglieder verpflichtet, ihr Vermögen dem Engelwerk zu übergeben; über Liegenschaftstransaktionen gibt es etliche Dokumente. Jedenfalls besteht die bizarre Vereinigung heute noch, und sie ist in manchen Landstrichen besonders erfolgreich. In Süddeutschland breitet sich die Sekte so stark aus, dass 1999 sogar die Junge Union eine Warnung vor dem Opus Angelorum publizierte.

Die Hochburg der Sekte ist das brasilianische Anapolis. Nach einem Einbruch in der Sektenuniversität in Brasilien wurden DM 40 Millionen und 1250 Kilo Goldbarren als gestohlen gemeldet. Man darf annehmen, dass die Gruppierung trotz offizieller Einschränkungen weiterhin erfolgreich aktiv sein wird.

Moderne Inquisition

Gegenüber anderen Bekenntnissen ist die Amtskirche wesentlich kritischer als ihren eigenen Sekten gegenüber. Die Probleme und Gefahren, die von einigen echten Psychosekten ausgehen, die ihre Mitglieder unterdrücken und ausbeuten, werden verallgemeinert und auf alle religiösen Minderheiten übertragen. Das beginnt bei der einheitlichen Benennung aller religiösen Kleingruppen als “Sekten”. Die Amtskirchen dienen sich dann den staatlichen Behörden als Sachverständige und Helfer an. In den traditionell kirchenhörigen Ländern Europas und der dritten Welt wird so völlig unreflektiert die Inquisition restauriert. Die katholische Lehrmeinung ersetzt die staatliche Objektivität. Fälle, in denen das Amtsgeheimnis bedenkenlos gebrochen, behördliche Entscheidungen in Familienrechtsfragen nur auf Basis kirchlicher Vorurteile getroffen wurden, können belegt werden. Es gibt ein fast globales Spinnennetz katholischer Unterstützungseinheiten, wie “ADFI” in Frankreich und Belgien, die versuchen, kleine und harmlose religiöse Gruppen zu diskreditieren und zu unterdrücken. Diese Netzwerke haben beste Verbindungen in die höchsten gesellschaftlichen Kreise.
Was in kirchlichen Schriften als Merkmale gefährlicher Sekten definiert wird, passt genauso, manchmal besser, auf christliche Sekten, sogar auf viele Orden: Denn der Gehorsam gegenüber einer einzelnen Person, die sich noch dazu unfehlbar wähnt, ist nirgends so ausdrücklich festgeschrieben wie in der katholischen Kirche. Und die Ablieferung aller Einkünfte und Besitztümer hat nirgends eine längere Tradition als in katholischen Orden. Der Unterschied ist nur, dass es einmal sozial akzeptiert ist, während es woanders Abhängigkeit und Ausbeutung genannt wird. Natürlich gibt es tatsächlich gefährliche Sekten, doch von der Kirche wird alles, was nicht zu ihren Strukturen gehört, sofort als Sekte verteufelt. Hier wird ganz offensichtlich mit zweierlei Maß gemessen. Die staatlichen Stellen, verunsichert von den vielen Neuentstandenen religiösen Bewegungen, die sich schwer einordnen und kontrollieren lassen, übernehmen hier in Europa oft unreflektiert die Aussagen der Kirchen.

Dadurch entsteht eine neue Art von Staatskirchentum, die etablierten Amtskirchen definieren über staatliche Stellen, wer gut und böse ist. Versucht man sich bei staatlichen Sektenberatungsstellen über Opus Dei zu informieren, so hört man höchstens “weiß nicht genau, fragen sie bei der Diözese nach”. Bei den meisten Testgesprächen wurde dem Opus ein gutes Zeugnis ausgestellt. Auf diverse Veröffentlichungen bzw. in Medien berichtete Skandale angesprochen, ziehen sich die Staatsdiener dann düpiert zurück. Dies ist überall dort der Fall, wo die Trennung von Kirche und Staat nicht so ernst genommen wird wie in den USA.
Das Europäische Parlament sah sich 2002 veranlasst, eine spezielle Empfehlung zur Religionsfreiheit abzugeben (Recommendation 1556). Es geht dabei um Gruppen von Fundamentalisten, die speziell in Zentral- und Osteuropa für Aufregung bei den orthodoxen Kirchen und dem politischen Establishment sorgten. Die Regierungen Europas wurden aufgerufen “wirksame Maßnahmen zu setzen, welche die Freiheit religiöser Minderheiten garantieren…. mit besonderer Betonung des Schutzes vor Diskriminierung oder Verfolgung durch religiöse Mehrheiten…”. Traurig, dass eine solche Aufforderung im Jahr 2002 notwendig ist. Doch das demokratische Defizit in diesem Bereich gibt es, im alten und im neuen Europa. Selbst der jährliche Menschenrechtsbericht des US-Außenamtes (siehe Human Rights Report 2002, erschienen im März 2003) beklagt die prekäre Situation der religiösen Freiheit in vielen Ländern Europas.

Die Position der Neo-Fundamentalisten

Die Rückkehr der Ecclesia Sancta Catholica zu ihrem normalen Gehabe und Machtverständnis ist global erfolgreich durchgeführt. Unter der Führung von Johannes Paul II. und der inneren Leitung von Kardinal Ratzinger als würdigem Nachfolger des Großinquisitors wurde die Kirche wieder auf Kurs gebracht, nach der kurzen Abweichung des II. Vatikanums. Neben der strengen Dogmenauslegung wurde auch der Machtanspruch wieder laut und deutlich formuliert.

In vielen Staaten der alten Welt war das ohnehin kein Problem, da Katholische Kirche und Staat z.B. in Deutschland, Österreich, Irland, Spanien und Italien nicht sauber getrennt sind. In den traditionell katholischen Ländern der Dritten Welt, etwa in Mittel- und Südamerika, genießt die Kichenhierarchie ähnliche Achtung und Macht wie in Europa vor hundert Jahren.

In den USA ist die Situation der katholischen Amtskirche nicht ganz so einfach. Zwar gab es auch in Nordamerika traditionalistische Bewegungen wie “The Catholic Traditionalist Movement” mit dem Priester De Pauw, aber der Höhepunkt dieser Ausrichtung ist längst vorbei. Die Vielzahl von Freikirchen, Predigern und fundamentalistischen Kirchen und anderen extrem konservativen Bewegungen macht es der Römischen Kirche schwer, sich zu positionieren. Dazu kommt, dass die Wohlfahrtseinrichtungen der Kirche in den USA einen “linken” Beigeschmack haben, der bei der Mehrheit der Menschen absolut nicht gut ankommt. Man versucht nun, verstärkt politisch aktiv zu werden, um so über die Mächtigen im Lande wieder mehr Einfluss zu gewinnen. Mit Präsident Bush gelingt das seit Anfang 2001 sehr gut.

Die in Europa sehr deutlich erkennbare Entwicklung seit Kriegsende kann für die Bestrebungen und Ziele der Weltkirche genommen werden. - In den letzten dreißig Jahren waren viele früher unversöhnbar scheinende Positionen näher gerückt. Das zweite Vatikanum, liberal gesinnte Kardinäle und Bischöfe, die sogar von sich aus mit Repräsentanten “heidnischer” Religionen und “feindlicher” Regierungen Kontakte knüpften. Diese kurze Mutation war notwendig, um eben die erstarkenden westeuropäischen Sozialisten auf eine neutrale bis wohlwollende Schiene zu kriegen; zu stark waren die Erinnerungen an die kulturkampfartigen Auseinandersetzungen vor dem Krieg. Weiters konnte die offene Brandmarkung des Marxismus als Teufelswerk und Weltpest nicht mehr aufrechterhalten werden, denn auf gewissen Gebieten musste man sogar mit den verteufelten Bolschewisten zu Kompromissen kommen. Diese Aufgaben wurden weitestgehend erfüllt, die Ziele erreicht. Nunmehr braucht der richtige Kurs nicht mehr verschleiert werden.

Die Fortsetzung des alten Weges bringt daher nichts Neues, sondern belebt nur die alten, besser gesagt, mittelalterlichen Positionen wieder. Dr. Krenn, ein österreichischer Protagonist dieses Kurses, der in seinen fundamentalistischen Positionen über Europa hinaus bekannt geworden ist, erläutert ihn am besten: Er wettert gegen Liberalismus, Sozialismus, Emanzipation. Er verbietet Mädchen als Ministrantinnen, lehnt jede Art der künstlichen Empfängnisverhütung ab, fördert die Engelwerksekte und pocht vehement auf seine unantastbare Autorität als Bischof. Zum zweiten Vatikanum meint er, dass es zuviel Rücksicht auf die Protestanten genommen habe, und in seiner eigenen Diözese greift er hart gegen Abweichler durch. Politisch werden neue Querverbindungen eröffnet. Dr.Krenn ernennt einen Referenten, der als Autor rechtsradikaler Publikationen bekannt ist. Plötzlich besinnen sich die Mannen des jedenfalls verbal radikalen Jörg Haiders ihrer katholischen Kinderstube, Haider selbst bekommt eine Privataudienz beim Papst. Von der Relativität der Menschenrechte ist die Rede, Begriffe wie Solidarität oder Teilen werden jedoch interessanterweise von den neuen Rechten ausdrücklich abgelehnt.

Genauso wichtig wie die Inhalte ist die Art der Manifestation. Wie wir gesehen haben, gab es in Vergangenheit und Gegenwart für die römische Kirche keine Ressentiments bei der Wahl der Mittel. Genauso verhält es sich mit den Etappenzielen der einzelnen Prälaten heutzutage. Dr. Krenn etwa ergriff sofort rigorose Maßnahmen, um alle Modernismen in der Lehrerausbildung und der ihm unterstehenden theologischen Fakultät zu eliminieren. Lehrer, die noch kurz zuvor für ihre Arbeit ausgezeichnet worden waren, wurden an die Kandare genommen oder mundtot gemacht. Er führte eine Art Zensur für alle verwendeten Texte ein und achtet konsequent auf die strikteste Einhaltung jedes römischen Dogmas, obwohl den Ortsbischöfen in vielen Bereichen eine sozusagen regionale Auslegung gestattet ist. In der Frage der Zulassung Wiederverheirateter zur Kommunion vertritt er gegen etliche andere Bischöfe die unnachgiebig harte Haltung des römischen Dogmas. Für die Berichterstattung über kirchliche Belange fordert er von den Journalisten eine besondere Qualifikation, die natürlich von der Hierarchie zu definieren ist, eine Art kirchenamtliche Zulassung.

Den absoluten Gipfel seiner Leistungsfähigkeit aber erreichte dieser “Mann Gottes”, als er befragt wurde, was denn geschehen müsste, damit er auf die Idee käme, vielleicht nicht immer im Recht zu sein. Dr. Krenn antwortete, dass dazu schon vorher der liebe Gott abdanken müsste. Diese Antwort sollte man nicht einfach als Größenwahn abtun. Sie zeigt in aller Deutlichkeit, wie die Denkbahnen bestimmter Kirchenfürsten verlaufen. Und genau diese Eminenzen sind es, die den Kurs des Schiffes bestimmen. Sie wähnen sich im Besitz der absoluten Autorität, und zwar so intensiv, dass sie Gott dabei schon überholt haben. Wesentlich ist ihnen das eigene Rechthaben, die Macht ihrer Institution. Theologische oder ausnahmsweise vernünftige Begründungen für ihr Handeln oder ihre Spielregeln sind Beiwerk. Unwichtig, wie es im Detail aussieht, wichtig nur die Funktion, die Schäfchen schön unter dem Druck der Autorität und der eigenen Schuldgefühle zu lassen.

So agiert der Apparat, und unerbittlich geht er gegen seine Gegner vor. Unerbittlich, aber dennoch überlegt. Als Bischof Krenn Parlamentarier, die gegen die Ausladung eines südamerikanischen Missionsbischofs in Salzburg protestierten, als “hinterhältiger als Todesschwadronen” bezeichnete, wurde er vom Nuntius in Wien zurückgepfiffen. Wenn es weiterhin zu Auseinandersetzungen kommen sollte, die wie bisher breites Echo in den Medien finden, wird Rom wahrscheinlich eingreifen. Es dient schließlich der Sache nicht, wenn unnötig viel Wind um den Kirchenfundamentalismus gemacht wird.



X. Die Finanzierung der Kirchen; Staat und Politik

Staat und Öffentliche Mittel

Die politisch Verantwortlichen werden sich auch überlegen müssen, wie lange sie dem Treiben der neuen Ultra-Orthodoxen noch Vorschub leisten wollen. Denn vom Staat unterstützt wird in Europa die offizielle Kirche, Bischöfe, die sich in extreme Anschauungen einzementiert haben, nicht das Kirchenvolk selbst.

In Deutschland werden Alternativen zur Kirchensteuer diskutiert, einzelne Gerichtsentscheidungen beschneiden die hemmungslose Subventionierung durch die öffentliche Hand. Wie immer, wenn es ans Eingemachte geht, kommt von den Kirchenoberen das Argument von den Leistungen der Kirche(n) im sozialen Bereich. Man wolle doch dasselbe, die Kirche spare dem Gemeinwesen Geld. In Wahrheit kommt nur ein sehr geringer Teil der sozialen Leistungen aus Mitteln der Kirchen, tatsächlich werden diese Aktivitäten zum größten Teil von der öffentlichen Hand gespeist, über Subventionen und ähnliches. Ein deutscher Kirchenmann konzedierte, dass bei Summierung all dessen, was im weitesten Sinn “Soziales” genannt werden kann, die Eigenleistung der Kirche maximal 20% ausmacht. Inkludiert sind natürlich auch alle Aktivitäten der Caritas. Die 20% Eigenleistung der Kirche kommen jedoch nicht nur aus Geldern der Kirchensteuer, sondern ca. zur Hälfte aus allgemeinen Staatszuschüssen für die Kirchen, wie Subventionen. Alle Steuerpflichtigen zahlen hier mit, egal ob Moslem, ohne Bekenntnis oder Christ. Bei Krankenhäusern gibt es bis zu 100% Finanzierung durch die öffentliche Hand und Krankenkassen, bei voller Personalhoheit der Kirche.

In den USA wurde das Thema im ersten Jahr unter Präsident Bush besonders aktuell, da er staatliche Sozialfunktionen an gemeinnützige Organisationen übertragen möchte. Natürlich würde das zwangsläufig mit der in den USA vorbildlich sauberen Trennung von Kirche und Staat nicht zusammenpassen. Doch es passt ganz ausgezeichnet in die Strategie der meisten organisierten Kirchen. Die katholischen Wohlfahrtseinrichtungen bekommen inzwischen 65% ihres jährlichen Budgets von $ 2,3 Milliarden aus staatlichen Quellen. Das gleiche stimmt für die anderen großen religiösen Charities. Die katholischen Wohlfahrtseinrichtungen sind in den USA die stärksten Vertreter einer altmodischen Vorstellung vom Wohlfahrtsstaat, speziell der Idee dass die Gründe für Armut nicht persönlich, sondern gesellschaftlich determiniert seien. Altmodisch im Sinne der großen Mehrheit des politischen Establishments, das diese Vorstellung für überholt hält. Ende der sechziger Jahre erhielten Katholische Charities in den USA circa ein Viertel ihrer Mittel von der Regierung, zehn Jahre später war es schon die Hälfte und seit Mitte der achtziger Jahre sind es mehr als 60%. Diese Einrichtungen vertreten und artikulieren ihre Interessen massiv. 90% der lokalen Wohlfahrtsagenturen nehmen auf die staatlichen Parlamente Einfluss. Mitglieder der Pfarrgemeinden mit geringem Einkommen werden ermutigt, Bewegungen zu bilden um Einfluss auf Politiker zu nehmen. Damit sollen mehr Mittel für die katholischen Einrichtungen flüssig gemacht werden, aber die Maßnahmen gehen bis hin zur Einschüchterung der lokalen Elektrizitätswerke, damit der Strom nicht abgestellt wird, wenn jemand nicht bezahlt.

Bezahlen tut das meiste ohnehin der Staat aus Steuergeldern. Das Sozialwesen könnte also ohne Kirchensteuer ganz gut weiterfunktionieren. Die Argumente der Kirche werden von den Tatsachen halt nicht beeinflusst. Die Trennung von Kirche und Staat sei ja nicht so streng, man müsse eher von Zusammenarbeit sprechen. - Wenn der Staat jedoch Gesetze erlässt, die dem Klerus nicht passen, so gibt es deutliche Worte von den Bischöfen gegen die staatlichen Autoritäten. Wenn Politiker dagegen zu fundamentalistischen Auswüchsen Stellung nehmen, hagelt es wütende Proteste gegen die Einmischung in “Vorgänge der Kirche”.

Kirchenvolk und Politik

Laut Gallup vom April 2001 bezeichnen sich in den USA nur mehr 25% der Befragten als Katholiken. Das ist ein deutlicher Rückgang über die letzten paar Jahre. Allerdings stellen die Katholiken noch immer den größten einheitlich geschlossenen Konfessions-Block, da die Protestanten in eine Vielzahl verschiedener Kirchen augespalten sind. Wenn man alle diese protestantischen Bekenntnisse, von Methodisten und Presbyterianern bis zu Randgruppen – jedoch ohne Mormonen – zusammenzählt, kommt man wiederum auf knapp mehr als die Hälfte der Bevölkerung.

In England und Wales hat die Zahl der Katholiken zuletzt ebenfalls abgenommen. Von den etwas mehr als 4 Millionen geht nur noch ein Viertel zur Sonntagsmesse.
In Europa ist die Situation anders, da es dort keine derartige Vielfalt von Kirchen und christlichen Religionsgruppen gibt wie in Nordamerika. Es gibt nicht so viele Alternativen, daher wenden sich wesentlich mehr Menschen ganz von organisierten Religionen ab. - In Deutschland treten jährlich zwischen 100.000 und mehreren hunderttausenden aus der Katholischen Kirche aus. Anfang der neunziger Jahre war es sogar eine halbe Million. Etwa 27 Millionen Deutsche sind Katholiken, ein Drittel der Bevölkerung. Von diesen Katholiken gehen allerdings nur 16 bis 17% zum Gottesdienst. Die Gründe sind mannigfaltig, doch die am häufigsten genannten beziehen sich auf die Positionen der Kirche zu Ehescheidung, Empfängnisverhütung und so weiter. Auch die Kirchensteuer wird oft als Grund angegeben. - Nach einer Umfrage aus dem Jahr 1992 bezeichneten sich bereits 13% der Bevölkerung als konfessionslos, nur mehr 84% erklären sich als evangelisch oder katholisch. Nur ein Drittel der katholischen Kirchgänger will an die Unfehlbarkeit des Papstes glauben. Vor die Wahl gestellt, die Aussagen des Kirchenkritikers Drewermann oder die Dogmen der Amtskirche zu akzeptieren, entscheiden sich mehr als dreimal soviel Befragte für Drewermann als für die Kirche.

In Österreich glauben im Gegensatz zu Deutschland (56%) immerhin noch 80% der Bevölkerung an Gott, selbst hier ist aber die Zahl der Konfessionslosen stark angestiegen. Die Gründe, die Kirche zu verlassen, sind im Großen und Ganzen dieselben wie in Deutschland. Der Anteil der Katholiken von noch immer mehr als 70% der Gesamtpopulation gibt der katholischen Kirche in Österreich aber eine unangetastete Vormachtsstellung. Doch sogar dort sind die meisten nur Taufscheinkatholiken, lediglich ein Fünftel gab 1992 an, die Sonntagsmesse zu besuchen.

Da die Amtskirchen über das praktische Privileg verfügen, ihre Mitglieder im zartesten Babyalter zu rekrutieren, ist die Zahl der Mitglieder, die sich in Wahrheit schon von ihrer Kirche gelöst haben, wesentlich höher als die Zahl derer, die sich mit den Kirchen identifizieren. Dies lässt sich anhand der Zahl der Kirchgänger leicht belegen. - Der Staat muss dringend seine blinde Vorgangsweise überdenken, den Kirchen Macht, Einfluss und Geld nach der formellen Zahl ihrer Anhänger zukommen zu lassen.
Auch in der Schweiz nimmt die Zahl der Kirchenaustritte stetig zu. Die Hochburg der Konfessionslosen ist Basel, wo ein Drittel der Einwohner angibt, keiner Religionsgemeinschaft anzugehören.

In Deutschland war die Affäre Stolpe das von den Medien am intensivsten bearbeitete Kirchenthema der letzten Jahre. Leicht verständlich, standen doch die Wiedervereinigung und ihre Folgen im Zentrum der politischen und medialen Aufmerksamkeit. Stolpe, stellvertretender Vorsitzender des evangelischen DDR-Kirchenbundes, hatte jahrelang mit der DDR-Staatssicherheit gekungelt. Doch die Enthüllungen und die Vorwürfe gegen Stolpe sind nur die Spitze eines Eisbergs, dessen ganze Silhouette langsam sichtbar wird. Es scheint, als ob mehr als 3000 Angestellte der evangelischen Kirche mit dem Stasi kooperierten, darunter auch Bischöfe. In Zusammenhang mit dem ehemals innerdeutschen Gefangenenfreikauf wurde der Kirche, genauer gesagt dem Diakonischen Werk, vorgeworfen, Millionenbeträge an Steuergeldern an Schalck-Golodkowski, den DDR-“Devisenbeschaffer” überwiesen zu haben, und mit ihm Privatgeschäfte abgewickelt zu haben. Die Kooperation mit dem Staat betraf nicht nur Informationen, Geld oder politischen Gehorsam. Sie bedeutete Gleichschaltung der Machtzentralen und - eine Hand wäscht die andere - gegenseitige Unterstützung im Kampf gegen die Andersdenkenden.

Der tragische Fall des Pfarrers Oskar Brüsewitz zeigt, wozu solch ein Machtkartell führen kann. Brüsewitz war den lokalen DDR-Politikern unbequem, da er sich kein Blatt vor den Mund nahm. Über die Querverbindung Stasi-Kirchenfunktionäre sollte der renitent freiheitsliebende Mann zur Räson gebracht werden. Stolpe war ebenfalls in die Sache eingebunden. Für die Stasi war es angenehm, die Kirche das Problem selbst bereinigen zu lassen, und die Kirche folgte willig. Die Kirchenoberen teilten dem Pfarrer schließlich seine Versetzung mit, gegen die er sich heftig gewehrt hatte. Dies war wahrscheinlich der Auslöser für die Selbstverbrennung des aufrechten Oskar Brüsewitz in Zeitz 1976, die in der DDR großes Aufsehen erregte.

Die Aufarbeitung der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten hat einmal mehr bewiesen, dass die Amtskirchen sich immer mit den Mächtigen arrangieren. Ob Diktatoren in Südamerika, Kommunisten in Europa, die Kirche arrangiert sich stets mit den Mächtigen. Ein kleiner Pfarrer oder ein aufmüpfiger Theologe können leicht geopfert werden, doch nie die Macht. Auch die konservative Regierung der Bundesrepublik war dem Rat katholischer Geistlicher sehr zugänglich, wie sich etwa in Person des Dominikaners Streithofen zeigt, für den sich außer dem Bundeskanzler Kohl 1993 auch die Staatsanwaltschaft wegen volksverhetzender Äußerungen interessierte. In der ehemaligen DDR wird den Kirchen vom Staat zugearbeitet, indem die offizielle Konfessionslosigkeit des größten Teils der Bevölkerung angezweifelt wird.
In den USA tritt die Katholische Amtskirche seit einigen Jahren wesentlich prägnanter auf dem politischen Parkett in Erscheinung. Die Kardinäle von Philadelphia und Detroit sind hier besonders deutlich geworden und haben keine Scheu vor politischen Statements. Wie schon erwähnt geht es in den Vereinigten Staaten vor allem darum, die klare Trennung von Kirche und Staat zu verwässern. Wie könnte – abgesehen von der Reagan-Ära – die Römische Kirche in Nordamerika jemals ähnliche politische Macht bekommen wie in Europa oder Lateinamerika, wenn sie es nicht schafft, die Regierung in ein gemeinsames Bett zu zerren?

George Bush gewann die republikanische Nominierung mit beträchtlicher Unterstützung aus der fundamentalistischen Ecke, welche die Katholische Kirche schon mal als satanisch bezeichnet. Doch auch katholische Gruppierungen haben mehrheitlich für Bush votiert, und seit dem Frühjahr 2001 bemüht er sich auffallend um die Sympathien der Katholiken. Auf vielen Reisen werden Photo-Termine mit Bischöfen und Kardinälen vereinbart, auch wenn die Reise einem ganz anderen Zweck dient, wie etwa der Bekanntgabe von Steuersenkungen. Einerseits muss natürlich jetzt schon an die nächste Wahl gedacht werden, doch ganz wesentlich treffen sich die Interessen Bushs und des katholischen Klerus im neuen Konzept der “glaubensgestützten” Sozialpolitik. Kirchenführer preisen die Vision Bushs von “Armeen der Barmherzigkeit” als im Einklang mit der katholischen Soziallehre. – Gott schütze Amerika.

Die nun wieder eingeschlagene Marschrichtung Roms, Neokonservativismus und Absolutismus, wird durch etliche Kirchenfürsten weltweit repräsentiert. Da gibt es Bischöfe, die große Förderer des Opus Dei sind, oder die ein demonstrierendes Grüpplein Aids-Aktivisten “hergelaufene Schwule” nennen. Die stramme Haltung gegenüber der Saat des Bösen lohnt sich, solche Leute machen in der Hierarchie rasch Karriere. So wird die Evolution der rechten Geisteshaltung unter den zu ernennenden Kirchenfürsten gesteuert. – Wohl kaum ein Papst vor ihm hat so viele Kardinäle produziert wie Johannes Paul II. Von den 112 zur Papstwahl berechtigten Mitgliedern des Kardinalsgremiums hat er 107 ernannt (Stand April 2003). Damit ist sichergestellt, dass die orthodoxe Geisteshaltung Woytilas weiterleben wird, auch in seinem Nachfolger, der durch die von ihm bestimmten Kardinäle gewählt werden wird. Damit ist ein beinahe perfektes System zur Perpetuierung einer bestimmten Richtung vorgeführt worden. Die vom Pontifex ernannten Kirchenfürsten stehen für die autoritäre, in quasijuristischen Begriffen denkende, rhetorisch hervorragend geschulte Gilde der aktuellen Machthaber. Oft hatte schon die Ernennung dieser Bischöfe den Widerspruch vieler herausgefordert; die lokalen Würdenträger und das Kirchenvolk waren schlicht übergangen worden - gemäß dem alten Spruch “Roma locuta, causa finita” (Rom hat gesprochen, damit ist die Sache erledigt.

In Osteuropa nach dem Fall des eisernen Vorhanges hatte der Vatikan mit der eigenen Hierarchie jedoch einige Probleme. Es gab bis vor einigen Jahren eine Vielzahl von Untergrund-Priestern. Sie wurden geheim, jedoch gültig nach Kirchenrecht eingesetzt und fungierten als Katalysatoren für die Reste echten Christentums in den ehemaligen Oststaaten. Viele von ihnen wurden geheim von “offiziellen” Bischöfen geweiht, auch Woityla war an der Kreation der “Guerilla-Priester” beteiligt. Ihre Messen zelebrierten sie quasi in modernen Katakomben, meist Privatwohnungen, unter strengster Geheimhaltung. Jeder dieser Untergrundpriester lebte in der ständigen Gefahr, entdeckt zu werden und in einem Arbeitslager zu verschwinden. Die offizielle Kirchenhierarchie dagegen kooperierte mit den Regierungen und war für die meisten Gläubigen deshalb nicht attraktiv. Die Geheimpriester und Bischöfe riskierten bei ihrer illegalen Tätigkeit Kopf und Kragen. Nun, da die Kirchenhierarchie wieder ohne staatliche Interferenzen an die Kurie angeschlossen werden kann, sind die ehemaligen Illegalen natürlich überflüssig. Leider unterlagen sie dem bedauernswerten, jedoch verständlichen Irrtum, nach Öffnung der Systeme vielleicht sogar eine gewisse Anerkennung für ihre gefahrvolle Tätigkeit ernten zu können. Dem bis an diese Stelle geduldigen Leser jedoch ist die logische Konsequenz der römischen Kurie schon klar: Neue Machtstrukturen, ein neues Spiel. Der Vatikan erlaubt den geheim geweihten Priestern maximal eine Einordnung in die hierarchische Struktur als Diakone, die unterste Stufe der geistlichen Ränge. Aber es geht auch um das Verhältnis zu den “offiziellen” Geistlichen, die die kommunistischen Diktaturen ohne Blessuren, meist wohlgenährt und zufrieden, überlebten. Die sollten das bleiben was sie waren, und können ihre Positionen natürlich behalten. Die anderen dürfen sich unterordnen. Am virulentesten war das Problem in der ehemaligen Tschechoslowakei.

Der Sarkasmus der katholischen Realität lässt denen, die ihre Existenz und Freiheit für den Katholizismus riskiert haben, keinen Zweifel, dass sie nunmehr überflüssig sind. Etliche wehren sich gegen die Bevorzugung derer, die nichts riskiert haben und zu jedem Kompromiss bereit waren. Ihre Mühe ist vergeblich, sogar gefährlich. Wenn sie sich nicht unterordnen, werden sie ihre Existenzgrundlage verlieren. Wie “TIME” 1992 einen Bericht zu diesem Thema betitelte: “Danke, aber ihr seid gefeuert”.

Ein wesentliches Anliegen insbesondere der katholischen Kirche in allen osteuropäischen Reformländern ist die Wiederherstellung des “alten” Besitzstandes. Das ist der Besitzstand von vor der kommunistischen
Machtergreifung, oder, anders ausgedrückt, meist der maximale Besitzstand der jeweiligen Landeskirche, alles, was über Jahrhunderte “angesammelt” wurde. Nur ein pervertiertes Verständnis christlicher Nächstenliebe kann so von Gier besessen sein. Die Kirche will diesen jahrzehntelang gequälten, wirtschaftlich ruinierten Ländern auch noch wesentliche Teile des erhalten gebliebenen Vermögens abknöpfen. So bedauerte die tschechoslowakische Bischofskonferenz, dass die Rückgabe des ehemaligen Kircheneigentums im Parlament scheiterte, denn es gehe “vor allem um eine moralische Wiedergutmachung”. Moralische Kategorien, ausgerechnet wenn es um den Besitzstand der Heiligen Römischen Kirche geht. Tschechische Politiker sprachen richtig von einer gierigen Kirche. Einige meinten, man sollte nur soviel zurückgeben, als für die liturgischen Zwecke der Kirche notwendig ist.

Im Süden des ehemaligen Jugoslawien geht es noch nicht um die Wiederherstellung des Besitzstandes, dort müssen erst die Parzellen abgesteckt werden. Vorläufig sind katholische und orthodoxe Bischöfe damit beschäftigt, sich gegenseitig das Schüren des Hasses gegen die jeweils andere Volksgruppe vorzuwerfen. In Slowenien war die Kirche vor dem Krieg der größte Forstbesitzer des Landes. Keine Frage, dass sie nun alles zurückhaben will. Es folgte eine heftige Gegenreaktion der Öffentlichkeit, die der Laibacher Bischof als “Hetze” hinstellte, die Kirche wolle ja nichts für sich, sondern alles nur zum Wohle ihrer Gläubigen. - Wir sehen hier wieder einen gängigen Mechanismus kirchlicher Argumentation. Ob eine Sache gut ist, hängt nicht vom Zweck der Sache ab, nein, wenn die Kirche etwas will, so folgt die Moral auf den Fuß, die Sache muss schon deshalb gut sein, weil die Kirche sie will.

In Polen ist die Kirche seit dem Reagan-Woytila Pakt sowieso eine dominante Kraft. Kardinal Glemp und Rom griffen voll ins politische Geschehen um die neue Regelung des Schwangerschaftsabbruches ein. Die Kirche wurde bei der Reprivatisierung bevorzugt, Ehescheidungen wurden erschwert, im Medienrecht wurden christliche Grundsätze verankert. Die nicht kirchenhörigen Kräfte beklagten schon die Schaffung eines katholischen Glaubensstaates, man spricht über Zensur in Radio und Fernsehen. Kirchenkritische Journalisten wurden mit allen Mitteln diskreditiert, bishin zur Verleumdung als Pornographen. - Kardinal Glemp warnte öffentlich vor “sexueller Euphorie in der Bevölkerung”. Aber auf anderen Gebieten kannte man sich genauso aus: Nach dem neuen polnischen Kirchengesetz sind wohltätige Spenden von Zoll und Umsatzsteuer befreit. Dieses Privileg wurde intensiv genutzt, indem diverse Firmen offiziell als Spender auftraten, dann aber doch abkassierten, immer mit einer kirchlichen Stelle als Partner. Die Pallotiner wollten in Danzig ein milliardenteures Pflegezentrum nur mit derartigen Importgeschäften finanzieren. Eingeführt wurden so z.B. Unmengen von Benzin, Autos und Elektronik, die jeweils im Lande weiterverkauft wurden. Dem Staat entgingen zumindest bis Anfang 1992 jedes Monats Milliarden von Zloty, und später flossen weitere Unsummen an Zoll und Steuerbehörde vorbei ins Land. Bei der Restitution hatte die Kirche in Polen sowieso mehr Glück als in den anderen Reformstaaten Osteuropas. Die Kirche kann ihren von den Kommunisten enteigneten Grundbesitz zurückfordern. In den ehemaligen deutschen Ostgebieten gibt ihr der Staat sogar kostenlos neuen Grundbesitz. Dadurch könnte die katholische Kirche in Polen wieder größter Grundbesitzer des Landes werden, wie schon vor dem Zweiten Weltkrieg.

Überall, auf allen Erdteilen, geht es der Kirche um Macht jeder Art, und um Besitz. Ob philippinische Kirchenfürsten vor den Wahlen unmissverständlich und massiv ins Geschehen eingreifen, ob die Kurie traditionalistische Geistliche der anglikanischen Kirche zum Überlaufen bewegen will, oder ob der Vatikan Haitis brutale Militärregierung anerkennt, die nach dem Sturz des demokratischen Präsidenten Aristide international geächtet war. Das Machtstreben beschränkt sich nicht auf politische Aktionen, die Kirche will auch im privaten Bereich bestimmen, wie man schon aus den Edikten zur Empfängnisverhütung etc. weiß. Die Fundamentalisten machen jedoch selbst vor den absurdesten Ideen nicht halt. In Österreich wurde versucht, in einer Art Musterprozess den Amtskirchen teilweise das Sorgerecht für ein Kind zu übertragen. Nach der Scheidung vermeinte der Vater, seinem Kind damit einen Gefallen zu tun. Die Kirchen sprangen sofort auf den Zug auf, Gutachten wurden bestellt und die Propagandamaschinerie in Gang gesetzt. Wenn es den Amtskirchen gelingt, mit so einem Verfahren durchzukommen, dann wäre der nächste logische Schritt, dass die Kirche von sich aus die Vormundschaft über Kinder derjenigen Eltern bekommt, deren religiöse oder nichtreligiöse Anschauung Kirche oder Staat nicht gefällt. So weit weg ist der Gedanke nicht, denn Zwangstaufen speziell von jüdischen Kindern waren bis ins vorige Jahrhundert üblich.

Der Kurs ändert sich nicht, die Dinge spitzen sich lediglich zu.



XI. Macht

Macht über das Individuum


Herrschaft und Autorität werden auf verschiedenen Ebenen wirksam. Einmal auf der persönlichen, indem Macht über die Denkungsart, ja sogar über das Gewissen der Individuen erlangt werden soll. Die Betonung konservativster Wertungen, also Ablehnung jeder Art der Empfängnisverhütung, das apodiktische Nein zur Scheidung usw., ist die notwendige Stütze des kirchlichen Machtstrebens auf der persönlichen Ebene. Selbst wenn die meisten Katholiken und Protestanten antworten, dass ihnen die offizielle Lehrmeinung ihrer Kirchen egal ist, bleibt doch, solange ein Funke von Bindung an die Kirchen besteht, ein subtiler Bodensatz des Unbehagens. Da die klerikale Autorität auf Angst, Schuldgefühlen und allgemeiner Konditionierung basiert, muss das Althergebrachte konserviert werden, und der Schuld und der Angst muss ein Inhalt gegeben werden. Die Gier nach Macht und das Züchten von Angst und Schuldgefühlen sind zwei Seiten desselben Blattes; beide Bestrebungen füllen die Annalen der Kirchengeschichte bis in die Gegenwart.

Die Dogmen der Lehrmeinung selbst, zum Sexualverhalten, Eheleben, zur Stellung der Frau in der Kirche und zur Organisationsform der Kirche, sind nicht von Jesus Christus. Wie wir gesehen haben stammt die fade, starre Grundmasse von Paulus und steht in diametralem Gegensatz zum lebendigen Sauerteig Christi. Das spätere Beiwerk, Diskurse über die Natur Jesu’, Zölibat der Priester und ähnliches, entstand aus politischen Absichten und geschichtlichen Zufällen.

Es wurde also aus künstlich geschaffenen Lehrsätzen, die zum Großteil den Gehirnen machtgieriger Kirchenfürsten und berechnender Theologen entsprangen, ein Netz der Macht gesponnen, dass bis heute das Denken von Millionen fesseln kann.

Die Politische Macht

Eine andere Kategorie von Macht ist das Streben nach politischer Herrschaft; wir haben es als ein jahrhundertealtes Leitmotiv der Kirchenpolitik kennen gelernt. Wie erwähnt, gab es im ersten Jahrtausend unserer Zeitrechnung nicht den geringsten Zweifel an der Gesamtautorität des Kaisers, das heißt an seinem Primat über weltliche und geistliche Angelegenheiten. Manche Kaiser bedienten sich der kirchlichen Strukturen, um ihre Herrschaft zu festigen und das Reich besser zu organisieren. Der Kaiser konnte sogar den Papst absetzen. Die Kirche, seit Konstantin eine Amtskirche, war ein Teil des Reiches, dem Kaiser unterworfen, der sogar entschied, welche Sätze eines Konzils Geltung haben sollten und welche nicht.

Die langsame Entwicklung der kirchlichen Herrschaftsansprüche begann mit der Konstantinschen Fälschung im achten Jahrhundert. Mit diesem Betrug wollte Papst Stephan II. nicht nur tatsächliche Gewalt über einige Länder, sondern auch den Vorrang des Bischofs von Rom vor der kaiserlichen Autorität erlangen. Mittelitalien samt Rom bekam er gleich, der Kaiser jedoch war nicht so leicht zu übertrumpfen. Erst Gregor VII. konnte sich im Jahre 1076 über den Kaiser erheben, indem er ihn exkommunizierte und seinen Untertanen untersagte, ihm weiter zu gehorchen. Natürlich wieder mit Hilfe von Fälschungen, diesmal en masse produziert, sowie gewissermaßen durch den Überraschungseffekt, denn das Ansinnen des Papstes musste dem Kaiser als phantastisch, ja blasphemisch erscheinen. Doch die Gunst der politischen Stunde war mit Gregor, Kaiser Heinrich musste vor Canossa frieren. Der Kaiser war gedemütigt, diesmal hatte der Papst gewonnen.

Von großer Relevanz für die Modellierung der päpstlichen Machtansprüche ist der Zeitraum zwischen dem siebten und dem elften Jahrhundert. Genau in diese Zeit fällt der Auflösung der Einheit zwischen der Ostkirche und “Westrom”. Die Ausgangsposition war, wie schon kurz gestreift, nicht ein Papst in Rom, sondern ein Bischof, der keinerlei besondere Vorrechte innerhalb der Kirchengemeinschaft besaß. Im Gegenteil, der östliche Teil des Reiches war der Schwerpunkt des Kirchen- und des Geisteslebens. Schließlich hatte Konstantin in Byzanz residiert und er hatte dort das Konzil einberufen. Die Verbreitung des Christentums erfolgte im Osten wesentlich rascher und durchdringender als in der westlichen Reichshälfte.

Gut, der Bischof von Rom berief sich auf die von Petrus gegründete Ortskirche, doch konnte nicht der Osten mit etlichen Kirchengründungen durch Apostel aufwarten? Bis ins neunte Jahrhundert wird in Rom die Kirche in ihrer Organisationsform ebenfalls als eine “Fünferherrschaft” (Pentarchie) gesehen, als die in fünf Patriarchaten gebündelte Gemeinschaft aller Christen. Vier dieser Patriarchate liegen im Osten, Rom ist der einzig westliche Sitz eines Patriarchen. Zwar versucht Rom seit Damasus, gewisse Vorrechte für sich abzuleiten, doch die römische Jurisdiktion bleibt im Verständnis der östlichen Patriarchen auf den Westen beschränkt. Doch der Kirchenherrscher im Westen, der zukünftige Papst, versucht weiter, sich als Patriarch der Patriarchen zu etablieren. Nikolaus I. macht den einen konkreten Schritt im neunten Jahrhundert. Er überschreitet die bisherigen Grenzlinien und begibt sich auf fremdes Territorium, indem er sich anmaßt, das Besetzungsverfahren eines östlichen Patriarchates an sich zu ziehen. Bisher hatten sich die Patriarchen nach ihrer Inthronisation verständigt, also eine Mitteilung an die jeweils anderen verschickt. Nunmehr beansprucht der Bischof von Rom plötzlich ein Bestätigungsrecht für sich - wieder einmal inspiriert von Fälschungen. Das bedeutet, er setzt sich über die bisher unangetastete Eigenständigkeit der Patriarchate hinweg und oktroyiert sein Recht den Anderen. So sahen es die vier östlichen Kirchenfürsten denn auch.

Verschiedene politische Faktoren ermöglichten es dem angegriffenen Patriarchen, sich erfolgreich zu wehren, sogar in die Gegenoffensive zu gehen. - Seit dieser Zeit driften die West- und die Ostkirche auseinander. Zweihundert Jahre später schließlich eskaliert ein politisches Geplänkel um liturgische Details zwischen Rom, dem byzantinischen Kaiser und einem Patriarchen. Das führt zu gegenseitigen Exkommunikationen, endlich auch zum formellen Bruch. Es war dem Bischof von Rom, seit Damasus “Nachfolger Petri”, nicht gelungen, die Herrschaft über die ganze Kirchengemeinschaft an sich zu reißen. Umso stärker versucht er nun, im Westen seine Macht zu verdichten, die weltliche Herrschaft ebenfalls zu übernehmen - war es nur das Ventil für die vergeblich in die Eroberung Ostroms investierten Energien? Das Ansinnen, im Westen die ganze Macht zu übernehmen, ist gewaltig. Das Erbe eines Karl des Großen, der nicht den leisesten Zweifel an der Absolutheit seiner kaiserlichen Gewalt über weltliche und geistliche Dinge ließ, war noch nicht so alt.

Nichteinmal dreihundert Jahre nach Karl aber schon der erste Erfolg. Gregor VII., der darauf besteht, dass der Bischof von Rom “Papst” genannt wird, richtet über Kaiser Heinrich. Er verurteilt ihn und entzieht ihm die Machtbasis. Dann setzt er noch den polnischen König und den griechischen Kaiser ab. Rechtsgrundlage wieder: gefälschte Dokumente. Rechte, die einem Bischof und der Kirche nie zustanden, usurpierte Gregor bedenkenlos für den Papst. Er, dessen Nachfolger nun “Stellvertreter Christi” heißen sollten, pervertiert die Worte Jesu’ in ein machiavellistisches Lehrstück.

Das alles hat mit dem Mann aus Nazareth schon lange nichts mehr zu tun, es liegt weit jenseits jeder Religion, jeder Auffassung von Spiritualität, es geht nur mehr um Machtpolitik. Gregor diktierte nicht nur das Reich, er zwang der Kirche genauso seinen Stempel auf. Die Vielfalt des religiösen Lebens wurde durch römische Einheitlichkeit ersetzt. Latein wurde die Sprache der Kirche, das Zölibat, das praktisch nicht existierte, wurde den Klerikern unbarmherzig aufgezwungen. Gregor begann, Priester und Bischöfe nach Rom zu zitieren, wo sie sich wegen irgendwelcher Beschuldigungen rechtfertigen sollten. Dieser Machtanspruch des Bischofs von Rom gegen seine “Mitbrüder” war unerhört. Viele der Geladenen verweigerten den Gehorsam, Unmut über den Größenwahn des Papstes machte sich breit. - Doch das Ziel war formuliert, das Ansinnen blieb bestehen und konnte letztendlich wenigstens innerkirchlich vollständig realisiert werden. Und wie so oft wurden durch die Beharrlichkeit und Hartnäckigkeit des römischen Apparates über Generationen hin vollendete Tatsachen geschaffen.
Essentiell für das Verständnis der hier wirkenden Kräfte sind zwei Aspekte, die Gregor dem Gedächtnis der Kirche und ihrer Mitglieder mit der Glut seines Eifers einbrannte: Erstens, dass der Papst die Kirche ist; zweitens, dass der Papst und die Kirche über allem stehen. Denn Mutter Kirche ist geheiligt, der niedrigste Priester hat mehr Macht als der größte weltliche Herrscher. Jeder Priester ist schließlich von Gott gesegnet und kann die Gnade des Herrn spenden; kein Fürst hat diese Macht. Dem Papst, dem Haupt der Kirche, hat Gott Gewalt über den ganzen Erdkreis gegeben.

Um es in Kurzfassung zu wiederholen, der Papst beansprucht schlicht und einfach die Weltherrschaft.

Dieser Anspruch blieb erhalten, wenn sich auch das Papsttum nie über lange Perioden wirklich über den Kaiser erheben konnte. Der Schwerpunkt der Macht oszillierte einige hunderte Jahre zwischen dem Kaiser und Rom. Schon vor Einsetzen der Reformation schwand ein Teil der politischen Gewalt der Päpste über den abendländischen Erdkreis. Und doch hatte die Kirche großen politischen Einfluss, bis ins neunzehnte Jahrhundert, in den vielen noch immer kirchenhörigen Staaten bis ins neue Jahrtausend, bis heute. Die Kirche formulierte in den katholischen Reichen die Zensur, das Eherecht; katholische Dynastien verteidigten die Anliegen der “heiligen” Kirche nicht nur politisch, sondern wenn nötig unter Einsatz ihrer Armeen, bis in unsere Zeit.

Im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts mussten Päpste und Kurie zur Kenntnis nehmen, dass die Ideen der - so die Kirche - teuflischen französischen Revolution nicht aufzuhalten waren, und dass der erstarkende Nationalismus mit seinen Unabhängigkeitsbestrebungen wie Sand im Getriebe der römischen Machtpolitik wirkte. Alle diese Entwicklungen machten immer deutlicher, dass es die klassische kaiserliche oder päpstliche Macht über das Abendland in der alten Form nie wieder geben würde.



Die Transformation der Macht

Irgendwann zwischen 1848, als in Rom eine kurzlebige Republik ausgerufen wurde, die Pius IX. zwei Jahre ins Exil zwang, und dem I.Vatikanischen Konzil 1869, irgendwann dazwischen muss Papst Pius die Erleuchtung gekommen sein, dass die alte Weltordnung nicht mehr lange bestehen würde. Tatsächlich, im Jahre 1870 verlor der Papst trotz erbittertem Widerstand die mittelitalienischen Länder. Der Verlust machte ihn nicht blind. Er erkannte sehr klar, dass für die katholischen Herrscherhäuser und Reiche der Abgesang der Geschichte eingesetzt hatte. Wie aber konnte der Weltherrschaftsanspruch gesichert werden, wenn die weltlichen Säulen der Macht brüchig wurden? Pius wusste es. In einer neu aufgeteilten Welt sollte der globale Machtanspruch über die Dominanz in theologischen und moralischen Fragen gesichert werden. Dieser Herrschaftsanspruch über die ganze Welt wurde denn auch im Jahre 1870 formuliert, als Unfehlbarkeit des Papstes, wenn er ex cathedra zu Glauben und Moral spricht. Wenn der Papst unfehlbar, die katholische Kirche ohnehin allein im Besitz der göttlichen Wahrheit ist, so muss jeder, der diesen Lehren nicht folgt, ein Sünder sein, ein Kandidat für die ewige Verdammnis.

Natürlich war dieses I. Vatikanische Konzil keine ganz leichte Übung für den Papst. Es gab heftigen Widerstand gegen seine Idee, sich selbst für unfehlbar erklären zu lassen, von anderen Kirchenfürsten und vor allem von deutschsprachigen Theologen. Eine Brandrede gegen das Ansinnen ist zugänglich, sie stammt von Bischof Strossmayer. Der Vatikan konzediert, dass dieser eine Rede gegen den Antrag Pius IX. hielt, bestreitet jedoch die Authentizität des verbreiteten Textes. Zwei Dinge lassen eher an die Richtigkeit des kolportierten Textes glauben: Der Vatikan macht sonst keine Angaben zu Strossmayers Ausführungen, und der Wortlaut klingt sehr realistisch, einschließlich der vermerkten Zwischenrufe. Strossmayer geht im Elan seiner Ausführungen so weit, dass er sogar akzeptierte Würden wie die Ableitung des Papsttums aus Petrus Sonderstellung in Zweifel zieht. Viele andere Bischöfe blieben dem Konzil fern, doch am Ende gelang es Pius, etwa 500 Stimmen für sich zu gewinnen. Nach der Verkündung des neuen Dogmas verließen viele Menschen die Kirche, darunter die meisten großen Theologen und Kirchenlehrer an deutschen Universitäten.

Dieser Papst des neunzehnten Jahrhunderts sublimierte einfach den politischen Weltherrschaftsanspruch seiner Vorgänger auf eine geistige Ebene. In Zukunft beansprucht der Papst primär, die Fragen der Moral und des Glaubens für jeden verbindlich zu interpretieren, und das geht in alle Bereiche des Lebens, vom Kinderkriegen bis zum Geld. Das heißt, Papst und Kirche reklamieren für sich die Weltherrschaft über jedes menschliche Gewissen und den Glauben, die Religion. Diese Weltherrschaft ruht auf zwei Säulen: Die Heilige Katholische Kirche ist die allein von Gott mit der Verbreitung seines Werkes und seiner Botschaft betraute Glaubensgemeinschaft, daher haben sich alle anderen Religionen, auch die anderen christlichen, unterzuordnen. Zweitens sind die Glaubenssätze, die nun der Papst vorgibt, die unfehlbare Wahrheit. Daher kann es keine Diskussionen geben, nur Gehorsam. Niemand sollte dem Missverständnis unterliegen, dies wäre eine kleine Sache. Wie man jeden Tag sieht, bearbeitet die Katholische Kirche Regierungen und Machthaber intensiv, ob es sich um Fragen der Geburtenkontrolle handelt oder um politische Allianzen. Und die Mächtigen hören zu.

Zugleich bedeutete dies eine große Veränderung in den alten und gewachsenen Strukturen der Kirche. Pius setzte beim I.Vatikanum den absoluten Primat des Bischofs von Rom in Fragen des Glaubens durch - gegen hunderte Jahre Konzilstradition. Zwar war der Papst nun schon 800 Jahre lang der Alleinherrscher über alle Kleriker und den ganzen Kirchenapparat, doch in Fragen des theologischen Dogmas war noch immer das Konzil, die Versammlung der höchsten Kirchenfürsten, die letzte Instanz gewesen.
Alle Katholiken, und jeder, der die Anmaßungen Roms als unangebracht empfindet, sollten sich bewusst machen, dass der “Papst” erst tausend Jahre nach Christus entstanden ist und dass seine Diktatur in Glaubens- und Gewissensfragen noch viel jünger ist. Niemand sollte mit Gott hadern, weil er mit seiner Kirche nicht zurechtkommt, denn sie ist in ihrer heutigen Form nur das späte Produkt von mehr als tausend Jahren Politik. Die Grundlagen dieser Politik können relativ präzise als das Gegenteil dessen, wozu Jesus Christus in der Bergpredigt aufgefordert hat, beschrieben werden.
Es gibt keinen strafenden Gott für die, die sich von dieser Organisation lossagen, denn sie hat nichts mit göttlichem Willen zu tun. Die Kirchengeschichte ist der historische Ablauf von Machtkämpfen. Die Evangelien tauchen allenfalls als Argumente im politischen Streit auf. Der Geist, der die ersten Jünger Jesu’ beseelte, ist spätestens seit Konstantin verloren. Die Dogmen und Lehren, die den Gläubigen mit der ganzen Macht der Institution oktroyiert werden, sind verschiedenen Ursprungs, in den wenigsten Fällen gibt es wahrhaft religiöse Wurzeln. In vielen Fällen sind die Inhalte der Lehren rein politisch motiviert. Im sechzehnten Jahrhundert etwa schrieb Sixtus V. die Bibel kurzerhand um, samt dem bisher gebräuchlichen Zuordnungsapparat. Seine Nachfolger eliminierten teilweise die vorherigen Manipulationen, korrigierten und änderten wiederum nach ihrem Gutdünken.

Doch zurück zu den Motiven und Mechanismen, die in der Kirche seit mehr als eineinhalb Jahrtausenden wirken. Elias Canetti beschreibt in seinem Meisterwerk “Masse und Macht” eindrucksvoll den Zusammenhang und die Wirkungsweise dieser beiden Faktoren. Dieses Werk war der Hauptgrund für die Verleihung des Nobelpreises an Canetti im Jahre 1981. In der “Masse” des Katholizismus sieht er als bezeichnend das bedächtige, verlangsamende, das in der Form der katholischen Prozession zusätzlich die Wichtigkeit der Hierarchie von Bischöfen, Priestern und Laien betont. Canetti stellt fest, dass das unvorhersehbare, oft spontan und heftig Ausbrechende der offenen Masse der Katholischen Kirche geradezu ein Gräuel ist. Sie versucht mit langsamen Ritualen und anderen Mitteln, der Masse dieses Potential zu nehmen und ihre Bewegung zu kontrollieren.

Ganz wesentlich für die Psychologie der Macht ist das brennende Bestreben des Mächtigen, die beherrschte Masse zu vergrößern. (Die Geschichte der Menschheit besteht scheinbar kaum aus anderen Vorgängen.) Nicht anders verhält es sich mit der Katholischen Kirche. Man steht schließlich – trotz dem Bewusstsein, die einzige von Gott auserwählte Kirche zu sein – in einem faktischen Wettbewerb mit anderen Religionen, die sich jedenfalls zurzeit wesentlich schneller ausbreiten. Schon deshalb, weil in den Stammländern des Katholizismus die Geburtenrate sehr schwach ist, während Muslime und Hindus viel mehr Kinder in die Welt setzen. Daher ist unter diesem Aspekt plötzlich auch diese fanatische Ablehnung jeder Art von Empfängnisverhütung logisch. Unter biologischen und auch moraltheologischen Aspekten kann die radikale Haltung der Kirche ja kaum vernünftig gerechtfertigt werden. Und die Verve und Energie, mit der um jeden Preis missioniert wird, scheint plötzlich ebenfalls erklärbarer. Vielleicht ist es kein Zufall, dass dieser Machtmensch Pius IX., der die absolute Herrschaft des Papstamtes perfektionierte, auch mit einer Zwangsbekehrung Schlagzeilen machte. Ein sechs Jahre alter Bub wurde 1858 in Bologna seinen jüdischen Eltern gewaltsam weggenommen und katholisch erzogen. Der Papst weigerte sich trotz internationaler Proteste, das Kind den Eltern zurückzugeben. Solche katholischen Kindesentführungen waren nicht selten. Man berief sich darauf, dass das jeweilige Kind versehentlich oder geheim getauft worden war. – Wenn es um die Verbreiterung der Machtbasis geht, muss jedes Mittel erlaubt sein. “An der Kirche gemessen”, sagt Elias Canetti, “erscheinen alle Machthaber wie traurige Stümper”.

Die Geschichte der Kirche ist die Geschichte des Papsttums, und in ihrem Ablauf liegen die Ursachen und Motive für die meisten Dogmen, Lehren und liturgischen Rituale der Römischen Kirche. Ich kann in dieser Historie keine spirituelle Evolution erkennen, nur eine machtpolitische. Der Bischof von Rom möchte der Herrscher über die gesamte Christenheit sein, darum versucht er, die Hoheit über die anderen, östlichen Patriarchate zu gewinnen. Als dies scheitert, konzentriert er sich auf den Westen und legt sich mit dem Kaiser an. Papst Gregor VII. ist der Sieger einer Schlacht über die weltliche Macht, doch der Krieg ist nicht zu gewinnen. Hartnäckig wird weiter am großen Ziel gearbeitet, selbst nach dem Rückfall durch die Reformation und das Entstehen Protestantischer Kirchen. 1870 schließlich die Erklärung der Unfehlbarkeit. Auch in dem eingeschränkten Bereich der theologischen Lehre dominiert nun ausschließlich der Bischof von Rom. Seine Machtstellung innerhalb der Kirche kann seitdem wohl nur mit derjenigen Caesars am Höhepunkt seiner Macht verglichen werden. Je mehr realpolitische Macht nach außen verloren wurde, umso mehr stärkte der Papst seine Position in der Kirche. Der Tiefpunkt der territorialen Machtausübung, der Verlust Mittelitaliens, fällt zeitlich zusammen mit dem Höhepunkt der inneren Macht, der Erklärung der Unfehlbarkeit.
Die Gottheit “Macht” hat hier Regie geführt. Der Gott des Jesus von Nazareth sicher nicht.





XII. Dogma und Wahrheit

Der “neue” Konservativismus, manchmal schon Fundamentalismus, ist in der katholischen Kirche langfristig und strukturell angelegt. Schon wurden die ersten zaghaften demokratischen Einrichtungen demontiert; die konservativsten Vorreiter haben ihren Pfarrgemeinderäte schon alle Entscheidungsbefugnisse entzogen. Natürlich ruft dieser nur scheinbare Rückschritt den Widerstand vieler Laien, sogar einiger Priester hervor. Doch sie stehen gegen die stärkste Gruppierung in der Kurie, daher sind ihre Anstrengungen letztlich fruchtlos. Bei den Pflichtbesuchen im Vatikan bekommen die aus ihren verschiedenen Ländern angereisten Eminenzen auch eindeutige Instruktionen. Die hohe Zahl der Scheidungen und Abtreibungen im jeweiligen Land wird als Ansatzpunkt heftiger Kritik benutzt. Selbst, dass in den Familien die religiöse Übung vernachlässigt werde, wird moniert. Diese Vorhaltungen sind natürlich Wasser auf die Mühlen der Erzkonservativen, die alle liberalen oder demokratischen Neuerungen für die kritisierten Entwicklungen verantwortlich machen. Dadurch werden die moderaten Kräfte immer weiter in den Hintergrund gedrängt.

Der Chef der Glaubenskongregation, Kardinal Ratzinger, ist in diesen Belangen der Vorposten Woytilas, der klar und deutlich formuliert, was gemeint ist. Von neuem Heidentum ist da die Rede, von der Pflicht zum Gehorsam gegenüber dem päpstlichen Lehramt. Auch wenn ungehorsame Theologen zurechtgestutzt werden müssen, erfüllt Ratzinger sein Amt mit Schwung und Unnachgiebigkeit.

Der hierarchische Zwang oder das strenge Dogma sind jedoch nicht die Insignien der göttlichen Wahrheit. Alle Propheten, alle Inkarnationen der verschiedenen Religionen waren in der Darlegung ihrer Lehren von einer weisen Milde, die eher in die Allmächtigkeit des Schöpfers vertraut, als in exegetische Diskurse über die Bedeutung einzelner Worte und theologischer Phrasierungen. Jesus von Nazareth war vielleicht der mildeste von allen. Er hat für sich selbst nie eine wie immer geartete oberste oder alleinige Autorität verlangt, wenn ihn auch seine Jünger zweifellos respektierten. Er hat von seinen Aposteln keine Unterwerfung unter bestimmte Dogmen gefordert, sondern die Verbreitung des lebendigen Glaubens. Der Nazarener hat ein Zeitalter der Gesetzesgläubigkeit und Ritualistik revolutioniert, er hat aus den Gesetzbüchern des Moses die Religion der Bergpredigt gemacht. Dennoch, sagt Jesus, sei er nicht gekommen, um das Gesetz aufzuheben. Denn er hat das Gesetz lebendig gemacht und dadurch erhöht, hat eine Oktave erklingen lassen, die für die juristisch-theologischen Vollstrecker des Gesetzes nicht hörbar gewesen war.

Die Priester seiner Zeit konnten das nicht verstehen, sie sahen ihre Pfründe gefährdet und wollten ihre Macht, auf das Gesetz gegründet, nicht verlieren. Die heutige Amtskirche mit ihren Reglementierungen und bevormundenden Dogmen erinnert an die Pharisäer und Priester, die versuchten, Jesus mit theologischen Diskursen aufs Glatteis zu führen. Doch er blieb bei der simplen Wahrheit, es gelang ihnen nicht, ihn herauszufordern. Jahrhunderte später konnte dann die Saat eines Paulus aufgehen, der Jesus nie gesehen hat. Glaubensdogmen, feste Regeln und mehr zum Tod als über das Leben, die Geisteswelt eines Lebensverneiners. Zur eigenen Person dagegen hatte er eine durchaus positive Einstellung: “…ich wünschte, dass ihr alle wäret wie ich”, und “Bin ich nicht frei, bin ich nicht ein Apostel? Habe ich nicht Jesus Christus, unseren Herrn, gesehen?” So spricht Paulus in seinem ersten Brief an die Korinther (7 und 9) . Nein, er hat Jesus Christus nie getroffen, und die Arroganz seiner Rede ist das Gegenteil von Jesus´ Sprache. Wie kann man diesen von inneren Konflikten zerrissenen Vielschreiber und Organisator mit einem echten Apostel verwechseln? “…ich will mich aber nicht selbst loben, außer meine Schwachheit….damit ich mich nicht … erhebe, wurde mir ein Stachel in mein Fleisch gegeben, ein Engel des Satans, damit er mir Faustschläge gebe.” (2 Korinther 12) -– der Mann hätte dringend Hilfe gebraucht. Wie kommt er dazu, allen möglichen Gemeinden Befehle zu erteilen und Jakobus zu belehren? Jakobus war mit Jesus, und gemäß dem Evangelium des Thomas sollten die anderen ihm folgen. Paulus hat ein Identitätsproblem, er hat das römische Bürgerrecht, die echten Apostel sind alle Juden. Immer wieder muss er sich mit der Unterscheidung zwischen Juden-Nichtjuden und Christen-Nichtchristen befassen, er ist von diesem Thema besessen. Dreißig Mal oder öfter kommt das Wort “Beschneidung” bei ihm vor, die vier Evangelisten brauchen es nur zweimal. Beschnitten oder nicht beschnitten sind ihm fast in jedem Brief einige Zeilen wert, immer wieder geht er der Frage nach, wie sich Jude – Nichtjude zu Christ oder Nichtchrist verhält. Wie er diese permanente Identitätskrise löst, wissen wir. Er wendet sich gegen die jüdischen Gemeinden samt Jakobus und fördert die anderen Gemeinden auf die ihm eigene Weise. Damit ist das große Schiff schon kurz nach Christus vom Kurs abgekommen und hat nie mehr zur wahren Lehre des Jesus Christus zurückgefunden.

Und heute ist die Kirche ausschließlich ein Gebilde aus Regeln und Hierarchien, Dogmen und theologischen Wahrheitsansprüchen. Die Kirchenfürsten der Kurie gehen nun der Einfachheit halber bei Bedarf gleich direkt auf alttestamentarische Regeln zurück, um z.B. die Todesstrafe zu rechtfertigen. Paulus gehört zum Standardrepertoire, ob es um die Gehorsamspflicht geht oder um die Wichtigkeit von Schuld und Sühne. Dass die alten, strengen Gesetze durch die Lehre vom Verzeihen und von der Liebe erneuert wurden, scheint dann ganz vergessen zu sein. Genau darin zeigt sich die ganze Absurdität eines Apparates, der vorgibt auf Jesus Christus zu bauen, in Wahrheit aber nichts von seiner Botschaft annimmt.

Immer wieder hat der Papst in den letzten Jahren Gehorsam insbesondere gegenüber seinem Lehramt eingefordert. Für die kirchliche Morallehre z.B. wird der absolute Gehorsam aller Gläubigen verlangt. Seitenlang wird begründet, warum die Kirche Recht hat, weshalb dem Papst die oberste Autorität der Lehre zukommt. Warum finden sich nie Begründungen für die Gebote oder Verbote selbst? Wieso erklärt der Papst nicht, weshalb ein Kondom sündhaft, die Übervölkerung ärmster Landstriche dagegen “gottgewollt” ist? Ganz einfach, er kann das nicht erklären. Er kann nur wiederholen, was er immer sagt. Solange die Katholiken sich das anhören wollen, wird er wohl damit fortfahren. - Die Dominanz Roms kriegen auch die anderen christlichen Kirchen zu spüren. Sogar ihnen gegenüber wird ein Primat des Papstes behauptet. Wie die evangelischen Kirchen feststellen, ist die Zeit des ökumenischen Dialogs wohl vorbei. Eindeutig und ungeniert formulierte der Chef der Glaubenskongregation in einem verbindlichen Lehrschreiben, dass der römische Führungsanspruch auch den anderen christlichen Kirchen gegenüber gelte. Der Generalsekretär des Weltkirchenrates, Pastor Castro, quittierte dies mit den Worten, dass damit 50 Jahre ökumenische Arbeit beiseite geschoben seien. Wieder einmal müssen wir feststellen, dass die kurzfristige Betrachtung von kirchlichen Entwicklungen zu Irrtümern verleitet, bzw. dass wir dann zu leicht in die Falle gehen. Trotz ökumenischen Gesprächs und scheinbarer Öffnung in den letzten Jahrzehnten hat die römische Kirche ihren Absolutheitsanspruch, damit auch ihren Primatsanspruch, niemals aufgegeben. Interessant, was der Papst, selbst absolutistischer Herrscher über Vatikanstaat und Kirche, anderen in Hinblick auf Autorität und Führung empfiehlt. In seiner Enzyklika “Sollicitudo Rei Socialis” betont Woytila, dass keine gesellschaftliche Gruppe das Recht hat, das Führungsmonopol an sich zu reißen (!).

Laufend und ausdrücklich wird auf die Genehmigungspflicht aller katholischen Schriften durch den jeweiligen Oberhirten hingewiesen. Diese sind verpflichtet, auch zurückzuweisen oder Strafen zu verhängen, wenn Verdacht auf ein Abweichen von der wahren Lehre besteht. Ratzinger bekräftigt zusätzlich, dass Autorität und Lehre von oben nach unten fließen; keinerlei Autonomie für Teile der Kirche, alles wird vom Papst bestimmt, alle Bischöfe, Priester und Gläubigen haben zu gehorchen. Auch vor “Mitbrüdern” macht die neue Inquisition nicht halt.

Konsequent wird die Liste der “Ausgestoßenen” jedes Jahr länger. 1992 wurde Drewermann das Lehramt entzogen, er wurde vom Priesteramt suspendiert, ein Strafverfahren wurde eingeleitet. Umso populärer ist Drewermann als Redner über die Kirche, ihre Dogmen und sein Bild von Jesus im Allgemeinen, er füllt die Hallen quer durchs Land. Doch eigene Gedanken sind in der Kirche nicht erwünscht, genauso wenig wie politische Ideen oder gar Aktivitäten. Das musste der Franziskaner Leonardo Boff am eigenen Leib erfahren. Mehrmals gemaßregelt (Ratzinger persönlich intervenierte), der Zensur und einem “Bußschweigen” unterworfen, gab er auf. Er legte das Priesteramt zurück und trat aus dem Franziskanerorden aus. Die Antwort auf sein soziales Engagement und sein Eintreten für Gerechtigkeit in Südamerika war psychologischer Terror und strenge Kontrolle durch das Machtmonopol. Seine Meinung, dass der Papst nicht die Kirche sei, genügte wohl schon, um ihn zu disqualifizieren. Exponenten einer realistischen geistlichen Gesinnung in der dritten Welt haben keine Chance, selbst international anerkannte Persönlichkeiten wie Boff werden geopfert, um das Dogma zu retten. Der Papst, der die Priester Südamerikas auffordert, sich nicht mit Politik zu befassen, dieser selbe Papst schließt mit der Regierung Reagan ein Abkommen über die Unterstützung der Solidarnosc in Polen und nützt alle Kanäle des Vatikan, um Geld und anderes ins Land zu schmuggeln - unter einer rein politischen Zielsetzung.

Im Jänner 1995 enthob der Papst den Bischof Jacues Gaillot seines Amtes als Leiter der Diözese Evreux in Frankreich. Gaillot hatte sich zu intensiv für Minderheiten und für die Ausgestoßenen der Gesellschaft eingesetzt. Weiters widersprach er der öffentlichen Lehrmeinung zur Geburtenkontrolle. Da der unbedingte Gehorsam unter die Lehrhoheit des Papstes eine absolute Verpflichtung jedes Katholiken ist, konnte Rom einen Rebellen auf der Führungsebene natürlich nicht dulden. Die Diskreditierung Andersdenkender, ex post oftmals der Vordenker, hat schließlich lange Tradition. Der Vatikan hat mit dem Fall Galileo Galilei Gelegenheit gegeben, den Mechanismus besser zu verstehen. Von der Inquisition verurteilt, musste Galilei seine richtigen Erkenntnisse über das Sonnensystem widerrufen. Aus einer gönnerhaften Laune wird dieses eine Opfer der grausamen Inquisition 360 Jahre später rehabilitiert. Es wurde konstatiert, dass die “Richter” damals falsch geurteilt hätten. Doch selbst diese wertfreie Feststellung war in der Kurie auf Widerstand gestoßen. Kein Wort über die Inquisition an sich, keinerlei Schuldeingeständnis von Seiten der Kirche - jeder kann für sich die Schlüsse ziehen, wie die Amtskirche auch heute noch zur Inquisition steht, und wie sie diese Macht heute noch ausüben würde, wenn sie sie noch hätte. Da sie physisch keine Gewalt mehr ausüben kann, tut sie es umso stärker psychologisch und mit allen Machtmitteln ihres internationalen Apparates.


Die Realität

Um den Inhalt der christlichen Religion stromlinienförmig den politischen Bewegungen der Kirche anzupassen, musste die Glaubenslehre eben “modifiziert” werden. Wir haben die Anfänge der Manipulation unmittelbar nach Jesus kennen gelernt, als Paulus den Grundstein für die nachfolgende hierarchische und obrigkeitsgläubige Amtskirche legte. Später wurden von allen verfügbaren Quellen über Leben und Lehre des Nazareners einige wenige, für die Staatskirche unbedenkliche, ausgewählt. Selbst diese mussten durch Änderungen und Einfügungen entschärft werden, bevor sie zum Dogma gemacht werden konnten. Was Jesus gesagt hat, verlangt von den Menschen in Wahrheit nämlich viel, und zwar eine echte Umkehr. Trotz der Aufforderung zur Barmherzigkeit und zum Verzeihen enthält die Lehre des Nazareners Anordnungen, die Kompromisse kaum möglich machen.

Um zu verdeutlichen, was die Kirche(n) daraus gemacht hat (haben), wenden wir uns Leo Tolstoi zu, der auch als Religionswissenschaftler außerordentliches geleistet hat. Leo Tolstoi begann im Alter von fünfzig Jahren, sich mit Religion, mit den Evangelien zu beschäftigen. Aus dem Nihilisten wurde ein Suchender, sogar ein Christ. Vielleicht ein herausragender Christ, nur von wenigen an Wahrheitsdrang und echter Empfindung übertroffen. Tolstoi wurde bewegt von der Liebe, Demut und Selbstaufopferung, die Jesus predigte und lebte. Doch musste er erkennen, dass dieser ihm teure Kern des Christentums für die Kirche nicht die Hauptsache war. Die Kirche war in diesem Fall die russisch-orthodoxe, doch kann ihr Verhalten und ihr Umgang mit der “Lehre” für praktisch alle Amtskirchen stehen. Tolstoi geht daran, das Wahre vom Unwahren zu trennen, und er tut dies mit dem ihm eigenen, unglaublichen Eifer und einem unermüdlichen Streben, die Wahrheit zu finden. Er lernt Hebräisch und Griechisch, um Originaltexte lesen zu könne. Er studiert über Jahre intensiv Quellen und Literatur, arbeitet streng wissenschaftlich. Das Ergebnis seiner Arbeit ist zum einen die “Kritik der Dogmatischen Theologie”, zum anderen die “Übersetzung der Vier Evangelien”. Seine Werke werden in seinem Land durch Hektographie verbreitet, die Zensur verbietet das offizielle Erscheinen. Er findet als einen Kernpunkt der Lehre Jesu’ das “Nichtwiderstreben”, die Bereitschaft, das Übel hinzunehmen ohne Vergeltung, dem Übeltäter sogar zu vergeben. Daraus wird der Widerspruch zur “christlichen Praxis” geboren, den Tolstoi so beschreibt (Leo N. Tolstoi, Mein Glaube, Diederichs 1990).

“Man lehrte mich dem Übel Widerstand zu leisten und flößte mir die Meinung ein, es sei erniedrigend und beschämend, sich dem Übel zu unterwerfen und dadurch zu leiden; lobenswert aber sei es, ihm zu widerstreben. Man lehrte mich zu richten und zu verdammen. Danach lehrte man mich, dem Übeltäter durch Totschlag entgegenwirken, und das Kriegsheer, dessen Glied ich war, nannte man ein christlich gesinntes Heer, und seine Tätigkeit wurde durch christlichen Segen geheiligt. Außerdem lehrte man mich von Kindheit an bis zu meinem Mannesalter das achten, was dem Gesetze Christi geradezu widerspricht. Dem Beleidiger wehren, mit Gewalt persönliche Kränkung sowie Kränkung der Familie oder des Volkes rächen; dies alles wurde nicht nur nicht verworfen, es wurde mir im Gegenteil eingeprägt, dass all das gut und durchaus nicht gegen Christi Gesetz sei. - Alles, was mich umgab: die Ruhe, die Sicherheit meiner Person und meiner Familie, mein Eigentum, alles beruhte auf dem Gesetz, das Christus verworfen hat, dem Gesetz: Zahn um Zahn.”

Tolstoi erkannte, dass wir von Jesus nur das annehmen, was in unser Konzept passt. Würden wir die Lehre vom Nichtwiderstreben ernst nehmen und sie uns in jeder Lebenslage zu Eigen machen, so würde dies unsere gewohnte Ordnung zerstören. Wir sind aber unser Leben so gewöhnt wie es ist und hängen an ihm. Der große Russe fand, dass wir an die Worte Jesu nur in dem Sinne glauben, dass es ein Ideal ist. Daraus folgt die kirchliche Auffassung, dass die Lehre Christi zur direkten Anwendung auf das Leben nicht geeignet sei. Diese Homöopathie des Glaubens degradiert die Evangelien zu einer schwärmerischen Lehre, nur zum Trost schwacher Geister geeignet. Tolstoi beweist, wie in den Texten des Neuen Testaments verschiedenste Verfälschungen untergebracht wurden, um den Geboten Christi die Schärfe zu nehmen, sie zu relativieren, an unsere Gewohnheiten anzupassen. Das führt zu einer Lebensweise, die schlechter ist als die der Heiden, meint Tolstoi. Es wurde versucht, Gesellschaft und Kultur als christlich und gerecht hinzustellen, so wie sie war, und zu diesem Zweck das Evangelium entsprechend zu “modifizieren”. Die Kirche ersann Spitzfindigkeiten, um das alles zu rechtfertigen, und um am Schluss sogar zu behaupten, gerade das sei die wahre Lehre Christi.

Textfälschungen entdeckte Tolstoi nicht nur bei den Geboten Christi, sondern bei mehreren Themen, etwa zur Auferstehung. Ebenso erkannte er die Verfremdung, mit der die Religion durch die “metaphysisch-kabbalistische” Theorie des Paulus infiziert worden war, und natürlich den endgültigen Bruch zur Zeit Kaiser Konstantins.





XIII. Perspektiven

Wer ein ehrlicher Christ sein möchte, wen die Worte Jesu’ ansprechen, der muss versuchen, seine Botschaft ohne die Manipulationen des Paulus und der Kirche zu verstehen.

Die Ahnung von der Sinnhaftigkeit des Lebens führt zur Sehnsucht nach der Wahrheit in einem religiösen Sinn. Dies ist die erste Ebene der Spiritualität. Nun haben viele Propheten, in den Augen von Millionen die Inkarnationen eines Gottes, zu verschiedenen Zeiten der Menschheit ihre Botschaften überbracht. Sie klingen verschieden, sind aber Teil einer großen Symphonie. So haben alle großen Religionen die gleichen Moralvorstellungen, um nur eine offensichtliche Parallele zu nennen. Wenn man die verschiedenen Schriften mit einem offenen Geist liest, entdeckt man viele Zusammenhänge. Das Wasser des Lebens, aus dem man als Christ wiedergeboren werden muss, kann man auch bei großen Heiligen des indischen Subkontinents finden. Analoge Hinweise finden sich ebenso im Islam und in jüdischen Texten. Bei Studium dieser Hinweise wird einem jedoch sehr schnell klar, dass diese “Wiedergeburt” etwas anderes ist, als nur ein Ritual. Es muss ein spürbares Erlebnis sein, welches zu einer wahrnehmbaren Erweiterung unseres Bewusstseins führt, zu einer Verbindung mit etwas höherem, dem “Königreich Gottes”. Wer hier sucht, der findet Schätze. Man muss lediglich versuchen, die Kernschriften der großen Religionen ohne Vorurteile zu lesen. Da die größere Tiefe der Erkenntnis jedoch eine Gefahr für jede organisierte, hierarchisch gegliederte Religion ist, wird vor den “Irrlehren” der jeweils anderen immer am stärksten gewarnt. Durch diese Abschreckung wurde eine Vertiefung des religiösen Wissens verhindert und die Monopolisierung vereinfachte es natürlich, die eigene Lehre zu manipulieren. In einer Zeit, die jeden Aspekt des Lebens globalisiert (ob es uns gefällt oder nicht) ist es geradezu absurd, die wertvollsten Lehren der Menschheit nicht ganzheitlich zu betrachten. Doch dies muss in einem offenen Geist geschehen.

Die vergleichende Religionswissenschaft bleibt viel zu sehr in mentalen Diskursen stecken. Typisch akademisch werden weitläufige Ausführungen zu dieser oder jenen Quelle mit Fußnoten zu anderen Religionswissenschaftern gespickt, und alte Theorien in neuer Aufmachung wiedergekäut. Wie soll eine Wahrheit, die mit unserer Erschaffung und Entwicklung zu tun hat, von unserem kleinen Geist in logischer Deduktion erfasst werden können? Wenn wir eine Chance haben, uns dieser Wahrheit zu nähern, dann wohl nur unter Einbringung unserer gesamten Möglichkeiten. Wir dürfen nicht in der Scheinwelt der Gedanken stecken bleiben. Gefühl und Intuition sind Teil unseres Wesens, wir müssen diese Seite unserer Persönlichkeit mit in die Suche einbringen. Die Schriften der großen Religionen sind nicht akademische Abhandlungen, nein, viele dieser Überlieferungen atmen das Feuer einer lebendigen Verkündigung. Wir müssen es auch lebendig aufnehmen, mit dem ganzen Spektrum unserer Wahrnehmungfähigkeit.

Natürlich ist es nicht immer einfach, den Kern einer religiösen Botschaft zu verstehen, die Suche nach der Wahrheit ist mühsam. Aber es lohnt sich. – Wer die Lehren vergleicht, wird herausfinden, dass die großen Religionslehrer immer zwei Ziele hatten. Das eine war ein ethisches und manifestierte sich in Regeln zur Lebensführung, in der subtilsten und poetischsten Form möglicherweise in der Bergpredigt. Der andere Teil der Botschaft ist meist spiritueller Natur und wesentlich schwerer zu verstehen. Schon die Anhänger der Religionsstifter zu ihren Lebzeiten hatten Schwierigkeiten, diesen Teil zu verstehen. Vielleicht deshalb, weil eben die Sprache unzulänglich ist, wenn es um das Absolute geht. Oder vielleicht, weil das Bewusstsein erst erhöht sein muss, um den Himmel zu verstehen.

Weiters müssen wir immer vom jeweiligen historischen Hintergrund ausgehen. Die Weisheit eines großen Lehrers nimmt sicher auf den kulturellen Hintergrund und das intellektuelle Fassungsvermögen seiner Zeit Bedacht. Diese Faktoren lassen manches auf den ersten Blick verschieden erscheinen. Doch mit Einfühlungsvermögen gelesen und kontempliert, erkennt man bald das Gemeinsame. Es ist bis heute aber niemals ernsthaft versucht worden alle diese Wahrheiten als eine zu verstehen, niemand hat es unternommen, die große Einheit hinter der breiten Vielfalt zu sehen. Wird Gott jemanden senden, um alle Religionen zu integrieren?

Einzelne Organisationen haben die Namen der großen Religionsstifter monopolisiert und starre Gebilde hervorgebracht. Die Sehnsucht nach echter Spiritualität wurde nur scheinbar durch Dogmen und angeblich von Gott selbst abgeleitete Hierarchien abgedeckt. Doch diese künstlichen, unbeweglichen Gebilde konnten diesen Wunsch nicht wirklich befriedigen. Darum haben die, die diese Sehnsucht am stärksten spürten, zu allen Zeiten am heftigsten gegen die Scheingebilde und die Arroganz der organisierten Religionen revoltiert.

Menschen fühlen sich von den verschiedensten Aspekten einer Religion angezogen. Die meisten bleiben einfach in der Glaubensgemeinschaft, in die sie hineingeboren wurden, weil es am leichtesten ist und sie damit vertraut sind. Andere wieder fühlen sich von ganz bestimmten Konzepten angesprochen, und wieder andere vielleicht von der Macht oder dem Erscheinungsbild einer religiösen Organisation. Sehr viele Suchende assoziieren das Geheimnisvolle mit Spiritualität. Doch die Mystifizierung nicht genau erkennbarer Aussagen oder Prophezeiungen ist keine Antwort auf die letzten Fragen. Wenn dennoch viele Menschen vom Geheimnisvollen und Okkulten angezogen werden, dann scheint diese eine Verirrung des verschütteten, ursprünglichen Wunsches nach dem spirituellen Wissen zu sein. Geheimnisvolle Rituale und langwierige Prozesse hinter verschlossenen Türen, wie zum Beispiel die Heiligsprechungszeremonien der Katholischen Kirche, sind nicht Attribute einer höheren Wahrheit. Genauso hat die Vergötterung des Exotischen um des Anders-Seins willen nicht unbedingt einen echten religiösen Gehalt. Es ist “in”, sich als Buddhist zu deklarieren und sich in Andeutungen über den Dalai Lama zu ergehen. Doch kaum einer aus der Fan-Gemeinde hat auch nur eine Ahnung, für welche spirituellen Lehren der Fürst der Lamas eigentlich steht.
In unserer Zeit des Umbruchs und einer Bewusstseinserweiterung ist dazu ein neuer Bereich zwischen Religion und Philosophie entstanden, ein riesiges Land der Sucher mit tausenden verschiedenen Provinzen von neuen Religionen, Philosophien und Täuschungen. Dort regieren neue Religionsstifter, selbsternannte Gurus (die in ihren eigenen Ländern keinen Fuß auf den Boden kriegen), New-Age-Philosophen und die Manager von vielen modernen Sekten. Gemeinsames Kennzeichen fast aller dieser neuen “Führer” ist, dass sie in den letzten zwanzig Jahren stinkreich geworden sind.

Was ist der Unterschied zwischen den großen Propheten und Inkarnationen der Vergangenheit und den modernen Heilslehrern? Zum einen das Verhältnis zum Geld. Keiner der großen Lehrer hat je für seine Tätigkeit Geld genommen oder in irgendeiner Weise materielle Dinge ins Zentrum seiner Lehren gestellt. Weiters waren diese großen Meister fast immer aus sehr “normalen” Schichten der Gesellschaft und haben nicht die geringsten Anstrengungen unternommen, materiell oder gesellschaftlich zu gewinnen. Die Kaufleute von Mekka wollten Mohammed mit Reichtümern locken, damit er aufhöre, seine Unruhe stiftende Lehre weiter zu verbreiten. Er antwortete: “Und wenn du mir die Sonne in meine Rechte und den Mond in meine Linke gibst, ich muss es tun.” Sie personifizierten ihre Lehren so, dass ihnen alle diese Angelegenheiten fern lagen. Es war neben der spirituellen Intensität dieser Propheten überhaupt kein Platz für Dinge wie Macht oder Geld. Selbst, wenn sie Ansehen gewannen oder ihnen Tausende folgten, änderte das absolut nichts an ihrem Habitus, geschweige denn an ihrer Persönlichkeit.

Heute warten alle großen Religionen auf eine neue Inkarnation. Den Christen ist der Tröster oder die Trösterin versprochen, die Buddhisten warten auf den Weltenlehrer Maitreya, die Hindus auf eine weitere Inkarnation Sri Vishnus und im Islam hoffen die Schiiten auf die Wiederkehr des verborgenen Imam.

Diese erwartete Inkarnation ist gemäß den Überlieferungen aller Religionen eine besondere. Wenn der Tröster/die Trösterin die Menschheit nicht bekehren kann, dann steht die Drohung der Apokalypse im Raum. Der verborgene Imam, auch al Mahdi genannt, kommt wieder als der letzte Imam. Und Maitreya wird die ganze Welt bekehren, und er wird Selbstverwirklichung geben.

Wir haben keine Möglichkeit, Ihn/Sie durch unsere Anstrengungen zu erkennen. Es ist und bleibt ein großes Mysterium, wie manche Menschen ausgewählt werden, um etwa Jesus Christus zu seinen Lebzeiten zu folgen. Es scheint einfach einige Ebenen über unseren Erkenntnismöglichkeiten zu liegen. Was wir von allen bisherigen großen Religionsstiftern wissen, ist, dass sie zu ihren Lebzeiten immer nur einem sehr kleinen Teil der Menschheit bekannt wurden. Darüber hinaus war es noch immer so, dass sie ganz anders kamen als sie erwartet wurden. Jesus wurde in einem Stall geboren, als Sohn eines Zimmermannes. Das jüdische Volk dagegen erhoffte einen Messias, der sie wie ein König auch politisch befreien würde, und die meisten meinten, er würde vom Himmel herabsteigen. Im Propheten Mohammed hat in den Jahren seiner Jugend niemand auch nur im Entferntesten irgendeine Person von Bedeutung gesehen. Bei Gautama Buddha war es umgekehrt. Gesegnet mit allen Vorzügen einer regierenden Dynastie entsagte der Kronprinz zum Entsetzen seiner Familie und Freunde allen Vorteilen seiner Geburt. Als Asket ohne jeden Besitz machte er sich auf die Suche nach der letzten Erkenntnis. Sri Krishna war der Stiefsohn eines Milchbauern und wurde König, eine göttlicher Witz auf das hinduistische Kastendenken.

Das Erscheinungsbild der Propheten und göttlichen Inkarnationen scheint mit unseren Erwartungen regelmäßig nicht das Geringste zu tun zu haben. Wenn es irgendeine Regelmäßigkeit gibt, dann eher die, dass die großen Meister als das Gegenteil der Erwartungen ihres Volkes geboren wurden. Der Inhalt der Botschaft ist so wichtig, dass alles andere völlig zurücktritt. Es gibt da eben keine Zwangsläufigkeiten und kein erkennbares System. Daher wurden folgerichtig die etablierten Religionen zu jeder Zeit von den lebenden Propheten enttäuscht, und in vielen Fällen wurden die Pharisäer ihrer Zeit, die herrschende Priesterklasse, ihre schlimmsten Feinde. Die lebendige Kraft der Schöpfung lässt sich in kein Schema und keine Organisation zwingen.

Die von verschiedenen Schriften angeführten Merkmale der Zeit des großen Umbruchs treffen für unsere Jahrtausendwende ziemlich konkret zu. Durchaus möglich, dass die große Inkarnation schon mitten unter uns ist. Wenn, dann sicher in so einer menschlichen Form, wie wir sie am wenigsten erwarten.


© Stegbuchner 2004


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